Die deutliche Ablehnung der Fremdspracheninitiative durch
den Grossen Rat kam nicht überraschend: Schliesslich erklärte
dasselbe Gremium vor drei Jahren die Initiative für ungültig. Wie erwartet
konnte eine Mehrheit auch diesmal nicht über ihren eigenen Schatten springen
und hielt sich lieber diszipliniert an
die Vorgaben der Regierung. Damit musste man sich nicht in die Nesseln setzen
und ersparte sich eine
weitere Auseinandersetzung mit diesem unliebsamen Thema.
Versenken ist einfacher als nachdenken, Südostschweiz 19.6., Stellungnahme des Initiativkomitees der Fremdspracheninitiative (Urs Kalberer)
Die inhaltliche Auseinandersetzung hätte sich zweifellos gelohnt, denn
auf dem Spiel stehen nichts weniger als bessere Sprachenkenntnisse der Bündner
Jugendlichen. Grossrätin Martha Widmer (BDP) schlug vor, in den romanischen und
italienischen Sprachgebieten ab der ersten Klasse einen immersiven
zweisprachigen Unterricht (Romanisch/Deutsch beziehungsweise
Italienisch/Deutsch) einzuführen. Ab
der fünften Klasse sollte dann im ganzen Kanton obligatorisch mit Englisch
begonnen werden. Diese Variante verknüpft die Forderungen der Fremdspracheninitiative
(nur noch eine Primarfremdsprache in Deutschbünden) mit den Bedürfnissen der
beiden anderen Sprachregionen. Neben den positiven
Erfahrungen mit dem immersiven
Unterricht würde ausserdem der Englischunterricht für alle Kinder im Kanton in
der fünften Primar beginnen.
Dieses Konzept wäre ein schweizweites Novum gewesen: Einerseits
flächendeckender Zweisprachenunterricht, andererseits eine sinnvolle Reduktion
auf nur eine Fremdsprache in Deutschbünden. Graubünden wäre mit einem Schlag
sprachpädagogisch an die nationale Spitze gestürmt. Allerdings wäre für eine
vertiefte Diskussion mehr Zeit notwendig gewesen, was BDP-Grossrat Andy
Kollegger dem Rat beantragte. Der Grosse Rat wollte davon nichts wissen. Das
Motto lautete: Lieber versenken als nachdenken! Denn was in Chur, Domat/Ems,
Ilanz oder Samedan mit ihren
immersiven Sprachklassen gilt, soll für die anderen Regionen weiterhin
nicht gelten dürfen.
In der Sprachendebatte ist viel von Diskriminierung zu hören. Auch im
Grossen Rat wurde
befürchtet, dass
Romanisch- und Italienischbünden durch die Fremdspracheninitiative
benachteiligt werden. Offenbar ist gegen diese Sichtweise sogar das
Bundesgericht machtlos. Dieses stellte unmissverständlich fest, dass die
Initiative eine allgemeine Anregung ist, die diskriminierungsfrei umgesetzt
werden kann. Der Gegenvorschlag von Grossrat Roman Hug nahm die Bedenken
hinsichtlich des Englischunterrichts ernst und wollte an der Primarschule nur
noch eine Fremdsprache und zwar eine Kantonssprache. Der Gegenvorschlag hätte
die Diskussion versachlicht und dem Wähler eine Auswahl präsentiert. Aber auch
diese wertvolle
Diskussion wollte
der Grosse Rat vermeiden und lehnte deshalb auch den Gegenvorschlag ab.
Die Bündner Legislative verharrt in Immobilität: Nicht nur lehnt sie
eine Verschiebung zugunsten einer Lösungsfindung und den Gegen-vorschlag ab,
selbstverständlich
will sie auch
nichts wissen von der eigentlichen Fremdspracheninitia-tive. Doch es genügt
nicht, den
Kopf in den Sand zu
stecken: Die Probleme des Bündner Fremd-
sprachenmodells sind offenkundig: keine geeigneten
Lehrmittel,
Wörtchenbüffeln und
Notendruck in der Primarschule, frustrierte
Eltern, Lehrer und Kinder. Nach
18 Jahren wirkungslosem
Primaritalienisch und den immer gleich-
tönenden Vertröstungen ist es jetzt an der Zeit,
bessere Lösungen zu finden.
Eltern, Lehrer und besonders
die als Versuchskaninchen missbrauchten ehemaligen
Schulkinder haben nun die Chance, diesen Missstand zu beheben. Die
Fremdspracheninitiative bringt die nötige Sprachentlastung, stärkt die
Muttersprache und schafft die dringend nötigen Zeitgefässe für die korrekte
Umsetzung des Lehrplans 21.
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