«Mindsteps»
heisst das Programm, nun in Schulen der Kantone Aargau, Solothurn sowie beider
Basel benutzt wird. Schülerinnen und Schüler der Unterstufe müssen am Computer
anhand von 25'000 Aufgaben für Deutsch, Englisch, Französisch und Mathematik
selber testen, ob sie den Stoff begriffen haben. Das Resultat geht dann
automatisch zum Lehrer. Die Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm sieht das
kritisch.
Lernprogramm "Mindsteps" - "Kein Programm kann eine gute Lehrperson ersetzen", SRF
Echo der Zeit, 18.6. von Nicoletta Cimmino
Ersatzprogramm für Lehrerpersonen, SRF Echo der Zeit, 18.6.
Ersatzprogramm für Lehrerpersonen, SRF Echo der Zeit, 18.6.
SRF News:
Kinder, die durch einen Algorithmus getestet werden, ist das eine gute Idee?
Margrit
Stamm: Ich bin sicher, dass das Konzept sehr gut konzipiert ist und die Idee an
sich gut. Aber es gibt ein paar Vorbehalte. So dürfte das Projekt vor allem
guten Schülerinnen und Schülern mit einem hohen Selbstbewusstsein Vorteile
bringen. Für ängstliche oder eher leistungsschwache Kinder sehe ich Probleme.
Warum ist es
für Leistungsschwächere ein Problem?
«Mindsteps»
ist eigentlich eine digitale Selbstvermessung. Das Projekt gibt Normen vor. Je
mehr sich Lernende an Massstäben orientieren müssen, desto mehr steigen Druck und
Verunsicherung, wenn es nicht klappt. Wer die Aufgaben gut löst, erhält ein
positives Feedback, welches das Selbstbewusstsein steigert. Jene am unteren
Rand der Skala bekommen negative Rückmeldungen, was den grossen Leistungsdruck
noch zusätzlich erhöht.
Was ist der
Unterschied zwischen dem digitalen Feedback und der herkömmlichen Rückmeldung
in Form einer schlechten Note?
Man muss
zwischen dieser digitalen Selbstvermessung und einer Lehrperson unterscheiden.
So kann eine gute Lehrperson viel mehr Rückmeldung geben und allenfalls andere
Kompetenzen betonen.
Digitale
Tests werten generell das Resultat zu stark, und das Zwischenmenschliche kommt
zu kurz.
Im digitalen
Feedback steht dagegen nur gut, schlecht oder zu wenig gelöst. Das ist die
Problematik, dass digitale Tests generell das Resultat zu stark werten und das
Zwischenmenschliche zu kurz kommt.
Das Projekt
sieht die Lehrperson vermehrt als «Coach», der dank weniger Routinearbeit
vermehrt auf Schüler eingehen kann. Tönt das nicht gut?
Es genügt überhaupt
nicht, wenn man Lehrpersonen auf die Coaching-Funktion reduziert, denn so
wertet man sich eigentlich ab. Viele Studien zeigen, dass die Feedback- und
Beurteilungskompetenzen einer Lehrperson eine sehr grosse Rolle spielen.
Sind solche Computerprogramme
die Zukunft an unseren Schulen?
Das
befürchte ich. Die schulische Leistungskultur und der Leistungsdruck haben
bereits ein Ausmass angenommen, dassKinder, Jugendliche und Eltern sehr stark
herausfordert und zum Teil auch überfordert.
Wenn die
Leistungskultur noch mehr angeheizt wird, muss man sich nicht wundern, wenn
Kinder immer mehr psychische und körperliche Probleme bekommen.
Die ganze
Digitalisierung sollte aber eher dazu verwendet werden, um die überfachlichen
Kompetenzen, die so genannten Soft Skills, zu unterstützen. Wenn die
Leistungskultur noch mehr angeheizt wird, muss man sich nicht wundern, wenn
Kinder immer mehr psychische und körperliche Probleme bekommen.
Das neue
Programm wird als Innovation verkauft. Will man damit auch teure Lehrkräfte
einsparen?
Das kann
sehr wohl sein. Ich kann mir auch vorstellen, dass das Programm teuer war und
es jetzt darauf ankommt, ob es den Innovationen gerecht wird.
Ich bin aber
überzeugt, dass es kein Programm gibt, das eine gute Lehrperson ersetzen kann.
Das wäre die Achillesferse der Digitalisierung, wenn wir meinen, mit einem
Digitalisierungsschub die Lehrerkosten senken zu können. Das wäre fatal.
Das Gespräch
führt Nicoletta Cimmino.
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