Es gab wohl
kaum je einen Elternabend, an den so viele Eltern kommen wollten, dass gleich
die Dietiker Stadthalle nötig ist. Doch am Dienstag- und Mittwochabend war es
so. Denn es ging um ein polarisierendes Thema: den Lehrplan 21, der auf das
neue Schuljahr hin in den Schulen des Kantons Zürich bis zur 5. Klasse
eingeführt wird. Die 6. Klasse und die Sekundarstufe folgen ein Jahr später.
Der neue Lehrplan will zusätzlich zum blossen Wissen mehr Fokus auf das
Erlernen von Kompetenzen legen.
"Der Lehrplan 21 bereitet Kinder auf eine Zukunft vor, die niemand kennt", Limmattaler Zeitung, 22.6. von Leo Eiholzer
Rolf Gollob,
Professor an der Pädagogischen Hochschule Zürich, hielt auf Einladung der
Dietiker Schulabteilung zwei Referate. Trotz Fussball-WM hatten sich für beide
Abende zusammen 919 Eltern angemeldet. In Dietikon gibt es rund 1300 Schüler.
Mit etwa 400 Personen am Dienstag und knapp 300 am Mittwoch kamen zwar etwas
weniger Eltern als erwartet. Die Zahlen sind trotzdem beachtlich. Gollob
versuchte zu erklären, warum der 505-seitige Lehrplan 21 nötig ist. Die Kernaussage
des Referats am Mittwochabend: «Früher wussten wir in etwa, wie das Leben in
Zukunft aussieht. Heute ist das nicht mehr so.» Deshalb sei das Lernen von
Kompetenzen so wichtig. Denn damit könnten die Schüler das Erlernte auf
Probleme, die die Eltern-Generation gar nie hatte, anwenden.
Innovation, um zu überleben
Um das zu
erklären, wurde der Ethnologe Gollob grundsätzlich. Er unterscheidet statische
und innovative Gesellschaften. In einer statischen Gesellschaft muss das Wissen
der Eltern übernommen werden, um zu überleben. Als Beispiel dafür nahm Gollob
ein indigenes Volk, das vom Jagen lebt. Er sagte: «Wenn der Sohn von seinem
Vater nicht lernt, wie man jagt, wird die Gruppe, die er ernähren muss, nicht
überleben. Er kann nicht einfach ein bisschen ausprobieren.»
Im Gegensatz
dazu stehe unsere Innovationsgesellschaft, in der es lebensbedrohlich wird,
wenn die Kinder das Wissen der Eltern kritiklos übernehmen. Dies, weil sich die
Umstände ändern. Als Gegensatz zum Jäger-Volk zeigte er das Bild eines
Astronauten.
«Er kann
nicht seinen Vater fragen, wie man zum Mond fliegt», so Gollob. Er müsse es
selbst herausfinden, indem er sein Wissen und seine Erfahrungen neu
zusammensetzt.
Beim
Lehrplan 21 gehe es darum, Kinder auf eine Zukunft vorzubereiten, die niemand
kennt. «Wir wollen den Kindern ein Problem vor die Nase setzen und es sie lösen
lassen», sagte Gollob. Er machte ein Beispiel: Man gibt fünf Primarschülern 22
Äpfel. Die Schüler würden selber anfangen, die Äpfel zu verteilen und merken,
dass zwei übrig bleiben. Gollob: «So lernten Sie das Teilen mit Rest.»
Ursache
dafür, dass man einen neuen Lehrplan einführen wollte, sei der sogenannte
Pisa-Schock gewesen. Bei der internationalen Pisa-Studie für Schüler schloss
die Schweiz im Jahr 2001 unter dem Durchschnitt der Industrieländer ab.
Gollob
frischte sein Referat mit persönlichen Anekdoten auf und sprach äusserst
pointiert. So sagte er: «Schülern erzählt man immer wieder, ‹Du lernst nicht
für die Schule, sondern für das Leben.›» Ans Publikum gerichtet, sagte er:
«Vergessen Sie diesen Spruch! Das ist etwas vom Dümmsten, was man sagen kann.
Denn wir wissen nicht, wie das Leben in Zukunft aussieht.»
Das Publikum
war ihm schon gewogen, doch endgültig für sich gewonnen hatte Gollob die
Anwesenden, als er sagte, dass sein Grossvater 1897 als Ofenbauer aus Slowenien
nach Dietikon gezogen ist und hier lebte. Im Heimatmuseum stehe ein Kachelofen,
den sein Grossvater gebaut habe.
Doch zurück
zum Lehrplan: Gollob verteidigte ihn auch gegen Kritik, die in den letzten
Jahren in der Öffentlichkeit angeklungen ist: «Der Lehrplan 21 ist nicht
verkopft.» Es stimme ausserdem nicht, dass kein Wissen mehr gelehrt werde: «Das
ist totaler Quatsch. Ohne Wissen gibt es auch keine Kompetenzen», sagte Gollob.
Nach dem
Referat vom Mittwoch sagte er auf Anfrage, in anderen Gemeinden seien sogar
Flugblätter verteilt worden, in denen kritische Eltern aufgerufen wurden, an
die Veranstaltung zu kommen. In Dietikon musste sich Gollob an diesem Abend
nicht mit offenen Kritikern herumschlagen. Doch den Fragen war anzumerken, dass
der neue Lehrplan die Dietiker Eltern auf jeden Fall umtreibt. Ein Vater
fragte, ob der Lehrplan schon irgendwo erprobt worden sei. Gollobs Antwort:
«Nein, nicht als gesamtes Projekt.» Doch die Grundlagen und einzelne Elemente
würden schon länger getestet. Angewendet würden sie auch unbewusst schon
längst, so etwa im Projektunterricht. Er versicherte: «Es wird nichts auf dem
Buckel Ihrer Kinder getestet.»
Es gibt auch künftig Zeugnisse
Ein weiterer
Elternteil fragte danach, ob es denn weiterhin Noten und Zeugnisse
gebe. Gollob bejahte dies. «Zeugnisse helfen dabei, sich einzuordnen und natürlich auch bei Selektionen.» Wie genau man dies aber machen will, sei noch nicht in allen Details klar. Die Bildungsdirektion wolle zusammen mit den Lehrern Erfahrungen sammeln. Bewertet werden könnten natürlich nicht die Kompetenzen selbst, sondern erst die Anwendung der Kompetenzen.
gebe. Gollob bejahte dies. «Zeugnisse helfen dabei, sich einzuordnen und natürlich auch bei Selektionen.» Wie genau man dies aber machen will, sei noch nicht in allen Details klar. Die Bildungsdirektion wolle zusammen mit den Lehrern Erfahrungen sammeln. Bewertet werden könnten natürlich nicht die Kompetenzen selbst, sondern erst die Anwendung der Kompetenzen.
Der
abtretende Dietiker Schulvorstand Jean-Pierre Balbiani (SVP) sprach am Anlass
die Begrüssungsworte. Er sagte: «Der Lehrplan 21 ist ein wesentlicher Wechsel.»
Darum habe man diese Vorträge im grossen Rahmen organisiert. «Nicht nur von der
Art des Lernens her ist die Umstellung gross, sondern auch operativ. Man
braucht neue Lehrmittel und teilweise zusätzliche Räumlichkeiten wie
Gruppenräume. Die Eltern im Boot zu haben, ist dabei sehr wichtig.»
Online-Kommentar von Peter Aebersold:
AntwortenLöschenNiemand kennt die Zukunft, nur die Lehrplan 21-Experten, die die Kinder angeblich auf die Zukunft vorbereiten? Die sechs von der D-EDK ausgewählten Gender-, Kompetenz- und Reformexperten, die von 2006 bis 2010 die "Grundlagen für den Lehrplan 21" ausgebrütet haben, haben es sich einfach gemacht. Sie haben den Kompetenzraster der OECD (nach Weinert), einer Wirtschaftsorganisation der Global Player, übernommen. Wenn das kein blinder Test auf dem Buckel unserer Kinder ist, was dann?