Wir
sind in der Schweiz Zeugen eines sich anbahnenden schulischen Chancenungleichheitsproblems:
Der Zugang und die Teilhabe aller Schulkinder an der neu eingeführten
Informatik-Bildung.
Digitalisierung: Wo ist der schweizweite Taktgeber? Aargauer Zeitung, 29.4. von Hans Zbinden
Wie uns die EU am Beispiel der Hochschulen zeigt,
können auch Staaten (Kantone und Schulen) im Wandel voneinander lernen. Auch
bei der Digitalisierung.
In diesen Tagen bereist unser
Bildungsminister mit seinen Experten die halbe Welt. Unterwegs in der Mission,
unserem Erfolgsmodell der dualen Berufsbildung international Geltung zu
verschaffen. Dabei setzt er bei den besuchten Kongressen, an den
Berufsweltmeisterschaften oder bei Staatsbesuchen immer eines voraus: Die
Besuchten und Angesprochenen wollen und sollen von der Schweiz lernen! Doch wie
sieht es umgekehrt aus: Mit dem frühen Erkennen eigener Schwächen und dem
Interesse an guten Lösungen anderer?
So sind wir zurzeit im eigenen Land Zeugen
eines sich anbahnenden schulischen Chancenungleichheitsproblems: Der Zugang und
die Teilhabe aller Schulkinder an der neu eingeführten Informatik-Bildung.
Deren flächendeckende Verbreitung verläuft mit grossen Qualitäts- und
Entwicklungsunterschieden zwischen Gemeinden, Kantonen, Stufen und Bereichen
unseres föderalen Bildungswesens. Diese neue und nicht nur zwischen
Generationen entstehende Ungleichheit wird uns – wie einst die familiären und
regionalen Herkunftsungleichheiten – bildungspolitisch noch grosse Sorgen
bereiten! Mitverursacht durch einen politisch untersteuerten
Verbreitungsprozess der Informatik-Bildung, der in den Kantonen, Gemeinden und
Schulen ganz unter- schiedlich verläuft. In der Art und Geschwindigkeit des
Ablaufs, im Grad der technischen Ausstattung, der Weiterbildung des Personals
oder in der Professionalität seiner Umsetzung.
Weder Bund noch EDK verfügen über eine gesamtschweizerische Übersicht über Stand und
Entwicklung der digitalen Bildung an Schulen und auf Stufen. Genauso fehlen
ihnen klare Erkenntnisse über die Verbreitungslogik der laufenden
Transformation.
Schrittmacher bei der Verbreitung der Digitalisierung scheinen
vorab ressourcenstarke, wirtschafts- und technologienahe Kantone, Gemeinden und
Schulen zu sein. Nicht selten angeregt durch Initiativen von Einzelpersonen,
Behörden, Lehrkräften und Eltern.
Dabei bestimmen vorwiegend Markt, Technologie und Innovation die Verbreitung und den
Takt der landesweiten Bildungsdigitalisierung. Und nicht etwa die universell
orientierte Wissenschaft. Oder gar die dem Gemeinwohl verpflichtete Politik. Und
dies, obschon Bund und EDK in ihren Strategien zur Digitalen Schweiz vor kurzem
festgehalten haben, dass am digitalen Wandel vor allem die Zivilgesellschaft
mit allen Bürgerinnen und Bürgern teilhaben soll. Doch für die Verwirklichung
dieser Ziele fehlt es uns einmal mehr an Verantwortung gegenüber dem
bundesstaatlichen Ganzen, mit klar zuständigen Instanzen, die auch jetzt bei
der digitalen Transformation für ein faires Teilen von Wissen, Technologie und
Geld unter allen Betroffenen sorgen. Denn in letzter Zeit sind infolge der
zunehmenden Standortkonkurrenz die Kooperationsbereitschaft und der
Wissensaustausch zwischen Kantonen und Gemeinden geschwächt worden.
Umso wichtiger wäre es, nach neuen Formen der Zusammenarbeit Ausschau zu halten. So
hat die Europäische Union in den letzten Jahrzehnten eine nachahmenswerte
Harmonisierungsmethode für ihre Mitgliedsländer entwickelt: Im Hochschulbereich
etwa bei der länderübergreifenden Umsetzung der Bologna-Deklaration.
Das Projekt arbeitet mit gemeinsamen Rahmenvorgaben für alle Länder. Erlaubt ihnen
aber unterschiedliche und individuelle Wege der Realisierung. Voraussetzung für
eine Mitwirkung ist das Verständnis für einen «lernenden Föderalismus», an dem
sich alle beteiligen. Dabei tauschen sie regelmässig ihre
Entwicklungsfortschritte aus. Im Falle der Hochschulen beispielsweise den
Ausbaustand von Bachelor-, Master- und Doktorats-Studiengängen. Verbunden mit
Hinweisen auf Schwierigkeiten. Anhand dieser nationalen Zwischenberichte
beraten daraufhin alle Bildungsminister(innen) an den regelmässig statt-
findenden Nachfolgekonferenzen die vorliegenden Fortschrittsergebnisse.
Anschliessend legen sie Ziele und Empfehlungen für die kommende Zeit
fest.
Auf diese Weise konnte sich europaweit ein effizientes Anreizsystem mit kleinem
Regulierungsaufwand entwickeln. Auf das Schweizer Hochschulwesen übertragen,
hiesse das: Die regelmässige interkantonale Fortschrittsberichterstattung würde
im alle vier Jahre erscheinenden Nationalen Bildungsberichterfolgen.
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