24. Mai 2018

Bildungskonzerne expandieren weitgehend unbemerkt

Investoren sind überzeugt: Der globale Schulmarkt steckt erst in den Anfängen. Ausgerechnet in Brasilien, das eines der schlechtesten Bildungssysteme weltweit hat, investieren Unternehmer und Fonds viel Geld in private Einrichtungen.
Brasilianische Schulkonzerne wollen weltweit expandieren, NZZ, 24.5. von Alexander Busch


Wer für sein Kind in Brasilien das Beste will und über entsprechende Mittel verfügt, der immatrikuliert es jetzt bei Avenues, Concept oder Red House. Das sind Schulen, die in den letzten Monaten neu eröffnet wurden oder kurz davor stehen. Die englischen Namen sind Programm. Denn bei diesen Schulen geht es nicht um profanes Pauken, klassische Bildung oder schlicht die Hochschulreife. «Globale Persönlichkeiten» will Avenues formen für die «grossen Fragen der Menschheit». Die Schüler sollen so selbstverständlich mit Kooperativen von Müllsammlern in São Paulo Apps entwickeln, wie sie sich mit Kollegen ihres Jahrgangs in den Filialen in New York und bald Schanghai austauschen, «in einem Klassenzimmer, verteilt über drei Kontinente». Bei Concept («Der Schule von morgen») geht es schon in der Kinderkrippe «dreisprachig» zu. Neben Portugiesisch und Englisch üben bereits Babys spielerisch das Programmieren. Später sollen die Schüler einmal im Semester für einen mehrwöchigen Austausch ins Silicon Valley, wo Concept in Mountain View «direkt vor Google» eine Filiale hochziehen will.

In diese Eliteschulen haben ihre Besitzer massiv investiert. Bis zu 50 Mio. Dollar steckten sie alleine in bevorzugt traditionelle, heruntergekommene Schulen in den besten Gegenden der brasilianischen Grossstädte, oder sie zogen gleich ganz neue Gebäude hoch. In Singapur, Finnland und der Schweiz wurden zudem Lehrer engagiert. Des Weiteren haben die neuen Schulkonzerne von den besten Schulen in Brasilien pädagogische Leiter abgeworben oder bei Apple gleich den Ausbildungschef.

Sehr langfristiger Horizont
Kein Wunder, dass diese Schulen teuer sind. Auch wohlhabende Brasilianer schlucken leer angesichts der Schulgebühren. Zwischen 1800 und 3000 Dollar kosten die Schulen monatlich, ohne die üblichen Nebenkosten wie Schulmaterial, Verpflegung, Uniformen, Transport und Ausflüge. Mit diesem «Ultra-Premium»-Segment für Eliteschulen weiten die privaten Schulbetreiber die bereits zuvor hochpreisig angelegte Skala für Schulgebühren noch einmal deutlich nach oben aus. Gewöhnungsbedürftig ist das aber auch für Europäer, für die meist «kostenlose» öffentliche Schulen üblich sind.

Allerdings erwarten die Betreiber der neuen Privatschulen trotz diesen Hochpreisen nun nicht, dass sich ihre neuen Institute kurzfristig rechnen werden. Dazu seien die Klassen zu klein und die Kosten zu hoch. «Wir denken in Investitionszyklen von zehn, zwanzig Jahren», sagt etwa Chaim Zaher, der Concept entwickelt hat.

Zaher und seinen Konkurrenten geht es um etwas anderes. Mit Schulen wie Concept, Avenues oder Red House wollen sie ihre Marken als Bildungsinstitutionen stärken. Wie exklusive Flagship-Stores bei Konsumartikeln soll ihr Glanz auf die Imperien, die sie gerade errichten, abfärben. Die Unternehmer haben nämlich nicht nur Brasilien im Blick, sondern einen globalen Markt. Dieser befindet sich im Entstehen, und die Dimensionen sind gewaltig. Die Zahl der internationalen Schulen in den aufstrebenden Gesellschaften Asiens, in Nahost und Lateinamerikas habe sich seit 2010 mehr als verdreifacht, von 2600 auf rund 9000 Institute, schreibt der spezialisierte britische Marktforscher ISC Research. Statt knapp einer Million Schüler lernen heute fünf Millionen Kinder und Jugendliche an internationalen Schulen. Ihre Eltern bezahlen dafür rund 50 Mrd. $ Schuldgeld im Jahr – das ist zehnmal so viel wie noch vor sieben Jahren.

Der Grund für diesen Bildungsboom ist laut ISC, dass mit den wachsenden Einkommen in den Emerging Markets auch die Nachfrage der Eltern nach besseren Bildungsstandards für ihre Kinder zunimmt. Das Ziel sei der Studienplatz an einer renommierten, meist westlichen Universität. «Das wird von vielen Familien als ‹Pass› für globale Karrieremöglichkeiten und Wohlstand angesehen», heisst es bei ISC.

Schulmarkt nun strategisch
Weitgehend unbemerkt von der mehrheitlich staatlichen Schullandschaft in Europa entstehen in den Emerging Markets neue Bildungskonzerne. Laut einer Untersuchung der brasilianischen Bank Itaú BBA gehören die Schulkonzerne GEMS aus Dubai, Cognita aus Grossbritannien, Inspired aus Australien und Nord Anglia Education aus Hongkong zu den Unternehmen weltweit mit dem höchsten Wachstumspotenzial – neben den brasilianischen Kroton und Grupo SEB (Sistema Educacional Brasileiro).

Die liefern sich gerade eine Übernahmeschlacht auf ihrem Heimatmarkt. So hat Kroton – der grösste Universitätsbetreiber Brasiliens – vor einer Woche für umgerechnet 1,8 Mrd. $ mit Somos einen der grössten Schulkonzerne Brasiliens aufgekauft. Mit einem Marktgewicht von rund 8,5 Mrd. $ dürfte Kroton damit der weltgrösste börsennotierte Bildungskonzern sein. Die kombinierten Unternehmen machen einen Umsatz von insgesamt 2,2 Mrd. $. Bei SEB (Umsatz 2017: 200 Mio. $) soll dessen Besitzer Zaher gerade 650 Mio. $ für ein Schulunternehmen aus den USA bieten, das vor allem in Brasilien Geld verdient, aber auch in Miami und dem restlichen Lateinamerika Schulen betreibt.

Beide Konzerne sind gut darauf vorbereitet, um im weltweiten Schulsegment zu wachsen. Sie kennen das Geschäft von der Pike auf. Beide Familienunternehmer sind mit dem privaten Bildungsgeschäft zu Forbes-Milliardären geworden. Der 42-jährige Rodrigo Galindo von Kroton hat genauso wie der etwa 65-jährige Zaher von SEB sein Unternehmen an die Börse gebracht, um Kapital für die weitere Expansion zu erhalten. Nach den Fusionen unter den Universitäten der letzten Jahre sei der Schulmarkt für die Unternehmen heute strategisch geworden, sagt Ademar Batista Pereira vom Verband der Privatschulen Brasiliens. Das Kapital dafür sei nun vorhanden.

Nach Schätzungen von Kroton ist der Umsatz auf dem gesamten Schulmarkt Brasiliens rund zweimal so gross wie im Hochschulbereich. Insgesamt geht es aber um mehr als Schulen. Das private, ausserakademische Bildungsgeschäft besteht aus mehreren Segmenten: Neben den Privatschulen gibt es Institute, die ausschliesslich Intensivkurse anbieten, um Schüler auf die landesweite Maturaprüfung oder auf Universitäten vorzubereiten. Daneben gibt es Sprachschulen und Fernuniversitäten.

Zu wichtigen Akteuren im Bildungsgeschäft zählen weiter Schulbuchverlage, Entwickler von digitalem Lehrmaterial und Datenverarbeiter. Diese verfügen über schwer einschätzbare Synergien und Potenziale. Fernando Shayer, CEO beim gerade übernommenen Konzern Somos, prognostiziert ein gewaltiges Wachstumspotenzial bei der Datenanalyse in der Bildung. Mit Big Data könne man die Schüler individuell beraten, welches Material sie besser zum Lernen benutzen sollten. Galindo von Kroton sieht den nächsten technologischen Quantensprung beim Fernunterricht übers Internet. Bei den Fernuniversitäten erlebe man gerade eine Revolution wie der Musikmarkt vor zwei Jahrzehnten.

Guter Platz an Universität
Es scheint erstaunlich, dass Schulkonzerne ausgerechnet von Brasilien aus zu globalen Grössen ihrer Branchen aufsteigen wollen. Denn Brasilien schneidet bei den Pisa-Studien der OECD regelmässig katastrophal ab. In Mathematik und Lesefähigkeit zählen die brasilianischen Schüler zu den schlechtesten weltweit. Die schlechte Qualität an den öffentlichen Schulen dürfte aber gerade der Grund dafür sein, warum sich brasilianische Unternehmer schon früh auf Privatschulen konzentriert haben. Die wachsende Nachfrage nach guten Privatschulen gelte für viele Emerging Markets, schreibt ISC Research. Denn es sei immer mehr Eltern bewusst, dass ihre Kinder für einen Platz an einer begehrten Universität mehr brauchten als gute Noten an nationalen Schulen.


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