Investoren sind überzeugt: Der globale Schulmarkt steckt erst in den
Anfängen. Ausgerechnet in Brasilien, das eines der schlechtesten Bildungssysteme
weltweit hat, investieren Unternehmer und Fonds viel Geld in private
Einrichtungen.
Brasilianische Schulkonzerne wollen weltweit expandieren, NZZ, 24.5. von Alexander Busch
Wer für sein Kind in Brasilien das Beste will und über entsprechende
Mittel verfügt, der immatrikuliert es jetzt bei Avenues, Concept oder Red
House. Das sind Schulen, die in den letzten Monaten neu eröffnet wurden oder
kurz davor stehen. Die englischen Namen sind Programm. Denn bei diesen Schulen
geht es nicht um profanes Pauken, klassische Bildung oder schlicht die
Hochschulreife. «Globale Persönlichkeiten» will Avenues formen für die «grossen
Fragen der Menschheit». Die Schüler sollen so selbstverständlich mit
Kooperativen von Müllsammlern in São Paulo Apps entwickeln, wie sie sich mit
Kollegen ihres Jahrgangs in den Filialen in New York und bald Schanghai
austauschen, «in einem Klassenzimmer, verteilt über drei Kontinente». Bei
Concept («Der Schule von morgen») geht es schon in der Kinderkrippe
«dreisprachig» zu. Neben Portugiesisch und Englisch üben bereits Babys
spielerisch das Programmieren. Später sollen die Schüler einmal im Semester für
einen mehrwöchigen Austausch ins Silicon Valley, wo Concept in Mountain View
«direkt vor Google» eine Filiale hochziehen will.
In diese Eliteschulen haben ihre Besitzer massiv investiert. Bis zu 50
Mio. Dollar steckten sie alleine in bevorzugt traditionelle, heruntergekommene
Schulen in den besten Gegenden der brasilianischen Grossstädte, oder sie zogen
gleich ganz neue Gebäude hoch. In Singapur, Finnland und der Schweiz wurden
zudem Lehrer engagiert. Des Weiteren haben die neuen Schulkonzerne von den
besten Schulen in Brasilien pädagogische Leiter abgeworben oder bei Apple
gleich den Ausbildungschef.
Sehr langfristiger Horizont
Kein Wunder, dass diese Schulen teuer sind. Auch wohlhabende Brasilianer
schlucken leer angesichts der Schulgebühren. Zwischen 1800 und 3000 Dollar
kosten die Schulen monatlich, ohne die üblichen Nebenkosten wie Schulmaterial,
Verpflegung, Uniformen, Transport und Ausflüge. Mit diesem
«Ultra-Premium»-Segment für Eliteschulen weiten die privaten Schulbetreiber die
bereits zuvor hochpreisig angelegte Skala für Schulgebühren noch einmal
deutlich nach oben aus. Gewöhnungsbedürftig ist das aber auch für Europäer, für
die meist «kostenlose» öffentliche Schulen üblich sind.
Allerdings erwarten die Betreiber der neuen Privatschulen trotz diesen
Hochpreisen nun nicht, dass sich ihre neuen Institute kurzfristig rechnen
werden. Dazu seien die Klassen zu klein und die Kosten zu hoch. «Wir denken in
Investitionszyklen von zehn, zwanzig Jahren», sagt etwa Chaim Zaher, der
Concept entwickelt hat.
Zaher und seinen Konkurrenten geht es um etwas anderes. Mit Schulen wie
Concept, Avenues oder Red House wollen sie ihre Marken als
Bildungsinstitutionen stärken. Wie exklusive Flagship-Stores bei Konsumartikeln
soll ihr Glanz auf die Imperien, die sie gerade errichten, abfärben. Die
Unternehmer haben nämlich nicht nur Brasilien im Blick, sondern einen globalen
Markt. Dieser befindet sich im Entstehen, und die Dimensionen sind gewaltig.
Die Zahl der internationalen Schulen in den aufstrebenden Gesellschaften
Asiens, in Nahost und Lateinamerikas habe sich seit 2010 mehr als verdreifacht,
von 2600 auf rund 9000 Institute, schreibt der spezialisierte britische
Marktforscher ISC Research. Statt knapp einer Million Schüler lernen heute fünf
Millionen Kinder und Jugendliche an internationalen Schulen. Ihre Eltern
bezahlen dafür rund 50 Mrd. $ Schuldgeld im Jahr – das ist zehnmal so viel wie
noch vor sieben Jahren.
Der Grund für diesen Bildungsboom ist laut ISC, dass mit den wachsenden
Einkommen in den Emerging Markets auch die Nachfrage der Eltern nach besseren
Bildungsstandards für ihre Kinder zunimmt. Das Ziel sei der Studienplatz an
einer renommierten, meist westlichen Universität. «Das wird von vielen Familien
als ‹Pass› für globale Karrieremöglichkeiten und Wohlstand angesehen», heisst
es bei ISC.
Schulmarkt nun strategisch
Weitgehend unbemerkt von der mehrheitlich staatlichen Schullandschaft in
Europa entstehen in den Emerging Markets neue Bildungskonzerne. Laut einer
Untersuchung der brasilianischen Bank Itaú BBA gehören die Schulkonzerne GEMS
aus Dubai, Cognita aus Grossbritannien, Inspired aus Australien und Nord Anglia
Education aus Hongkong zu den Unternehmen weltweit mit dem höchsten
Wachstumspotenzial – neben den brasilianischen Kroton und Grupo SEB (Sistema
Educacional Brasileiro).
Die liefern sich gerade eine Übernahmeschlacht auf ihrem Heimatmarkt. So
hat Kroton – der grösste Universitätsbetreiber Brasiliens – vor einer Woche für
umgerechnet 1,8 Mrd. $ mit Somos einen der grössten Schulkonzerne Brasiliens
aufgekauft. Mit einem Marktgewicht von rund 8,5 Mrd. $ dürfte Kroton damit der
weltgrösste börsennotierte Bildungskonzern sein. Die kombinierten Unternehmen
machen einen Umsatz von insgesamt 2,2 Mrd. $. Bei SEB (Umsatz 2017: 200 Mio. $)
soll dessen Besitzer Zaher gerade 650 Mio. $ für ein Schulunternehmen aus den
USA bieten, das vor allem in Brasilien Geld verdient, aber auch in Miami und
dem restlichen Lateinamerika Schulen betreibt.
Beide Konzerne sind gut darauf vorbereitet, um im weltweiten
Schulsegment zu wachsen. Sie kennen das Geschäft von der Pike auf. Beide
Familienunternehmer sind mit dem privaten Bildungsgeschäft zu
Forbes-Milliardären geworden. Der 42-jährige Rodrigo Galindo von Kroton hat
genauso wie der etwa 65-jährige Zaher von SEB sein Unternehmen an die Börse
gebracht, um Kapital für die weitere Expansion zu erhalten. Nach den Fusionen
unter den Universitäten der letzten Jahre sei der Schulmarkt für die
Unternehmen heute strategisch geworden, sagt Ademar Batista Pereira vom Verband
der Privatschulen Brasiliens. Das Kapital dafür sei nun vorhanden.
Nach Schätzungen von Kroton ist der Umsatz auf dem gesamten Schulmarkt
Brasiliens rund zweimal so gross wie im Hochschulbereich. Insgesamt geht es
aber um mehr als Schulen. Das private, ausserakademische Bildungsgeschäft
besteht aus mehreren Segmenten: Neben den Privatschulen gibt es Institute, die
ausschliesslich Intensivkurse anbieten, um Schüler auf die landesweite
Maturaprüfung oder auf Universitäten vorzubereiten. Daneben gibt es
Sprachschulen und Fernuniversitäten.
Zu wichtigen Akteuren im Bildungsgeschäft zählen weiter
Schulbuchverlage, Entwickler von digitalem Lehrmaterial und Datenverarbeiter.
Diese verfügen über schwer einschätzbare Synergien und Potenziale. Fernando
Shayer, CEO beim gerade übernommenen Konzern Somos, prognostiziert ein
gewaltiges Wachstumspotenzial bei der Datenanalyse in der Bildung. Mit Big Data
könne man die Schüler individuell beraten, welches Material sie besser zum
Lernen benutzen sollten. Galindo von Kroton sieht den nächsten technologischen
Quantensprung beim Fernunterricht übers Internet. Bei den Fernuniversitäten
erlebe man gerade eine Revolution wie der Musikmarkt vor zwei Jahrzehnten.
Guter Platz an Universität
Es scheint erstaunlich, dass Schulkonzerne ausgerechnet von Brasilien
aus zu globalen Grössen ihrer Branchen aufsteigen wollen. Denn Brasilien
schneidet bei den Pisa-Studien der OECD regelmässig katastrophal ab. In
Mathematik und Lesefähigkeit zählen die brasilianischen Schüler zu den
schlechtesten weltweit. Die schlechte Qualität an den öffentlichen Schulen
dürfte aber gerade der Grund dafür sein, warum sich brasilianische Unternehmer
schon früh auf Privatschulen konzentriert haben. Die wachsende Nachfrage nach
guten Privatschulen gelte für viele Emerging Markets, schreibt ISC Research.
Denn es sei immer mehr Eltern bewusst, dass ihre Kinder für einen Platz an
einer begehrten Universität mehr brauchten als gute Noten an nationalen Schulen.
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