Die
Schule erfüllt eine der wichtigsten gesellschaftlichen Aufgaben. Doch die
Lehrerinnen und Lehrer, die diesen Service public leisten, sind häufig
angeschlagen und ausgebrannt: Viele kommen an die Grenze ihrer Kräfte, wie vor
kurzem eine Studie in der Westschweiz ergeben hat. Woran das liegt, weiss der
Psychologe Jürg Frick, der sich seit Jahren mit der Gesundheit im Lehrberuf
befasst.
Was tun gegen die Überforderung der Lehrer, SRF, 22.4. von Sabine Bitter
SRF: Was sind die grössten Belastungen von Lehrerinnen
und Lehrern?
Jürg Frick: Ein Problem im Lehrberuf ist,
dass man nie fertig ist: Sie können eine Unterrichtsstunde immer noch besser
vorbereiten, einen Ausflug noch attraktiver gestalten, jedes Jahr weitere
zusätzliche Projekte übernehmen und bei einem Problemfall noch mehr und noch
mehr Elterngespräche führen. Eine Schwierigkeit dabei ist, sich im richtigen
Moment von übermässigen Ansprüchen abzugrenzen – auch den eigenen.
Belastungen ergeben sich auch aus den
zunehmenden Ansprüchen von Eltern. Ich habe selbst eine Situation erlebt, in
der sich Eltern auf den Standpunkt stellten, dass ihr Sohn das Anrecht auf eine
gute Zeugnisnote habe. Schliesslich seien sie in der Gemeinde potente
Steuerzahler. Es kommt auch vor, dass Eltern mit einem Anwalt oder mit der
Presse drohen.
Wie sieht ein gesunder Arbeitsplatz in der Schule
aus?
Die Raumverhältnisse in einem Klassenzimmer sind
wichtig. Es braucht genügend grosse Schulzimmer mit einer guten Lüftung, denn
die CO2-Werte sind häufig sehr schlecht. Auch Lärmdämmung ist ein Thema: In
Deutschland ist Tinnitus eine anerkannte Berufskrankheit bei Lehrpersonen.
Es ist auch nicht in Ordnung, dass sie jahrelang in
provisorischen Pavillons unterrichten müssen, die auf dem Pausenplatz stehen.
Nötig sind zudem Räume, in denen sie sich erholen und auch einmal Pause machen
können.
Was kann die Schulleitung tun, um die Lehrkräfte zu
unterstützen?
Das beginnt schon bei der Anstellung. Nicht jede
Lehrperson eignet sich für jede Klasse. Es ist nicht sinnvoll, einem jungen
Lehrer, der frisch aus der Ausbildung kommt, eine Klasse zu übergeben, an der
sich erfahrene Lehrkräfte in den letzten Jahren schon die Zähne ausgebissen
haben.
Wichtig ist, dass die Schulleitung bereit ist, die
Lehrperson in einer schwierigen Situation anzuhören und bei der Lösung des
Problems zu unterstützen. Dazu gehört, auch einmal zu fragen, was eine
Lehrperson in einer spezifischen Situation braucht.
Wichtig und kostenlos ist weiter, dass sie den
Lehrerinnen und Lehrern gegenüber eine wertschätzende Haltung einnimmt. Zur
Kunst einer guten Schulleitung gehört auch, die Ansprüche der Bildungsbehörden
sinnvoll zu filtern. Hier ist weniger manchmal mehr.
Welche bildungspolitischen Massnahmen wären nötig?
Pointiert gesagt, wäre schon einiges getan, wenn
die Schulbehörden die Erkenntnisse der Gesundheitsforschung ernst nehmen
würden. Unterrichten ist neben der Vermittlung von Wissen intensive
Beziehungsarbeit, was bei einer Klassengrösse von bis zu 25 Kindern kaum zu
leisten ist.
Kleinere Klassen sind deshalb ein vordringliches
Anliegen, umso mehr, als die individuelle Förderung der Schülerinnen und
Schüler wichtiger geworden ist. Nötig sind auch genügend Stunden für die
Integration durch Heilpädagoginnen. Das kostet. Und es kommt sofort das
Argument, es sei naiv, mehr Geld für die Schule lockerzumachen.
Anderseits können die Lehrkräfte als die
wichtigsten «Personalentwickler der Nation» betrachtet werden. Es geht also um
die Frage, was eine Gesellschaft in die Bildung der zukünftigen Generation
investieren will.
Und was können Lehrkräfte selbst tun, um in ihrem
anspruchsvollen Beruf auf Dauer gesund zu bleiben?
Eine gute Ausbildung ist wichtig. Entscheidend ist
die Fähigkeit, eine Klasse gut führen zu können. Vorteilhaft ist weiter, dass
sich Lehrpersonen selber auch als Lernende sehen können, dass sie sich nicht
schämen, wenn sie Schwierigkeiten haben, sondern Hilfe holen – sei es im
Kollegium, bei der Schulleitung oder ausserhalb.
Es braucht immer auch eine Reflexion darüber, ob
die eigene Art und Weise, mit Problemen umzugehen, angemessen ist. In all
diesen Bereichen gibt es in der Schweiz ein ausgebautes Angebot an
Weiterbildungsmöglichkeiten.
Das Gespräch führte Sabine Bitter.
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