2. April 2018

Lehrplan für Sonderschüler

Im Bereich der Sonderschulbildung stösst der Lehrplan 21 an seine Grenzen. Mehrere Kantone arbeiten deshalb an einem separaten Projekt. Statt auf «Kompetenzen» setzt dieses auf «Befähigungen».
Neuer Lehrplan für Kinder mit Behinderungen, Luzerner Zeitung, 1.4. von Ismail Osman


Ein Lehrplan ist im Grunde der Auftrag der Gesellschaft an die Schule. Was soll diese den Schülerinnen und Schülern vermitteln? Auch die Sonderschulen für Kinder und Jugendliche mit bestimmten Behinderungsformen oder Lern- und Verhaltensschwierigkeiten müssen sich an einem Lernplan orientieren. Dass in diesem Bereich andere Lernziele gesteckt werden müssen als in der Regelschule, ist klar.

Der Lehrplan 21 stösst diesbezüglich an seine Grenzen. Dies zumindest nach Ansicht von mehreren Deutschschweizer Kantonen, zu denen auch Luzern, Uri, Schwyz, Obwalden, Nidwalden und Zug gehören. Sie beteiligen sich am Projekt «Befähigungsbereiche zum Lehrplan 21». Charles Vincent, Leiter der Dienststelle Volksschulbildung des Kantons Luzern, erklärt: «Es geht darum, Lernziele für jene Kinder und Jugendlichen zu erarbeiten, welche die Kompetenzen des Lehrplans nicht erreichen.» Konkret betrifft dies vorab geistig schwerbehinderte Schülerinnen und Schüler, welche die Kompetenzen des ersten Grundzyklus – also bis und mit der 2. Primarklasse – nicht erreichen können. «Der Lehrplan 21 ist in diesem Bereich nicht sehr aussagekräftig», sagt Vincent.

Fallbeispiele zeigen Anknüpfungspunkte auf
Der Lehrplan 21 lässt das Thema Sonderschulung nicht komplett aus. So erschien Ende Januar ein Fachbericht der Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz (D-EDK) zum Thema «Sonderschulung und Lehrplan 21».

Der Bericht enthält unter anderem auch Fallbeispiele von Kindern und Jugendlichen mit verschiedensten Beeinträchtigungen und zeigt auf, wie und welche Ziele aus dem Lehrplan 21 erreicht werden können. Das Beispiel «Adrian» etwa beschreibt einen 16-Jährigen, der eine mittelgradige Schwerhörigkeit hat und mittels integrierter Sonderschulung einer 3. Sekundarschulklasse der Regelschule angehört. «Bianca» (9) wurde mehrmals fremdplatziert und besucht wegen ihres Lern-, Arbeits- und Sozialverhaltens eine Sonderschule. Und «Daniel» (6) hat eine verminderte Intelligenz und ist zudem auf einen Rollstuhl angewiesen.

«Beim Projekt ‹Befähigungsbereiche› geht es jedoch um jene Kinder und Jugendlichen, bei denen eine Schulbildung im herkömmlichen Sinn praktisch unmöglich ist», erklärt Charles Vincent. Keines der im erwähnten Fachbericht aufgeführten Fallbeispiele geht auf die Lernziele von kognitiv schwerstbehinderten Kindern ein, die kaum oder gar nicht die Grundkompetenzen des Lehrplans erreichen. «Es geht zwar um eine insgesamt sehr kleine Zahl, etwa 1,5 Prozent aller Luzerner Lernenden oder rund 550 Personen», so Vincent. «Aber es sind genug, um sich im grösseren Rahmen Gedanken über ihre Bildung zu machen.»

Befähigungen sind noch näher zu definieren
Unter dem Lead der Pädagogischen Hochschule Zürich und der Hochschule für Heilpädagogik Zürich wird nun das Projekt «Befähigungsbereiche zum Lehrplan 21» ausgearbeitet. Statt den im Lehrplan enthaltenen Kompetenzen sollen sechs bis acht Befähigungsbereiche definiert werden. Darunter wird zum Beispiel die Fähigkeit der Schülerin oder des Schülers verstanden, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Die Fragestellung lautet also: Wie oder mittels welcher Handlung soll das Kind zu was befähigt werden? Diese noch zu definierenden Befähigungsbereiche sollen Bezüge zum Lehrplan 21 haben. «Es ist in diesem Sinne als Folgeprojekt des Lehrplans 21 zu verstehen», sagt Charles Vincent.

Eine erste Inkarnation des Projekts trug den Titel «Kompetenzstufen für den sonderpädagogischen Bereich». Bei einem Hearing im Juni 2017 stiess dieses jedoch bei den in der Steuergruppe vertretenen Kantonen auf Ablehnung. Seither wurde die Leitung des Projekts ausgewechselt und die Neuausrichtung weg von den Kompetenzen und hin zu Befähigungsbereichen veranlasst.

Gemäss aktuellem Zeitplan soll der neue Entwurf am 19. Juni im Rahmen eines weiteren Hearings beraten werden. Ziel ist es, im Mai 2019 die Schlussversion durch die Projektkantone verabschieden zu lassen.



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