Im Bereich der Sonderschulbildung
stösst der Lehrplan 21 an seine Grenzen. Mehrere Kantone arbeiten deshalb an
einem separaten Projekt. Statt auf «Kompetenzen» setzt dieses auf
«Befähigungen».
Neuer Lehrplan für Kinder mit Behinderungen, Luzerner Zeitung, 1.4. von Ismail Osman
Ein Lehrplan ist im Grunde der Auftrag der Gesellschaft an die Schule.
Was soll diese den Schülerinnen und Schülern vermitteln? Auch die Sonderschulen
für Kinder und Jugendliche mit bestimmten Behinderungsformen oder Lern- und
Verhaltensschwierigkeiten müssen sich an einem Lernplan orientieren. Dass in
diesem Bereich andere Lernziele gesteckt werden müssen als in der Regelschule,
ist klar.
Der Lehrplan 21 stösst diesbezüglich an seine Grenzen. Dies zumindest
nach Ansicht von mehreren Deutschschweizer Kantonen, zu denen auch Luzern, Uri,
Schwyz, Obwalden, Nidwalden und Zug gehören. Sie beteiligen sich am Projekt
«Befähigungsbereiche zum Lehrplan 21». Charles Vincent, Leiter der Dienststelle
Volksschulbildung des Kantons Luzern, erklärt: «Es geht darum, Lernziele für
jene Kinder und Jugendlichen zu erarbeiten, welche die Kompetenzen des
Lehrplans nicht erreichen.» Konkret betrifft dies vorab geistig
schwerbehinderte Schülerinnen und Schüler, welche die Kompetenzen des ersten
Grundzyklus – also bis und mit der 2. Primarklasse – nicht erreichen können.
«Der Lehrplan 21 ist in diesem Bereich nicht sehr aussagekräftig», sagt
Vincent.
Fallbeispiele
zeigen Anknüpfungspunkte auf
Der Lehrplan 21 lässt das Thema Sonderschulung nicht komplett aus. So
erschien Ende Januar ein Fachbericht der Deutschschweizer
Erziehungsdirektoren-Konferenz (D-EDK) zum Thema «Sonderschulung und Lehrplan
21».
Der Bericht enthält unter anderem auch Fallbeispiele von Kindern und
Jugendlichen mit verschiedensten Beeinträchtigungen und zeigt auf, wie und
welche Ziele aus dem Lehrplan 21 erreicht werden können. Das Beispiel «Adrian»
etwa beschreibt einen 16-Jährigen, der eine mittelgradige Schwerhörigkeit hat
und mittels integrierter Sonderschulung einer 3. Sekundarschulklasse der
Regelschule angehört. «Bianca» (9) wurde mehrmals fremdplatziert und besucht
wegen ihres Lern-, Arbeits- und Sozialverhaltens eine Sonderschule. Und
«Daniel» (6) hat eine verminderte Intelligenz und ist zudem auf einen Rollstuhl
angewiesen.
«Beim Projekt ‹Befähigungsbereiche› geht es jedoch um jene Kinder und
Jugendlichen, bei denen eine Schulbildung im herkömmlichen Sinn praktisch
unmöglich ist», erklärt Charles Vincent. Keines der im erwähnten Fachbericht
aufgeführten Fallbeispiele geht auf die Lernziele von kognitiv
schwerstbehinderten Kindern ein, die kaum oder gar nicht die Grundkompetenzen
des Lehrplans erreichen. «Es geht zwar um eine insgesamt sehr kleine Zahl, etwa
1,5 Prozent aller Luzerner Lernenden oder rund 550 Personen», so Vincent. «Aber
es sind genug, um sich im grösseren Rahmen Gedanken über ihre Bildung zu
machen.»
Befähigungen sind
noch näher zu definieren
Unter dem Lead der Pädagogischen Hochschule Zürich und der Hochschule
für Heilpädagogik Zürich wird nun das Projekt «Befähigungsbereiche zum Lehrplan
21» ausgearbeitet. Statt den im Lehrplan enthaltenen Kompetenzen sollen sechs
bis acht Befähigungsbereiche definiert werden. Darunter wird zum Beispiel die
Fähigkeit der Schülerin oder des Schülers verstanden, ein selbstbestimmtes
Leben zu führen. Die Fragestellung lautet also: Wie oder mittels welcher
Handlung soll das Kind zu was befähigt werden? Diese noch zu definierenden
Befähigungsbereiche sollen Bezüge zum Lehrplan 21 haben. «Es ist in diesem
Sinne als Folgeprojekt des Lehrplans 21 zu verstehen», sagt Charles Vincent.
Eine erste Inkarnation des Projekts trug den Titel «Kompetenzstufen für
den sonderpädagogischen Bereich». Bei einem Hearing im Juni 2017 stiess dieses
jedoch bei den in der Steuergruppe vertretenen Kantonen auf Ablehnung. Seither
wurde die Leitung des Projekts ausgewechselt und die Neuausrichtung weg von den
Kompetenzen und hin zu Befähigungsbereichen veranlasst.
Gemäss aktuellem Zeitplan soll der neue Entwurf am 19. Juni im Rahmen
eines weiteren Hearings beraten werden. Ziel ist es, im Mai 2019 die
Schlussversion durch die Projektkantone verabschieden zu lassen.
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