Zerstört eine frühe Einschulung, wie Macron sie plant, das Familienleben
– oder stärkt sie die Chancengleichheit? Erfahrungen aus Frankreich, der
Schweiz und Spanien
Mit drei zur Schule, Zeit, 31.3. von Elisabeth Kagermeier, Annika
Joeres, Matthias Daum und Julia Macher
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat angekündigt, dass alle Kinder
in seinem Land künftig mit drei Jahren zur Schule gehen
sollen. In Deutschland wäre das undenkbar: Hier gilt die Schulpflicht ab sechs Jahren, davor wird
gespielt. Es herrscht zwar ein Konsens über die Bedeutung frühkindlicher
Bildung, und einzelne Bildungsexperten und Lokalpolitiker argumentieren, eine
Kindergartenpflicht stärke die Chancengleichheit.
Deswegen haben deutsche Eltern seit 1996 einen Rechtsanspruch auf einen
Kindergartenplatz ab drei Jahren, seit 2013 sogar ab dem ersten
Geburtstag.
Aber eine Kitapflicht, wendet die
Mehrheit ein, zerstöre das Familienleben. Stattdessen fordert die neue
Familienministerin Franziska Giffey mehr Qualität in den Kitas. So sollen
kleine Kinder dazu angeregt und nicht dazu gezwungen werden, Deutsch zu
sprechen, zu turnen, mit Musikinstrumenten oder draußen mit Matsch und Stöcken
zu experimentieren. Gegen eine Kitapflicht sprechen auch die derzeitigen
Kosten: Kitas gelten als Dienstleistung für berufstätige Eltern, deswegen
zahlen sie meist Gebühren dafür. Je jünger die Kinder sind, desto höher sind
die Gebühren. In manchen Bundesländern gibt es inzwischen kostenfreie
Kitajahre, und im Koalitionsvertrag streben Union und SPD vage an, alle Kindergärten
und Kitas kostenfrei zu machen. Das wäre eine erste Voraussetzung für eine
Kitapflicht.
Nicht nur im Vergleich zu Deutschland ist Frankreichs Weg
außergewöhnlich. Europäische Länder gehen sehr unterschiedlich mit
frühkindlicher Bildung um. In Österreich müssen seit 2010 Kinder ab fünf Jahren
für ein Jahr verpflichtend eine Kindereinrichtung besuchen, mindestens 20
Stunden pro Woche auf fünf Werktage verteilt. Während der Schulferien entfällt
die Pflicht. Fernbleiben ist an höchstens drei Wochen im Jahr erlaubt, egal ob
die Kinder wegen Krankheit oder Urlaub entschuldigt sind.
Lesen Sie hier, wie es Frankreich, Spanien und die Schweiz halten.
Frankreich: Alle sollen die gleichen
Wörter lernen
Mit dem verpflichtenden Schulbesuch ab drei Jahren sollen nach dem
Willen der französischen Regierung alle Kinder dieselben Startchancen erhalten.
Dabei gehen in Frankreich ohnehin fast alle Jungen und Mädchen schon vor der
Grundschule in die sogenannte école maternelle: 97 Prozent waren es
2017. Für die meisten französischen Familien findet die Einschulung schon mit
drei Jahren statt. Wer seinen Nachwuchs später zur Schule schickt, ist oft
religiös, christlich wie muslimisch, oder wohnt in Überseegebieten wie Mayotte.
Die écoles maternelles funktionieren ähnlich wie
Schulen: Sie beginnen für alle Altersstufen jeden Morgen pünktlich um 8.30 Uhr.
Dreijährige lernen zählen, Vierjährige malen ihre ersten Buchstaben, und
Fünfjährige nehmen ein Zeugnis mit nach Hause. Darin steht, ob sie schon kurze
Wörter schreiben, Dreiecke und Vierecke auseinanderhalten und Geschichten vom
Wochenende erzählen können. Die Kleinen lernen in Klassen mit 25 bis 30
Kindern, unterrichtet werden sie von einer Lehrerin und einer Hilfskraft. Ab
16.30 Uhr können sie abgeholt werden oder noch in der Betreuung bleiben. Die
langen Zeiten und großen Gruppen verwundern viele deutsche Eltern. Französische
Eltern aber sind daran gewöhnt: Vier von fünf Frauen arbeiten trotz Kinder in
Vollzeit weiter. Selbst die Krippen für Babys ab drei Monaten sind bis abends
um halb sieben oder länger geöffnet – und gut besucht.
Durch das neue Gesetz will Macron hervorheben, wie wichtig seiner Meinung nach die
ersten Lernjahre sind. Gerade beraten Bildungsexperten über das
Programm der künftigen maternelle: Vor allem die Sprachfähigkeit
der Kleinen soll gefördert werden. Denn wie Bildungsminister Jean-Michel
Blanquer gerne erwähnt: Ein Kind aus einem privilegierten Elternhaus hat bis zu
seinem vierten Lebensjahr insgesamt 30 Millionen Wörter mehr gehört als ein
Kind mit weniger gebildeten oder sprachfaulen Eltern. Ab dem Schuljahr 2019
sollen nun wirklich alle kleinen Franzosen und Französinnen gleich viele Wörter
hören – in der Schule und nicht zu Hause.
von Annika Joeres, Paris
Schweiz: Zähneputzen steht im
Lehrplan
In Schweizer Kindergärten wird ebenfalls nicht nur gespielt, sondern
nach Lehrplan gelernt: Tierezeichnen, Liedersingen oder
Sich-alleine-die-Zähne-Putzen. Für Ferien oder Feiertage gelten die gleichen
Regeln wie später: Urlaub nur während der offiziellen Schulferien, und wer
nicht kommt, muss es begründen.
Diese Regelung begann in der Schweiz mit der großen Bildungsreform
Harmos vor gut zehn Jahren. Sie vereinheitlichte die vorher
unterschiedlichen Schulsysteme. So sollten es Kinder in der Schule leichter
haben, wenn sie von einem Schweizer Gliedstaat in einen anderen umziehen. Mit
der Reform kam auch die frühere Schulpflicht. Kinder werden nun im Alter von
vier Jahren eingeschult, die obligatorische Schulzeit dauert nun elf statt wie
bisher neun Jahre.
Die damalige Diskussion über Harmos glich einem Kulturkampf: Von
"Staatskindern" war die Rede und von "Erziehungskolchosen".
Für die Kleinsten änderte sich aber nicht viel. Bereits vor der Bildungsreform
besuchten 86 Prozent aller Kinder zwei Jahre lang einen Kindergarten. Auch
heute können Eltern noch den Eintritt in den Kindergarten um ein Jahr
verschieben, wenn sie das Gefühl haben, ihre Tochter oder ihr Sohn sei noch
nicht reif genug.
Krach gab es
trotzdem, nämlich bei der Frage, welche Sprache im Kindergarten gesprochen
werden soll: Mundart oder Hochdeutsch? Entscheiden konnten das die
einzelnen Gliedstaaten beziehungsweise die Bürgerinnen und
Bürger in mehreren Volksabstimmungen.
von Matthias Daum, Zürich
Spanien: Schulpflicht mit drei – nur
indirekt
Wer in Madrid, Barcelona oder Sevilla einen Dreijährigen fragt, ob er
schon ins cole geht, erntet fast immer ein stolzes Nicken. Die
Schulpflicht beginnt zwar auch in Spanien erst mit sechs Jahren, aber knapp 96
Prozent der spanischen Eltern schicken ihre Kinder ab drei Jahren zur
Vorschule. Im Baskenland und im Großraum Madrid ist die Quote mit fast 100
Prozent am höchsten, auf den Kanarischen Inseln und in den Exklaven Ceuta und
Melilla am niedrigsten.
Spaniens Politiker und
Erziehungsexperten feiern die frühe De-facto-Einschulung als großen Erfolg. Für
die meisten Familien ist die Betreuung aber schlicht eine Notwendigkeit: In der
Regel arbeiten beide Elternteile, und die spanischen Arbeitszeiten sind im
europäischen Vergleich überdurchschnittlich lang.
Außerdem fördert die spanische Schulstruktur eine frühe Einschulung.
Vorschulen sind räumlich und organisatorisch an Grundschulen angegliedert. Die
pädagogischen Konzepte der Grundschulen unterscheiden sich jeweils stark,
deshalb gilt die Wahl der passenden Grundschule als wegweisend für die spätere
Laufbahn des Kindes. Weil die Plätze für gute Grundschulen begehrt sind und der
Besuch einer Vorschule einen Platz in der dazugehörigen Grundschule garantiert,
beeilen sich viele spanische Eltern mit der Einschulung. Wer mit drei
angemeldet wird, bleibt oft bis zum Ende der sechsten Klasse sogar im gleichen
Klassenverband. Wer hingegen bis sechs zu Hause geblieben ist, bekommt einen
Platz zugewiesen – je nachdem, wo noch einer frei ist. Alternativ können Eltern
den Nachwuchs an einer kostenpflichtigen privaten oder halbprivaten Schule
anmelden.
Die Schulglocke läutet für alle spanischen Kinder in der Regel um neun,
der Unterricht endet zwischen 16 und 17 Uhr. Turnhalle, Musikraum und Kantine
werden geteilt. Die erzieherischen Leitlinien gelten für alle Schülerinnen und
Schüler.
Seit 2006 garantiert Spanien jedem Kind ab drei Jahren einen Platz in
den kostenlosen Kinderschulen. Gesetzliches Ziel ist die "physische,
affektive, soziale und intellektuelle Entwicklung der Kinder". Zusätzlich
zum öffentlichen Angebot schließen die Verwaltungen Abkommen mit gemeinnützigen
Einrichtungen ab. Die halbprivaten escuelas concertadashaben häufig
ein religiöses Profil und genießen größere Lehrfreiheit.
Engpässe gibt es vor allem bei der Betreuung von unter Dreijährigen. In
Spanien gibt es weder Elterngeld noch Elternzeit, und der gesetzliche
Mutterschutz endet nach 16 Wochen. Plätze an subventionierten öffentlichen
Kitas sind selten, und private Kitas sind teuer. Nur 34 Prozent der Familien
mit geringerem Einkommen lassen ihr Kleinkind außer Haus betreuen. Bei den Familien
mit höherem Einkommen sind es 56 Prozent. Der spanische Kongress hat deshalb im
letzten Jahr die Regierung aufgefordert, auch für unter Dreijährige eine
kostenlose Betreuung zu garantieren.
von Julia Macher, Barcelona
Danke, dass du so einen netten Beitrag geschrieben hast. Dieser Blog ist informativ für Benutzer.
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