2. April 2018

Digital first, Bedenken second

An vielen Schulen in Deutschland sind Smartphones nicht als Lösung bekannt – sondern als Problem. Auch wenn es viele fordern: Die Digitalisierung ist keine bildungspolitische Notwendigkeit.
Grosser Unfug, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.3. von Jürgen Kaube


Die Schulen müssen digitalisiert werden. So heißt es landauf, landab und so gut wie unabhängig von sonstigen Positionen in der Bildungspolitik. Im Koalitionsvertrag sind fünf Milliarden Euro in den kommenden fünf Jahren dafür vorgesehen. Dass das kaum ausreichen wird, um alle Schulen und alle Schüler mit dem auszustatten, was man sich an Servern, Clouds, W-Lan-Anschlüssen und Endgeräten (Smartphones, Tablets, PCs) so vorstellt, geht aus einfachen Rechnungen hervor. Manche halten die dreifache Summe für nötig.

Als in einer Glosse in der F.A.Z. die immensen Kosten einer Digitalisierung der Schule angedeutet wurden, schrieb uns ein geneigter Leser, wir hätten nicht richtig gerechnet. Schulbücher kosteten ja auch Geld. Wir hatten tatsächlich vergessen zu erwähnen, dass in all den Milliarden für die Hardware die Kosten für Schulbücher noch gar nicht enthalten sind. Denn die würden der digitalisierten Schule ja von den entsprechenden Verlagen alle noch einmal verkauft, nämlich digital. Zusätzlich eigens für die Schule entwickelte Lernprogramme, Sicherheitssoftware – Schulbücher kann man nicht hacken und auf Kreidetafeln keine Videos hochladen, die unter den Jugendschutz fallen –, samt all den Weiterbildungskursen, die für eine Digitalisierung auch der Lehrerschaft sorgen sollen. Man kann den Schulträgern schon jetzt viel Tapferkeit beim Durchkalkulieren des Modells „Digital first, Bedenken second“ wünschen.

Welchen Beitrag stiftet das Internet als Lernmittel?

Die Schulministerin von Nordrhein-Westfalen, Yvonne Gebauer (FDP), hat darum einen Vorschlag gemacht, wie private Initiative hier helfen kann. Die Schüler hätten ja schon fast alle ein Smartphone, sollten sie es doch in den Unterricht mitbringen dürfen. Wie viele „fast alle“ sind, ist dabei nur die eine Frage, an der ein paar Fußnoten zum Thema „Lehrmittelfreiheit“ hängen. Die viel wichtigere zweite wäre, was die Schüler in den Klassenzimmern denn mit ihren Telefonen machen sollen. Allgemeiner formuliert: Was ist denn, wenn die digitale Industrie ihr großes Geschäft mit den Schulen (etwa elf Millionen Schüler) gemacht haben wird, der Beitrag des Internets als Lehrmittel? Wenn alle Geräte verteilt, an jeder Schule Geräteverwalter und Techniker eingestellt, alle Sicherheitsprobleme gelöst sind und nach dem ersten Jahr digitaler Schule auch feststeht, wie hoch der Verschleiß ist – auf welche Weise bewegt sich denn dann der Unterricht in Richtung Zukunft?
An vielen Schulen dieses Landes sind Smartphones nicht als Lösung, sondern als Problem bekannt. Man hat darum mancherorts die Nutzung der Geräte im Bereich der Schule untersagt: um Ablenkung im Unterricht zu verhindern. Um die Schule nicht zur Versammlung isoliert computerspielender oder filmchenschauender Atome zu machen, die sich der Bildschirme halber nur noch in den schattigen Zonen des Pausenhofs bewegen. Um Cybermobbing wenigstens ein paar Stunden lang zu verhindern.
Die Behauptung, es handele sich bei Smartphones in Händen von Kindern und Jugendlichen in erster Linie um Instrumente der Wissensgesellschaft, ist abenteuerlich. Wenn das Smartphone einer Zwölfjährigen ein Wochenende lang nicht benutzt worden ist, sind, sobald es am Sonntagabend wieder eingeschaltet wird, leicht 150 Whatsapp-Meldungen eingetroffen. Nicht selten sind sie nach 22 Uhr abgesendet worden. Die Post besteht dabei größtenteils aus Fotos, Emojis und „Hi!“- und „Wie geht’s“-Mitteilungen samt üblichem Klatsch. Und dann und wann ein Schulbezug. Die Ausrede ist, man benötige solche elektronische Gruppenbildung, um sich über Hausaufgaben auszutauschen. Die Schüler sind heute genauso wenig um solche Sprüche verlegen wie frühere Generationen.

Es sind die Erwachsenen, die inzwischen gern auf jede Phrase hereinfallen, solange sie sich nur nach Zukunft, Innovation und Silicon Valley anhört. Phrasen wie „Standortsicherung“ – als müsse um des Hervorbringens von mehr Informatikern willen die gesamte Schule digitalisiert werden. Phrasen wie „individualisiertes Lernen“ – bei gleichbleibender Verarbeitungskapazität des Lehrers? Phrasen wie „Internetkompetenz“ – als hätte die irgendjemand von denen, die sie für Schüler fordern, oder könnten die auch nur sagen, worin sie denn bestünde. Phrasen wie „Multitasking“: Neun von zehn College-Studenten in den Vereinigten Staaten gaben schon vor fünf Jahren an, dass sie während des Unterrichts Nachrichten versendeten. Dass weniger gelernt wird, wenn die Laptops aufgeklappt sind, ist vielfach nachgewiesen und auch nicht erstaunlich. Es gibt so viel Lustigeres als Lernen oder auch nur Zuhören. Und das sollte für Jüngere in den Schulen anders sein?

Das Gegenargument, auch früher hätten die Schüler Wege gefunden, um sich geistig aus dem Unterricht davonzumachen, greift am Problem vorbei. Denn gefragt wird ja nach dem Nutzen der Digitalisierung, nicht danach, ob die gelangweilte oder sich ablenkende Klasse vermieden werden kann. Kann sie es nicht, müssten dafür auch nicht die Schulen umgerüstet werden. Und zwar zu Kosten, die einmal jemand in Lehrerstellen umrechnen sollte, damit die Dimension des Unfugs sichtbar wird, der gerade als bildungspolitische Notwendigkeit gilt.

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