Sie kochen für die kranke
Mutter, erledigen die Wäsche, lesen dem bettlägerigen Grossvater vor oder baden
die kleine Schwester: Die sogenannten Young Carers haben viele Gesichter. Meist
sind sie für Aussenstehende nicht als solche erkennbar. «Sie wollen nicht
anders sein als die anderen und geben sich alle Mühe zu verbergen, wie stark
sie leiden», sagt Agnes Leu, Professorin an der Zürcher Kalaidos
Fachhochschule. Sie leitet bei Careum ein Forschungsprogramm zum Thema.
Viele Kinder kümmern sich um kranke Angehörige, NZZaS, 1.4. von René Donzé
Die ersten Ergebnisse erstaunen selbst die Expertin: 8 Prozent
aller Kinder im Alter zwischen 10 und 15 Jahren nehmen Betreuungsaufgaben in
ihrem privaten Umfeld wahr. Die Zahlen sind repräsentativ und beruhen auf einer
Online-Befragung in 230 Schweizer Schulen. «Bisher sind wir aufgrund von
Schätzungen etwa von halb so vielen Betroffenen ausgegangen», sagt Leu. Der
Geschlechterunterschied ist relativ gering: Bei den Mädchen sind es 9,2
Prozent, bei den Knaben 6,6 Prozent. Im Erwachsenenalter sind es dann fast nur
Frauen, die Angehörige pflegen.
«Die Grenze zwischen normaler Mithilfe im Haushalt und belastender
Pflege ist fliessend», sagt Leu. Nicht jeder Handgriff von Kindern mache diese
gleich zu Young Carers; es muss eine belastende Situation vorliegen. Diese hat
oft Einfluss auf die schulische Leistung. Die Kinder sind dann müde und
unkonzentriert. Die Umfrage ergab für je etwa ein Drittel der Betroffenen eine
geringe oder moderate Belastung, bei 22 Prozent ist sie hoch, bei 16 Prozent
sehr hoch.
Leu stellt ein wachsendes Problembewusstsein fest: In einer
früheren Befragung bei Fachleuten aus Bildung, Sozial- und Gesundheitswesen
gaben rund 40 Prozent an, dass sie bereits mit Young Carers zu tun hatten. Der
Bund will pflegende Angehörige entlasten und hat dafür ein nationales Förderprogramm
lanciert; dabei geht es um Pflegende jeden Alters. «Der Bund hat erkannt, dass
auch Kinder zusätzliche Aufgaben übernehmen, wenn Eltern erkranken», sagt
Daniel Dauwalder, Sprecher des Bundesamts für Gesundheit. In einer ersten Phase
werden die Bedürfnisse der Betroffenen untersucht. Später sollen
Unterstützungs- und Entlastungsangebote gefördert werden.
Allerdings ist das Bundesprogramm auf Erwachsene ausgerichtet. Es
geht auch darum, dass pflegende Angehörige der Wirtschaft teilweise als
Fachkräfte verloren gehen. Die Zürcher Nationalrätin Barbara Schmid-Federer
(cvp.) hat schon mehrmals auf die Situation der Kinder und Jugendlichen
hingewiesen und vom Bundesrat die Zusicherung erhalten, dass diese nicht
vergessen gehen. Dennoch fürchtet sie, dass sie «zwischen Stuhl und Bank
fallen», wie sie sagt: «Hier fliessen die Bereiche Gesundheit und Bildung
ineinander, hier braucht es koordinierte, gemeinsame Anstrengungen.»
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