1. April 2018

Kinder helfen Angehörigen


Sie kochen für die kranke Mutter, erledigen die Wäsche, lesen dem bettlägerigen Grossvater vor oder baden die kleine Schwester: Die sogenannten Young Carers haben viele Gesichter. Meist sind sie für Aussenstehende nicht als solche erkennbar. «Sie wollen nicht anders sein als die anderen und geben sich alle Mühe zu verbergen, wie stark sie leiden», sagt Agnes Leu, Professorin an der Zürcher Kalaidos Fachhochschule. Sie leitet bei Careum ein Forschungsprogramm zum Thema.
Viele Kinder kümmern sich um kranke Angehörige, NZZaS, 1.4. von René Donzé


Die ersten Ergebnisse erstaunen selbst die Expertin: 8 Prozent aller Kinder im Alter zwischen 10 und 15 Jahren nehmen Betreuungsaufgaben in ihrem privaten Umfeld wahr. Die Zahlen sind repräsentativ und beruhen auf einer Online-Befragung in 230 Schweizer Schulen. «Bisher sind wir aufgrund von Schätzungen etwa von halb so vielen Betroffenen ausgegangen», sagt Leu. Der Geschlechterunterschied ist relativ gering: Bei den Mädchen sind es 9,2 Prozent, bei den Knaben 6,6 Prozent. Im Erwachsenenalter sind es dann fast nur Frauen, die Angehörige pflegen.

«Die Grenze zwischen normaler Mithilfe im Haushalt und belastender Pflege ist fliessend», sagt Leu. Nicht jeder Handgriff von Kindern mache diese gleich zu Young Carers; es muss eine belastende Situation vorliegen. Diese hat oft Einfluss auf die schulische Leistung. Die Kinder sind dann müde und unkonzentriert. Die Umfrage ergab für je etwa ein Drittel der Betroffenen eine geringe oder moderate Belastung, bei 22 Prozent ist sie hoch, bei 16 Prozent sehr hoch.

Leu stellt ein wachsendes Problembewusstsein fest: In einer früheren Befragung bei Fachleuten aus Bildung, Sozial- und Gesundheitswesen gaben rund 40 Prozent an, dass sie bereits mit Young Carers zu tun hatten. Der Bund will pflegende Angehörige entlasten und hat dafür ein nationales Förderprogramm lanciert; dabei geht es um Pflegende jeden Alters. «Der Bund hat erkannt, dass auch Kinder zusätzliche Aufgaben übernehmen, wenn Eltern erkranken», sagt Daniel Dauwalder, Sprecher des Bundesamts für Gesundheit. In einer ersten Phase werden die Bedürfnisse der Betroffenen untersucht. Später sollen Unterstützungs- und Entlastungsangebote gefördert werden.

Allerdings ist das Bundesprogramm auf Erwachsene ausgerichtet. Es geht auch darum, dass pflegende Angehörige der Wirtschaft teilweise als Fachkräfte verloren gehen. Die Zürcher Nationalrätin Barbara Schmid-Federer (cvp.) hat schon mehrmals auf die Situation der Kinder und Jugendlichen hingewiesen und vom Bundesrat die Zusicherung erhalten, dass diese nicht vergessen gehen. Dennoch fürchtet sie, dass sie «zwischen Stuhl und Bank fallen», wie sie sagt: «Hier fliessen die Bereiche Gesundheit und Bildung ineinander, hier braucht es koordinierte, gemeinsame Anstrengungen.»


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