6. April 2018

Bei Passepartout fällt ein Dominostein nach dem andern

«Das Ziel ist klar: Passepartout will den Fremdsprachenunterricht verbessern.» Deutlicher lässt sich der Anspruch der sechs Kantone Bern, Basel-Stadt, Baselland, Solothurn, Freiburg und Wallis an das Sprachenkonzept ihrer Schulen nicht formulieren. 50 Millionen Franken haben die Kantone in die neuen Lehrmittel «Mille feuilles», «Clin d’œil» und «New World» investiert. Doch während die Verantwortlichen das Projekt noch immer hochloben, versagt es in der Realität. Das sinkende Schiff dürfte nicht mehr zu retten sein.
Im Kanton Baselland hat der Landrat den Ausstieg aus dem Projekt Passepartout beschlossen. Im Kanton Solothurn hat Bildungsdirektor Remo Ankli die Notbremse gezogen und das Lehrbuch «Clin d’œil» im obersten Niveau der Sekundarschule aus dem Verkehr gezogen. Im Kanton Bern sind die schriftlichen Französisch-Prüfungen fürs Gymnasium wegen mangelhaften Voraussetzungen abgesagt worden. Baselland, Bern und Wallis beschlossen, die überlang konzipierte Ausbildung für die Lehrkräfte abzukürzen. Eiligst wurden für den Unterricht Zusatzlehrmittel und eine Überarbeitung von «Mille feuilles» in Auftrag gegeben. Und weil der Kanton Wallis nicht warten mochte und Druck machte, wurde den Schulen «als Zwischenlösung», wie es Projektleiter Reto Furter nennt, ein neues Materialset abgegeben. «Dass die Überarbeitung so lange dauert, ist ein Problem», sagte Furter dem «Regionaljournal Bern-Freiburg-Wallis» von Radio SRF.
Passepartout ist kaum mehr zu retten, Basler Zeitung, 6.4. von Thomas Dähler


Offiziell ist alles bestens
Doch offiziell ist noch immer alles auf guten Wegen, wie auf der Homepage von Passepartout zu lesen ist. «Französisch ist kein unbeliebtes Fach mehr», wird da unter der Rubrik «Aktuelles» behauptet. Unter «Wie die Einführung der neuen Lehrmittel gelingen kann» ist zu erfahren, dass «die Weiterbildung praxisnah ist», «Begeisterung» vermittelt wird und dass «positive Erfahrungen» gesammelt würden. Und eine Mutter bezeugt: «Meine Tochter profitiert vom Frühfranzösisch.»

Im Kanton Basel-Stadt sah sich die Regierung vergangenen Monat sogar veranlasst, Passepartout per Medienmitteilung zu verteidigen. Der Regierungsrat wolle den «Unterricht an Primar- und Sekundarschulen nicht von Grund auf neu organisieren, sondern am bislang eingeschlagenen Weg festhalten», heisst es im Communiqué. «Offenbar geht es den Basler Behörden nicht darum, dass Kinder möglichst gut Fremdsprachen lernen, sondern um Jobsicherheit der Methoden-Fundis», kommentiert das Schweizer Online-Portal Schule Schweiz die seiner Ansicht nach «skandalöse Medienmitteilung».

Die Projektleitung verteidigt Passepartout in der Tat gegen alle Kritiker. Dem welschen Radio RTSsagte Projektleiter Reto Furter: «Ich hoffe, dass der Parlamentsentscheid in Baselland nicht der Anfang einer Entwicklung in den anderen Kantonen ist.» Furter hofft, dass der politische Entscheid in Liestal durch die Evaluation des Projekts, welche die Universität Freiburg zurzeit erarbeitet, in einigen Jahren korrigiert werden könne. Inzwischen arbeite man an den Nachbesserungen des Projekts.
Staatsvertrag läuft aus
Die Projektleiter tun so, als hätten sie erwartet, dass Passepartout nach den ersten Erfahrungen nachgebessert werden müsse. Besiegelt wurde Passepartout 2006 in einem Staatsvertrag der sechs Kantone. Dieser läuft im kommenden Sommer aus. Nach ersten Tests führte Freiburg 2010 das neue Konzept in den Schulen ein. 2011 folgten Basel-Stadt, Bern, Solothurn und Wallis, 2012 Baselland. Entsprechend verliessen im vergangenen Sommer die ersten Schülerinnen und Schüler, die vollständig nach neuem Konzept unterrichtet wurden, die Sekundarschule.

Zurzeit evaluiert die Universität Freiburg die Fremdsprachenkenntnisse der Schulabgänger. Erste Zwischenergebnisse sind auf diesen Sommer angekündigt, die vollständige Evaluation erst für 2021. Eine Masterarbeit, die an der Universität Freiburg mit «summa cum laude» ausgezeichnet wurde, kommt aber bereits heute nach einer Befragung von 500 Schülerinnen und Schülern aus dem Kanton Bern zum Schluss, dass Passepartout-Absolventen schlechter Französisch sprechen als Schülerinnen und Schüler, welche die Sprache mit herkömmlichen Lehrmitteln gelernt haben. Unklar ist jedoch, ob nur die Lehrmittel untauglich sind oder ob generell der frühe Beginn der Fremdsprachen zu schlechteren Resultaten führt. Immerhin hat eine Studie der Sprachwissenschaftler Simone Pfenninger und David Singleton ergeben, dass beim Englischunterricht der frühe Beginn nicht förderlich ist. Die Defizite der Drittklässler in der Muttersprache sind nachteilig.
Wahlfreiheit als Ausweg?
Am Zug ist jetzt in erster Linie der Kanton Baselland. Nach dem Entscheid zum Ausstieg aus Passepartout muss das Parlament eine entsprechende Gesetzesvorlage erarbeiten, über die spätestens im Januar 2020 an der Urne abgestimmt werden muss. Gemäss der Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion würden demnach ab Schuljahr 2020/21 die neuen gesetzlichen Regelungen gelten. Der Bildungsrat, der im Baselbiet in der Angelegenheit federführend ist, erarbeitet zurzeit, wie er per Communiqué mitteilt, eine «Strategie zur Lehrmittelsteuerung zur Erweiterung der Wahlfreiheit». Auch die Gegner von «Mille feuilles», «Clin d’œil» und «New World» haben signalisiert, dass eine Lehrmittel-Freiheit eine mögliche Lösung sei. Im Landrat allerdings drängen Marc Schinzel (FDP) und Regina Werthmüller (parteilos) mit Vorstössen darauf, dass möglichst rasch entschieden wird und keine weiteren finanziellen Mittel mehr in das Projekt Passepartout fliessen.

Offen ist auch, ob es im Kanton Solothurn dabei bleibt, dass die neuen Lehrmittel nur aus den Klassen des obersten Sekundarschul-Niveaus verbannt werden. Wegen der nötigen Durchlässigkeit zwischen den Niveaus sei dies nicht praktikabel, macht der Solothurner Lehrerverband geltend. Das Bildungsdepartement will aber bis zum Schuljahr 2020/21 beim Provisorium bleiben. Bis zu diesem Zeitpunkt werden einige der Passepartout-Lehrmittel überarbeitet sein, hofft der Berner Schulverlag weiter. «Stark überarbeitet», wie der Verlag gegenüber der Berner Zeitung betont.


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