Denis Bitterlis Mission ist Frieden. Der
Lehrer, Schulleiter, Erwachsenenbildner und Mediator wird gerufen, wenn es
gilt, Konflikte zu lösen. Schulen engagieren den 52-Jährigen, um
Mobbing-verseuchte Klassen zu entgiften, Eltern wenden sich an ihn, wenn sie
nicht mehr zu ihren Kindern durchdringen. Firmen buchen ihn, weil sie sich von
einer besseren Kommunikation ein besseres Klima mit unbeschwerten,
leistungsfähigeren Mitarbeitenden wünschen. Und meistens wird Bitterlis
«Friedensbüro Basel» von den zufriedenen Lehrern und verblüfften Eltern
weiterempfohlen. Innert kurzer Zeit schafft er es, Mobbing aus Klassenzimmern
zu vertreiben. Wahre Wunder vollbringe er, sagen Eltern, die erlebt haben, wie
Bitterli ihr zuvor aggressives Kind zu einem Lamm gemacht hat.
Wie
er das bewirkt? Er bringt Kindern zum Beispiel bei, statt auf dem Pausenplatz
und im Klassenzimmer zu streiten, schimpfen und zu prügeln, über die Ursache
ihres Ärgers nachzudenken und ihn in Worte zu fassen. Bei einer Intervention in
einer Primarklasse habe ihn einmal ein Schüler als «Arschloch» tituliert,
erzählt Bitterli. Statt den Buben zurechtzustutzen, habe er ihn gefragt, warum
er so etwas sage. Nicht auf die Provokation zu reagieren, sondern sich für das
Weshalb zu interessieren, sei der erste Schritt auf dem Weg zum Frieden.
Denis Bitterli weiss, wie Schüler richtig gut lernen, Bild: Dominik Plüss
Der friedvolle Revolutionär im Klassenzimmer, Basler Zeitung, 19.3. von Christian Horisberger
Denis
Bitterli spricht leise, manchmal fast flüsternd. Sein mildes Lächeln erinnert
an das eines Geistlichen. Man kann sich den 1,80 Meter grossen, schlanken Mann
mit leicht schütterem Haar im Talar auf der Kanzel vorstellen, aber auch im
Kreisli eines Kindergartens oder vor einer Primarklasse. Tatsächlich hat der
Basler nach dem Geschichts- und Geografiestudium das Lehrerseminar absolviert.
Während 26 Jahren wirkte er an mehreren Primarschulen im Baselbiet als Lehrer
und Schulleiter. Nebenher bildete er sich weiter zum Mediator und
Theaterschaffenden. Er leitete mehrere Jahre das Basler Marionettentheater und
gründete 1996 das Friedensbüro Basel.
Fragen statt
schimpfen
Frieden
zu schaffen, habe ihn schon als Kind umgetrieben, sagt Bitterli im Gespräch mit
der BaZ.
Nicht Feuerwehrmann, nicht Astronaut wollte er werden, sondern
Friedenswerkleiter. «Ich hatte immer das Gefühl, dass man mehr erreicht, wenn
man miteinander redet, als wenn man aneinander vorbeiredet. Das Faszinierende
ist: So viel braucht es dazu eigentlich nicht.»
Im
Gespräch liessen sich Konflikte besser lösen als mit der Feststellung, wer
Täter ist und wer Opfer, weiss Bitterli aus seiner Praxis. Die meisten Menschen
– auch Lehrer – würden zu diesem Verhalten tendieren, sagt er. Das sei
verständlich, aber in seiner Lehre eben falsch. Natürlich heisse er
Beleidigungen und Gewalt nicht gut. Aber: «Jeder Mensch muss Verantwortung für
sich tragen.» Statt sich auf den Täter zu stürzen, konzentriere er sich auf das
Warum und Woher und darauf, wie die Konfliktparteien lernen können, mit einer
schwierigen Situation umzugehen, ohne dass es Verlierer und Sieger gibt.
In
einem friedlichen Umfeld, sagt Bitterli, sei das Zusammenleben nicht nur für
alle Mitglieder einer Gemeinschaft wesentlich angenehmer, man sei auch freier
und offener, um sich auf die wesentlichen Dinge des Lebens zu konzentrieren.
Zum Beispiel auf die Schule. Und hier plant er Revolutionäres: Er hat nichts
Geringeres im Sinn, als mit seinem Schulkonzept das heutige Unterrichtssystem
an Schulen auf den Kopf zu stellen. Auf den Namen «Prima Bildung» hat der
Friedensförderer seine Mission getauft. Dessen Stützen bilden die Entwicklung
der Beziehungsfähigkeit der Schulkinder und die Fokussierung auf deren
individuelle Interessen und Bedürfnisse: ihren inneren Lehrplan (siehe
Kastentext).
Seit
er 1991 ins Berufsleben eingestiegen ist, reifte in Bitterli die Idee von der
idealen Schule. Dem Baselbieter Amt für Volksschulen habe er das Konzept für
die «Prima Schule» vor fünf Jahren unterbreitet. Er habe von den Fachleuten im
Amt Applaus geerntet, berichtet er, doch habe man ihm erklärt, dass die
altersunabhängigen Lerngruppen bei der Politik keine Chance hätten.
Lehrer
heissen Primagogen
Der
Dämpfer änderte nichts an Bitterlis Glauben an seine Methode. Der Gedanke an
eine Prima Schule liess ihn nicht los. Vorigen Sommer hat er das Konzept für
die Schule zu Papier gebracht und einen Lehrgang für die «Primagogen», das
Lehrpersonal seiner Schule, entwickelt. Dann ging plötzlich alles ganz schnell.
Er gründete den Unterstützungsverein Prima, sprach interessierte Lehrerinnen
und Lehrer an, begann potenzielle Schülerinnen und Schüler aus dem Umfeld
seines Friedensbüros zu akquirieren.
Das
Bewilligungsverfahren für das Lehrplan-21-kompatible Konzept für eine
Tagesschule in Pratteln läuft. Zusätzlich bietet sie Nachhilfeunterricht und
Begabtenförderung sowie eine Elternschule an. Mit dem schriftlichen O. K. für
die Tagesschule rechnet Bitterli im April. Im August soll es losgehen. Bisher
sind 14 Kinder im Alter von 4 bis 15 Jahren provisorisch angemeldet. In Basel
möchte Bitterli eine weitere Prima Schule eröffnen. «Das werde ich aber erst
nächstes Jahr in Angriff nehmen.»
Für
seinen Traum ist der Friedensschaffende bereit, sein letztes Hemd zu geben: Um
die besten Lehrkräfte zu bekommen, wolle er seinen Primagogen bessere Löhne
zahlen als der Staat seinen Lehrern. Dadurch lässt sich die Privatschule erst
recht nicht alleine mit den Elternbeiträgen finanzieren. Deshalb will er sie
mit Einkünften aus seiner Tätigkeit im Friedensbüro, das er in Muttenz
betreibt, mitfinanzieren.
Daran,
dass die Prima Schule funktionieren wird, hat Bitterli nicht den leisesten
Zweifel. Den Beweis habe er ja schon erbracht: Als Schulleiter in Biel-Benken
sowie an weiteren Schulen in beiden Basel habe er mit Unterstützung von
Schulleitung und Kollegium gewisse Elemente des Konzepts in der Praxis anwenden
können. Mit Erfolg: In Biel-Benken habe er als Lehrer einer Mittelstufenklasse
verstärkt auf die soziale und persönliche Entwicklung der Kinder geachtet. «Die
Klasse wurde extrem leistungsstark, sozial stark, persönlich gereift», sagt
Bitterli. Die Kinder hätten richtiggehend Lust aufs Lernen gehabt, es sei eine
Euphorie entstanden. «Am Ende der fünften Klasse hatten sie einen
Leistungsstand von Sek-Schülern der zweiten Klasse.»
Geschenk an
die Gesellschaft
Die
Arbeit in Biel-Benken fand internationale Beachtung. Die
deutsch-österreichisch-schweizerische Fördergemeinschaft Mediation hat das
Konzept «Schule mit Streitkultur» 2013 mit ihrem «Jugend WinWinno-Preis»
ausgezeichnet. Das Prima-Bildung-Konzept werde überdies von allen Fachleuten,
denen er es zeige, gelobt.
Auf
die Frage, ob er das Ei des Kolumbus entdeckt habe, antwortet er schmunzelnd:
ja. Das werde er nun im Ganzen beweisen. «Wenn alles so gekommen ist, wie ich
es erwarte, wird das Konzept vielleicht auch an der Volksschule oder an anderen
Privatschulen umgesetzt.» Er sieht die Prima Schule als ein Geschenk an die
Schüler und als einen Beitrag an ein friedliches Zusammenleben in der
Gesellschaft.
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