20. März 2018

Neuer Heilsbringer für Primagogen

Denis Bitterlis Mission ist Frieden. Der Lehrer, Schulleiter, Erwachsenenbildner und Mediator wird gerufen, wenn es gilt, Konflikte zu lösen. Schulen engagieren den 52-Jährigen, um Mobbing-verseuchte Klassen zu entgiften, Eltern wenden sich an ihn, wenn sie nicht mehr zu ihren Kindern durchdringen. Firmen buchen ihn, weil sie sich von einer besseren Kommunikation ein besseres Klima mit unbeschwerten, leistungsfähigeren Mitarbeitenden wünschen. Und meistens wird Bitterlis «Friedensbüro Basel» von den zufriedenen Lehrern und verblüfften Eltern weiterempfohlen. Innert kurzer Zeit schafft er es, Mobbing aus Klassenzimmern zu vertreiben. Wahre Wunder vollbringe er, sagen Eltern, die erlebt haben, wie Bitterli ihr zuvor aggressives Kind zu einem Lamm gemacht hat.
Wie er das bewirkt? Er bringt Kindern zum Beispiel bei, statt auf dem Pausenplatz und im Klassenzimmer zu streiten, schimpfen und zu prügeln, über die Ursache ihres Ärgers nachzudenken und ihn in Worte zu fassen. Bei einer Intervention in einer Primarklasse habe ihn einmal ein Schüler als «Arschloch» tituliert, erzählt Bitterli. Statt den Buben zurechtzustutzen, habe er ihn gefragt, warum er so etwas sage. Nicht auf die Provokation zu reagieren, sondern sich für das Weshalb zu interessieren, sei der erste Schritt auf dem Weg zum Frieden.
Denis Bitterli weiss, wie Schüler richtig gut lernen, Bild: Dominik Plüss
Der friedvolle Revolutionär im Klassenzimmer, Basler Zeitung, 19.3. von Christian Horisberger


Denis Bitterli spricht leise, manchmal fast flüsternd. Sein mildes Lächeln erinnert an das eines Geistlichen. Man kann sich den 1,80 Meter grossen, schlanken Mann mit leicht schütterem Haar im Talar auf der Kanzel vorstellen, aber auch im Kreisli eines Kindergartens oder vor einer Primarklasse. Tatsächlich hat der Basler nach dem Geschichts- und Geografiestudium das Lehrerseminar absolviert. Während 26 Jahren wirkte er an mehreren Primarschulen im Baselbiet als Lehrer und Schulleiter. Nebenher bildete er sich weiter zum Mediator und Theaterschaffenden. Er leitete mehrere Jahre das Basler Marionettentheater und gründete 1996 das Friedensbüro Basel.
Fragen statt schimpfen
Frieden zu schaffen, habe ihn schon als Kind umgetrieben, sagt Bitterli im Gespräch mit der BaZ. Nicht Feuerwehrmann, nicht Astronaut wollte er werden, sondern Friedenswerkleiter. «Ich hatte immer das Gefühl, dass man mehr erreicht, wenn man miteinander redet, als wenn man aneinander vorbeiredet. Das Faszinierende ist: So viel braucht es dazu eigentlich nicht.»

Im Gespräch liessen sich Konflikte besser lösen als mit der Feststellung, wer Täter ist und wer Opfer, weiss Bitterli aus seiner Praxis. Die meisten Menschen – auch Lehrer – würden zu diesem Verhalten tendieren, sagt er. Das sei verständlich, aber in seiner Lehre eben falsch. Natürlich heisse er Beleidigungen und Gewalt nicht gut. Aber: «Jeder Mensch muss Verantwortung für sich tragen.» Statt sich auf den Täter zu stürzen, konzentriere er sich auf das Warum und Woher und darauf, wie die Konfliktparteien lernen können, mit einer schwierigen Situation umzugehen, ohne dass es Verlierer und Sieger gibt.

In einem friedlichen Umfeld, sagt Bitterli, sei das Zusammenleben nicht nur für alle Mitglieder einer Gemeinschaft wesentlich angenehmer, man sei auch freier und offener, um sich auf die wesentlichen Dinge des Lebens zu konzentrieren. Zum Beispiel auf die Schule. Und hier plant er Revolutionäres: Er hat nichts Geringeres im Sinn, als mit seinem Schulkonzept das heutige Unterrichtssystem an Schulen auf den Kopf zu stellen. Auf den Namen «Prima Bildung» hat der Friedensförderer seine Mission getauft. Dessen Stützen bilden die Entwicklung der Beziehungsfähigkeit der Schulkinder und die Fokussierung auf deren individuelle Interessen und Bedürfnisse: ihren inneren Lehrplan (siehe Kastentext).
Seit er 1991 ins Berufsleben eingestiegen ist, reifte in Bitterli die Idee von der idealen Schule. Dem Baselbieter Amt für Volksschulen habe er das Konzept für die «Prima Schule» vor fünf Jahren unterbreitet. Er habe von den Fachleuten im Amt Applaus geerntet, berichtet er, doch habe man ihm erklärt, dass die altersunabhängigen Lerngruppen bei der Politik keine Chance hätten.
Lehrer heissen Primagogen
Der Dämpfer änderte nichts an Bitterlis Glauben an seine Methode. Der Gedanke an eine Prima Schule liess ihn nicht los. Vorigen Sommer hat er das Konzept für die Schule zu Papier gebracht und einen Lehrgang für die «Primagogen», das Lehrpersonal seiner Schule, entwickelt. Dann ging plötzlich alles ganz schnell. Er gründete den Unterstützungsverein Prima, sprach interessierte Lehrerinnen und Lehrer an, begann potenzielle Schülerinnen und Schüler aus dem Umfeld seines Friedensbüros zu akquirieren.
Das Bewilligungsverfahren für das Lehrplan-21-kompatible Konzept für eine Tagesschule in Pratteln läuft. Zusätzlich bietet sie Nachhilfeunterricht und Begabtenförderung sowie eine Elternschule an. Mit dem schriftlichen O. K. für die Tagesschule rechnet Bitterli im April. Im August soll es losgehen. Bisher sind 14 Kinder im Alter von 4 bis 15 Jahren provisorisch angemeldet. In Basel möchte Bitterli eine weitere Prima Schule eröffnen. «Das werde ich aber erst nächstes Jahr in Angriff nehmen.»

Für seinen Traum ist der Friedensschaffende bereit, sein letztes Hemd zu geben: Um die besten Lehrkräfte zu bekommen, wolle er seinen Primagogen bessere Löhne zahlen als der Staat seinen Lehrern. Dadurch lässt sich die Privatschule erst recht nicht alleine mit den Elternbeiträgen finanzieren. Deshalb will er sie mit Einkünften aus seiner Tätigkeit im Friedensbüro, das er in Muttenz betreibt, mitfinanzieren.

Daran, dass die Prima Schule funktionieren wird, hat Bitterli nicht den leisesten Zweifel. Den Beweis habe er ja schon erbracht: Als Schulleiter in Biel-Benken sowie an weiteren Schulen in beiden Basel habe er mit Unterstützung von Schulleitung und Kollegium gewisse Elemente des Konzepts in der Praxis anwenden können. Mit Erfolg: In Biel-Benken habe er als Lehrer einer Mittelstufenklasse verstärkt auf die soziale und persönliche Entwicklung der Kinder geachtet. «Die Klasse wurde extrem leistungsstark, sozial stark, persönlich gereift», sagt Bitterli. Die Kinder hätten richtiggehend Lust aufs Lernen gehabt, es sei eine Euphorie entstanden. «Am Ende der fünften Klasse hatten sie einen Leistungsstand von Sek-Schülern der zweiten Klasse.»
Geschenk an die Gesellschaft
Die Arbeit in Biel-Benken fand internationale Beachtung. Die deutsch-österreichisch-schweizerische Fördergemeinschaft Mediation hat das Konzept «Schule mit Streitkultur» 2013 mit ihrem «Jugend WinWinno-Preis» ausgezeichnet. Das Prima-Bildung-Konzept werde überdies von allen Fachleuten, denen er es zeige, gelobt.

Auf die Frage, ob er das Ei des Kolumbus entdeckt habe, antwortet er schmunzelnd: ja. Das werde er nun im Ganzen beweisen. «Wenn alles so gekommen ist, wie ich es erwarte, wird das Konzept vielleicht auch an der Volksschule oder an anderen Privatschulen umgesetzt.» Er sieht die Prima Schule als ein Geschenk an die Schüler und als einen Beitrag an ein friedliches Zusammenleben in der Gesellschaft.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen