Peter
Bonati ist einer der besten Kenner der Schweizer Gymnasiums-Szene. Der
ehemalige Lehrer für Deutsch und Philosophie an der Alten Kantonsschule Aarau
war während 20 Jahren Direktor und Dozent am Höheren Lehramt der Universität
Bern. Zudem hat er den schweizerischen Rahmenlehrplan «Berufsmaturität»
erarbeitet und in diversen Kantonen die Einführung kompetenzorientierter
Gymnasiums-Lehrpläne begleitet.
Vergleichbarkeit versus Lehrfreiheit, Basellandschaftliche Zeitung, 20.3. von Hans Fahrländer
Nun hat
Bonati eine 200-seitige Untersuchung über «Das Gymnasium im Spiegel seiner
Lehrpläne» vorgelegt. Was nach einer Studie für Gymnasiums-Insider tönt,
erweist sich alsbald als grundlegende Standortbestimmung für diesen Schultypus
– und als Aufforderung zu Reformen, damit das Gymnasium in einer rauer
gewordenen Konkurrenzsituation sein Profil schärfen kann.
Fast alle machten mit
Das
Buch ist nicht (nur) im stillen Kämmerlein entstanden: Bonati hat alle 149
anerkannten Maturitätsschulen des Landes angeschrieben, 144 von ihnen haben
ihre Mitarbeit zugesagt – eine Traumquote. Damit konnten die Lehrpläne erstmals
in ihrer Gesamtheit untersucht und eine Forschungslücke geschlossen werden. Der
Untersuchungszeitraum umfasst die 20 Jahre seit Inkraftsetzung des
Maturitäts-Anerkennungs-Reglementes MAR 95.
Peter
Bonati wollte vor allem wissen: Sind die in den Lehrplänen beschriebenen
Anforderungen vergleichbar, damit die im MAR verlangte Gleichwertigkeit aller
Maturitätszeugnisse gewährleistet ist und der prüfungsfreie Übertritt an die
Hochschulen auch in Zukunft gesichert werden kann? Und: Ist ein Kompromiss
zwischen dieser Gleichheits-Anforderung und der in der Schweiz hochgehaltenen
Autonomie der einzelnen Schulen und Lehrpersonen möglich?
Die Vorgaben sind zu vage
Der
Autor kommt im Wesentlichen zu folgenden Ergebnissen:
■
Aufgrund allzu vager Vorgaben im MAR 95 und im nationalen Rahmenlehrplan sind
die Lehrpläne der Schweizer Gymnasien kaum vergleichbar. Zudem variiert die
«Regelungsdichte» stark.
■ Die
Federführung bei der Erarbeitung (Bonati nennt sie «Lehrplanmacht») liegt an
unterschiedlichen Orten: bei den Kantonen oder bei den einzelnen Schulen. Das
verstärkt die Unterschiede.
■ Die
für das Gymnasium geforderten allgemeinbildenden Ziele kommen vielerorts zu
kurz, zum Beispiel im Deutsch und bei den Fremdsprachen.
■ Der
fächerübergreifende Unterricht und die Förderung überfachlicher Kompetenzen
fristet vielerorts noch ein Mauerblümchendasein (das entsprechende Kapitel
trägt den schönen Titel «Dornröschen wartet»).
■
Vielerorts zu schwach ausgebildet ist der Bereich der ethischen Bildung.
■ Viele
Lehrpläne weisen formale Mängel auf, sie sind überladen, Schlüsselbegriffe
werden zu wenig erklärt und die Fachlehrpläne sind uneinheitlich aufgebaut. Von
der Diagnose zur Therapie Nach der nicht nur erbaulichen Diagnose: Was
empfiehlt Peter Bonati den Verantwortlichen für die Zukunft? Unter anderem
dies:
■ Der
Bildungszielartikel im MAR95 und der Rahmenlehrplan sollten von Grund auf
überarbeitet werden.
■ Die
Lehrpläne sind auf den Hochschulzugang zu fokussieren und von einem Wust an
Details zu entrümpeln.
■ Die überfachlichen Kompetenzen und die
Ergänzungsfächer sind aufzuwerten.
■ Die
Fachlehrpläne, die teils über 20 Jahre alt sind, wären dringend zu
modernisieren und an die heutige Zeit anzupassen.
Bonati
bleibt nicht bei der Theorie stehen, sondern vermittelt praktische Anleitungen
zur Erarbeitung eines Lehrplans – sein Buch trägt denn auch den/die Untertitel
«Untersuchungen, Praxisimpulse, Perspektiven».
Plädoyer für die Lehrpläne
Der
Autor bezeichnet die Lehrpläne als taugliche Beurteilungsmittel für die
Qualität eines Gymnasiums und verteidigt sie gegen andere Steuerungsinstrumente
wie etwa zentrale Prüfungen oder Bildungsmonitorings. Diese werden von der
Bildungswissenschaft gerne als wirksamer eingeschätzt.
Was
Bonatis Buch weit über Fachzirkel hinaus lesenswert macht: Er unterstreicht
zwar die Bedeutung der Lehrpläne, aber er bleibt nicht bei ihnen stehen. Er
formuliert ein paar spannende und vor allem mutige Thesen zur Zukunft des
Gymnasiums und des schweizerischen Bildungssystems. Für ihn steht die scharfe
Umschreibung von Lerninhalten vor der Formulierung von Kompetenzen (siehe die
hektische Debatte um den Volksschullehrplan 21); natürlich funktioniert das eine
nicht ohne das andere. Bonati ist auch überzeugt, dass die Lehrfreiheit an
Gymnasien ein verteidigungswürdiges Gut ist. Er redet deshalb einer «mittleren
Regelungsdichte» das Wort. Es ist dies ein Weg, der sowohl einheitlichere und
allgemein anerkannte Maturitätsausweise wie auch die Aufrechterhaltung der
Lehrfreiheit ermöglicht.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen