9. Januar 2018

Ideologie wichtiger als Lernerfolg

Das neue Sprachenkonzept Passepartout lässt die meisten Lehrer, Schüler und Eltern verzweifeln: Der Aufbau sei ohne System und Logik, sagen sie; auch nach zwei Jahren Unterricht finde man sich in einfachen Alltagssituationen nicht zurecht. Die Lehrmittel seien unbrauchbar, monierten auch gestern viele Leser als Reaktion auf den BaZ-Artikel über das Frühfranzösisch. Es müsse einen sofortigen Halt geben, das neue Konzept gestoppt werden. «Mir tun die Kinder leid, die nun alle mit schlechteren Chancen in die Welt starten, nur weil weltfremde Pädagogen ein schlechtes Konzept konstruiert haben und das Scheitern nicht zugeben wollen», schreibt beispielsweise Max Bader in einem Online-Kommentar auf baz.ch. Zu Hause müsse man fast täglich ausbessern und den Kindern sei Französisch als Sprache durch ständigen Frust versaut worden.
Teure, unbeliebte Franz-Lehrbücher, Basler Zeitung, 9.1. von Franziska Laur


«Monica Gschwind ist meines Wissens die einzige Bildungsdirektorin in den sechs Passepartoutkantonen, welche die Problematik rechtzeitig erkannt hat», sagt Philipp Loretz, Geschäftsleitungsmitglied des Lehrervereins Baselland. Sie habe Ende 2017 Hearings eingeleitet. Die Auswertung sei zwar noch im Gange, klar ist jedoch: Die Lehrmittel müssten substanziell überarbeitet werden.

Teuerstes Lehrmittel
«Das ist das teuerste Lehrmittel, das es je gegeben hat», sagt Loretz. Einerseits seien die Herstellungskosten hoch, andererseits handle es sich um ein Wegwerf-Lehrmittel. Hinzu kämen zahlreiche Nachbesserungen, die weitere finanzielle Ressourcen verschlängen. Was auch ins Geld geht: Die Baselbieter Lehrer müssen mit zwölf Tagen eine unverhältnismässig lange Weiterbildung absolvieren, um überhaupt mit den Lehrbüchern «Mille Feuilles», «Clin d’œil» in Französisch und «New World» in Englisch umgehen zu können. Auch in Basel-Stadt mussten über 300 Lehrpersonen zwölf Tage pro Fach eine Fortbildung besuchen – etwas, das es noch bei keinem Lehrmittel gegeben hat.

Auf Anraten des Lehrervereins gab Monica Gschwind Anfang 2016 zu den Fortbildungskursen eine Umfrage in Auftrag. Fazit: Rund drei Viertel der Pädagogen fanden die Kurse und deren Inhalte unangemessen. Die Dauer wurde mittlerweile von 24 auf 17 Halbtage gekürzt, die Kursinhalte wurden angepasst und die Kurse werden nur noch von Personal, das über eigene Erfahrung mit dem Fremdsprachenunterricht auf der Sek I verfügt, durchgeführt.

Es bleibt viel zu tun
Ein Teilsieg für die Baselbieter Lehrer also, doch es bleibt noch viel zu tun. Der Prozess der Überarbeitung der Lehrmittel dürfte Jahre dauern: «Wir befinden uns bereits im siebten Passepartout-Jahr. Dass die Projektverantwortlichen und der Schulverlag erst nach Jahren der Dauerkritik bereit sind, zumindest gewisse Mängel ihres neuartigen Lehrmittels zu beheben, stimmt nachdenklich», sagt Loretz. Vor allem aber zeige diese Trägheit, dass das Controlling des millionenschweren Projekts – die Kosten alleine für den Kanton Baselland belaufen sich auf 12,5 Millionen Franken – gründlich versagt hat. «Das Passepartout-Management kommt mir vor wie ein Autokonzern, der Jahre nach der Lancierung eines angeblich revolutionären Wunderwagens verkündet, dass man aufgrund der Rückmeldungen der Kundschaft bereit sei, das Auto nun doch mit vier Rädern auszustatten.»

Angst vor der Abstimmung
Auch Jürg Wiedemann, Vorstandsmitglied der Starken Schule beider Basel, ist sauer: «Es ist schäbig, dass den Passepartout-Promotoren ihre Fremdsprachen-Ideologie wichtiger ist als das Wohl der Schulkinder.» So würden die Schüler «brutal verheizt». Die Starke Schule erhalte fast täglich Anrufe und E-Mails von besorgten Eltern und Lehrpersonen. Viele Kinder kämen in Bezug auf Französisch «abgelöscht» von der Primar- in die Sekundarschule. Doch er zweifle daran, dass die angekündigte «Schein-Überarbeitung» viel bringt. «Die Passepartout-Promotoren «versuchen zu retten, was nicht zu retten ist.»

Immerhin ist in jüngerer Vergangenheit vom Passepartout-Kurskader bezüglich des Sprachenkonzepts mehr Entgegenkommen wahrzunehmen. So räumte man ein, dass es sich dabei selbstverständlich um kein Sprachbad handle und man gezielt und häufig üben müsse. Das sind neue Töne. Denn als man das Konzept vor sechs Jahren einführte, war von «büffeln» noch keine Rede. Und plötzlich lassen die Verantwortlichen den Pädagogen auch mehr Freiheiten: Die Lehrmittel- und Methodenfreiheit seien grundsätzlich gegeben; man dürfe ergänzend auch andere Lehrmittel einsetzen.

Wiedemann vermutet denn auch, dass die von der Starken Schule lancierte Abstimmung die Bildungsbürokraten weicher stimmt. Die Initiativen, die im Juni zur Abstimmung kommen, verlangen einerseits, dass Baselland aus dem 2012 gestarteten sechskantonalen Fremdsprachen-Projekt Passepartout aussteigt, und zweitens, dass Englisch wieder in die Sekundarstufe verschoben wird.

Doch vielleicht haben sich die Verantwortlichen auch von Zürich inspirieren lassen. Dort hat die Bildungsdirektion das Problem elegant mit der Lehrmittelfreiheit gelöst. Es stehen mehrere Fremdsprachen-Lehrbücher zur Verfügung und den Pädagogen steht offen, mit welchen sie arbeiten wollen.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen