Um die Digitalisierung der Klassenzimmer tobt ein Glaubenskrieg, doch
die Forschung ist schon weiter. Sie beschäftigt sich mit der Frage, welche Rolle
die Lehrer künftig spielen werden.
Mit dem Tablet lernen die Schüler besser, NZZaS, 28.1. von Regula Freuler
Kommenden Sommer geht es los: Mit dem Lehrplan 21 führen viele Schweizer
Schulen das Fach «Informatik und Medien» ein. Zudem sollen digitale Medien
didaktisch auch in den übrigen Fächern Einzug halten. Mancherorts ist das
bereits erprobte Praxis. Doch obwohl seit über 15 Jahren Erfahrungen gesammelt
werden und zahlreiche Studien vorliegen, erregt der Einsatz digitaler Medien im
Klassenzimmer immer noch viele Gemüter.
Das Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien an der
Technischen Universität München wertete darum 79 solcher Studien aus, die seit
dem Jahr 2000 weltweit erschienen sind. Die Haupterkenntnis lautet: Schüler
erzielten bessere Leistungen und waren motivierter, wenn im Unterricht neben
traditionellem Material auch digitale Medien eingesetzt wurden. Die Forscher
verglichen Studien, welche die Anwendung digitaler Medien im
mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht ab der 5. Klasse untersuchten.
Der positive Effekt war über alle untersuchten Fächer sichtbar, Mathematik,
Physik, Biologie und Chemie.
Der Grund für den erhöhten Lerneffekt, so die Wissenschafter, könnte in
der Informationsverarbeitung im menschlichen Gehirn liegen: Je höher die
kognitive Belastung, wie sie etwa beim Beschreiben einer mathematischen Formel
vorliegt, desto stärker wird die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses beansprucht
oder gar überschritten. Auditive und visuelle Wahrnehmung, also Hören und
Sehen, greifen auf voneinander unabhängige Kapazitäten zurück. Deshalb geht man
davon aus, dass multimedial dargebotene Informationen eher zum Lernerfolg
führen.
Die Autoren der Studie betonen: Ein Erfolg liegt nicht bloss an den
Medien selbst, sondern es kommt auf das Wie und Wieviel an. Gemäss der
Vergleichsstudie profitieren Schüler von digitalen Medien mehr, wenn sie in
Paaren arbeiten statt allein. Ebenso wichtig ist die Unterstützung durch eine
Lehrperson. Und: Die Wirkung ist grösser, wenn digitale Medien traditionelles
Unterrichtsmaterial nicht vollständig ersetzen, sondern ergänzen.
«Das klingt nach gesundem Menschenverstand in eine Studie verpackt»,
sagt Beat Döbeli Honegger, Dozent für Medien und Informatik an der
Pädagogischen Hochschule Schwyz, «trotzdem sind solche Studien nötig.» Denn
immer noch hängen manche Eltern und Lehrer der Idee vom Schonraum Schule an,
der als Erholung von der Internetflut wirken soll, oder sie halten digitale
Unterrichtsmittel gar für schädlich.
Während auf gesellschaftspolitischer Ebene also noch über
Grundsatzfragen gestritten wird, ist man in der Forschung einen Schritt weiter.
«Fachspezifisch gibt es noch sehr viel zu erforschen», sagt der Informatik- und
Medienprofessor. «Die digitale Transformation ist so gross, dass sich auch die
Bildungsziele verändern.» Denn bloss neue Medien ergänzend beizuziehen, reiche
nicht aus. «Wenn die Schüler – wie das der Lehrplan 21 festlegt – nicht einfach
Wissen pauken, sondern Kompetenzen erwerben und Freude am Thema vermittelt
bekommen sollen, erfordert das Veränderungen in der Fachdidaktik.» An vielen
Schweizer Pädagogischen Hochschulen beginnen die Fachdidaktiker allerdings erst
jetzt, sich mit der Digitalisierung und deren Möglichkeiten zu beschäftigen.
Viel diskutiert wird derzeit darüber, ob jedes Kind ein Gerät erhalten
soll und ab welchem Alter. Kritiker befürchten bei einer 1:1-Ausstattung zu
viel Ablenkung. «Persönliche Geräte bedeuten doch nicht, dass sie dauernd im
Einsatz sind», wendet Döbeli Honegger ein, «es käme auch niemandem in den Sinn,
besonders lange vor einem Schulbuch zu sitzen, nur weil es so teuer war.» Ein
Gerät pro Schüler hingegen würde unter anderem das Speichern individueller
Lernfortschritte erleichtern und dem Lehrer bei der Standortbestimmung der
Schüler helfen. Müssten sich mehrere ein Gerät teilen, sei das organisatorisch
aufwendiger, vor allem wenn die Kinder noch nicht schreiben könnten. Doch
Döbeli Honegger ist zuversichtlich: «In spätestens zehn Jahren ist das Thema
gegessen.» Denn zum einen wird die Hardware billiger, zum anderen haben Kinder
immer früher privat ein eigenes Gerät.
Ein noch ungeklärtes Thema ist die Einführung Intelligenter
Tutorensysteme (ITS). Hierbei passt das Lernprogramm den Inhalt individuell an:
den Schwierigkeitsgrad der Aufgaben, die Geschwindigkeit bei der Darbietung von
Instruktionen oder Hilfestellungen. «Bei den ersten Versuchen in den siebziger
und achtziger Jahren waren die eingeschränkten Rechenkapazitäten das Problem»,
sagt Döbeli Honegger, «doch jetzt sind dank Big Data und neuronalen Netzen das
Interesse und die Hoffnungen immens.»
Solche Software käme einer Neudefinition des Lehrberufs gleich. «Die
Entscheidungsgewalt würde sich weg von der Lehrperson, hin zur Software
verschieben», so der Schwyzer Informatiker. «Doch: Wer programmiert sie?»
Dazu kommt der Datenschutz. So kann die Lehrerin etwa sehen, um welche
Uhrzeit eine Schülerin ihre Hausaufgaben gemacht hat. «Vielleicht wollen
Lehrbetriebe dereinst Einsicht in solche Informationen haben, bevor sie einen
Lehrling anstellen.» Beat Döbeli Honegger ist überzeugt: «Was mit diesen Daten
gemacht werden darf und was nicht – davon wird die nächste Bildungsdebatte
handeln.»
Intelligente Programme werden die Rolle des Lehrers radikal ändern. Dann
entscheidet die Software und nicht mehr der Mensch.
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