Kindergärtnerinnen vermissen die Anerkennung für ihre Arbeit. In
mehreren Kantonen kämpfen sie politisch und juristisch um bessere
Anstellungsbedingungen.
Brigitte Fleuti ist Präsidentin der Züricher Kindergärtnerinnen, Bild: Thomas MeierAufstand der Kindergärtnerinnen, Sonntagsblick, 28.1. von Thomas Schlittler |
Brigitte Fleuti (55) steigt auf einen Stuhl, 18 Kinder tun es ihr gleich. Begeistert singen sie, was Goldmarie am Morgen so treibt: «Goldmarie macht ihr Bett.» «Goldmarie zieht sich an.» «Goldmarie putzt sich die Zähne.»
Bevor gespielt werden darf, geht Frau Fleuti mit den Kindern die
Regeln durch: Zuhören. Aufstrecken. Nicht boxen. Und nach dem Spielen:
Aufräumen. Die Kleinen wissen es bereits auswendig und verteilen sich an die
Minitische.
Frau
Fleuti schaut alles an, fragt, lobt
An einem Platz müssen sie mit der Spaghettizange Nüsse
transportieren. Am anderen Knöpfe nach Farben sortieren. Am nächsten kritzeln
ein Bub und ein Mädchen, bereits im zweiten Kindergartenjahr, fleissig die
Namen ihrer Mitschüler auf eine Tafel.
Sie alle lernen, ohne dass es ihnen bewusst wäre. Und wenn sie eine Aufgabe erledigt haben, rufen sie: «Sie, Frau Fleuti. Sie, Frau Fleuti, lueged Sie!»
Sie alle lernen, ohne dass es ihnen bewusst wäre. Und wenn sie eine Aufgabe erledigt haben, rufen sie: «Sie, Frau Fleuti. Sie, Frau Fleuti, lueged Sie!»
Frau Fleuti schaut alles geduldig an, fragt nach, lobt. Sie
liebt ihren Job, aber sie sagt auch: «Wir bekommen für unsere Arbeit nicht die
Anerkennung, die wir verdienen.»
Als Präsidentin des Verbandes Kindergarten Zürich (VKZ) will sie dafür sorgen, dass sich das
ändert. Ein wichtiger Punkt ist der Lohn. Die Kindergärtnerinnen im Kanton
verdienen deutlich weniger als Primarlehrerinnen. Dennoch haben die
Bundesrichter im vergangenen Herbst eine Beschwerde der Zürcher Kindergärtnerinnen
wegen Lohndiskriminierung knapp abgewiesen, mit zwei zu drei Stimmen.
Kampflos aufgeben ist keine Option
Aufgeben kommt für Fleuti und ihre Berufskolleginnnen nicht
infrage. Sie kämpfen auf politischer Ebene weiter. Vergangene Woche wurden im Kantonsrat
gleich drei Vorstösse eingereicht, um die Arbeitsbedingungen der Zürcher
Kindergärtnerinnen zu verbessern.
Eine Motion fordert den Regierungsrat auf, die gesetzlichen
Grundlagen zu schaffen, damit Kindergartenlehrpersonen mit einem Vollpensum von
100 Prozent angestellt werden können. Heute ist das nicht möglich, weshalb
Kindergärtnerinnen im Kanton Zürich deutlich weniger verdienen als ihre
Kollegen auf der Primarstufe.
Doch es geht nicht nur um mehr Lohn. Eine parlamentarische
Initiative verlangt, dass die Kindergärtnerinnen im ersten Semester jeden
Morgen durch eine weitere Person unterstützt werden. Der Grund: Wegen der
Umsetzung von Harmos treten die Kinder immer früher in den Kindergarten ein. Im
August 2020 werden Knirpse in den Kindergarten eintreten, die erst wenige Tage
zuvor vierjährig geworden sind. «Dadurch steigt für uns der Betreuungsaufwand»,
sagt Fleuti. Der dritte Vorstoss will erreichen, dass die durchschnittliche
Klassengrösse gesenkt wird.
Unbezahlte Arbeit in den Pausen
Doch nicht nur in Zürich proben die Kindergärtnerinnen den
Aufstand. Auch in anderen Kantonen sind sie verstimmt. In St. Gallen hat der Lehrerinnen- und Lehrerverband
im Dezember Klage eingereicht, weil für die Pausenaufsicht keine Entschädigung
gezahlt wird: «Aufgrund der fehlenden Regelung werden die
Kindergartenlehrpersonen gezwungen, unbezahlte Arbeit zu leisten», schreibt der
Verband.
Im Kanton Graubünden zogen die Kindergärtnerinnen bereits im
Herbst vor Gericht. Sie verlangen ebenfalls mehr Lohn. Die Bündner
Kindergartenlehrerinnen verdienen mit 60’000 Franken pro Jahr im schweizweiten Vergleich
mit Abstand am wenigsten. Das sei angesichts eines abgeschlossenen
Bachelorstudiums an der Pädagogischen Hochschule nicht angemessen, beschweren
sie sich.
Die Bündnerinnen sehen das Gleichstellungsgesetz verletzt. Ihre
Argumentation: Kindergärtnerinnen werden schlechter entlöhnt als andere
Berufsgruppen, weil vorwiegend Frauen in diesem Bereich arbeiten.
Schaffhausen ist einen Schritt weiter
Schon einen Schritt weiter sind ihre Kolleginnen im Kanton Schaffhausen. Ende 2016 siegten sie mit ihrer
Klage wegen Lohndiskriminierung vor dem Obergericht. Die Kantonsregierung hat
das Urteil aber nicht akzeptiert und ans Bundesgericht weitergezogen. Anders reagierten die
Verantwortlichen im Kanton Aargau. Dort lenkte die Regierung 2015 nach einem
Rüffel des Verwaltungsgerichts ein.
Der Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) unterstützt
die Bemühungen der kantonalen Sektionen. Auf Bundesebene sind die Mittel des
Verbandes aber beschränkt. «Wir können keine nationalen Forderungen stellen,
weil die Anstellungsbedingungen Sache der Kantone sind. Und in jedem Kanton ist
die Situation anders», sagt Ruth Fritschi (51), die im LCH für den Bereich
Kindergarten verantwortlich ist.
Fritschi und der LCH haben den Handlungsbedarf erkannt und
wollen mit einer Anfang 2018 eingesetzten Arbeitsgruppe Strategien für die
kommenden Monate koordinieren.
Ein wichtiges Ziel ist es, die öffentliche Wahrnehmung des
Kindergartens zu ändern: «Wir leiden immer noch unter der längst veralteten
Vorstellung, wonach Kindergärtnerinnen einfach ein bisschen Kinder hüten.»
Nutzen der Frühförderung ist wissenschaftlich bewiesen
Dabei sei wissenschaftlich längst bewiesen, wie wichtig die
Frühförderung von Kindern sei. «Was in den ersten Jahren versäumt wird, ist
kaum mehr aufzuholen», so Fritschi. Deshalb bräuchten Kindergärtnerinnen auch
die gleiche Ausbildung wie Primarlehrpersonen. In den allermeisten Kantonen ist
das längst der Fall.
Zurück im Kindergarten von Brigitte Fleuti, der obersten Zürcher
Kindergärtnerin: «Die Anforderungen an unseren Beruf haben in den vergangenen
Jahren deutlich zugenommen.» Das liege vor allem an Elterngesprächen, dem
früheren Einschulungstermin sowie an der Integration von Einwandererkindern und
Kindern mit einer Beeinträchtigung.
«Trotz hundert Prozent Aufwand gilt Kindergärtnerin nicht als
Vollzeitjob. Das ist einfach nicht richtig.» Fleuti hofft, dass sich das bald
ändert. Bis es so weit ist, muss sie sich mit der Anerkennung ihrer Kleinen
begnügen. Dass die Kinder die Arbeit ihrer Frau Fleuti schätzen, ist
unübersehbar.
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