28. Januar 2018

Fehlgeleitetes Fremdsprachenkonzept Passepartout

Das Wort «Reform» müsste, was Schule anbelangt, zum Unwort des Jahrtausends erklärt werden, wenn wir all den unter diesem Schlagwort eingeführten Mumpitz der Vergangenheit betrachten würden. Dabei sticht das Projekt Passepartout heraus, sowohl was dessen pädagogische Verdrehtheit als auch seine Kosten anbelangt.
«Schö nö gombran pa», Basler Zeitung, 27.1. von Daniel Vuilliomenet

Zuerst steht die inzwischen kläglich revidierte Behauptung im Raum, es handle sich beim neuen Fremdsprachen-Vermittlungskonzept um ein «Sprachbad». Verknüpft mit Sparmassnahmen eines per se klammen Kantons Baselland, kann man höchstens von den «Füssen in der Pfütze» sprechen. Müsste ich meine Körperpflege so einrichten, wie das Sprachbad daherkommt, so würde ich zum Himmel stinken. Zum Glück hat der oberste Verantwortliche für «Passepartout» diesen Anspruch im BaZ-Interview vomMittwoch mit Franziska Laur etwas revidiert.

Die konstruktivistische Reformitis, die auch andere Fachbereiche der Volksschule erfasste, hat ihre Wurzeln in der Achtundsechziger-Revolte, die schulisch bis heute nachwirkt und sich erst jetzt richtig zu entfalten scheint. Zu nennen ist da nebst den Summerhill-Experimenten des freien Lernens vor allem das Programm «Lesen durch Schreiben» von Jürgen Reichen aus den Siebzigerjahren. Mit einer Buchstabentabelle versehen, konstruieren Erstklässler ihre ersten Schreibergebnisse nach Gehör. So weit, so gut. In einer erziehungs-wissenschaftlich falschen Verbeugung vor dem Kind, dem Korrekturen doch (noch) nicht zugemutet werden können, werden diese ersten Schreibschritte belassen. Ein Eingreifen seitens der Erwachsenen ist verboten – das wird auch heute noch per Brief an die betroffenen Eltern so kommuniziert. Damit schleift sich «falsch» Geschriebenes während einer zu langen Zeitdauer ein, eine spätere Korrektur (zum Beispiel erst in der vierten Klasse) ist schwer möglich. Die Begründung für ein derart abartiges Lehrverhalten heisst: Alles entwickelt sich zur richtigen Zeit von selbst – Instruktion ist des Teufels! Pädagogik, gegründet auf dem Prinzip Hoffnung.

Genau dieses Lesen-durch-Schreiben-Konzept findet sich nun auch beim Frühfranzösisch. Es wird drauflos geplappert und geschrieben – alles nach Gehör. So kann dann der folgende Satz entstehen: «No, schö nö gombran pa» – ich verstehe nicht.
Kommen die Sechstklässler in die Sekundarstufe I mit Korrekturanspruch, so ist der Ablöscher vorprogrammiert und genau das kann beobachtet werden: Die Kiddies wirken nach wenigen Wochen schulmüde! Kein Wunder – sie wurden wertvolle Jahre an der Nase herumgeführt und werden nun schockartig mit der Realität konfrontiert. Eine kürzlich an mich herangetragene Begründung für das Verweigern von faktenbezogenem Lehren auf der Primarstufe lautete denn auch wörtlich: Wir wollen den Kindern doch nicht das Paradies vorenthalten, dass sie nachher nie mehr haben werden. Man rauft sich nicht nur die Haare!
Es geht noch schlimmer: Eine Kollegin (Lehrperson Sekundarstufe I für Deutsch) behauptete mir ins Gesicht, es gäbe gar keine Rechtschreibekompetenz mehr. Diktate und dergleichen im Fach Deutsch seien definitiv «out». Dies sei auch die Stossrichtung in der Ausbildung von Deutsch-Lehrpersonen an der Pädagogischen Hochschule. Aber hallo?! Bewerbungsschreiben oder Maturarbeiten sowie Semesterarbeiten an der Uni lassen grüssen. Was Gymeler und Studenten trotz Korrekturprogrammen heute abliefern, ist zum Teil haarsträubend, ich durfte selber Einblick erhalten. Die Fragen seien erlaubt: Wollen wir das wirklich? Können wir uns das leisten?

Es ist die (inzwischen digitalisiert aufmunitionierte) Arroganz reformpädagogisch argumentierender BildungsschreibtischtäterInnen, die vorgibt, ein heutiges Kind könne viertausend Jahre Wissenschaft und Kultur – Google sei Dank – in neun Schuljahren für sich selber «konstruieren». Daraus leitet sich der Begriff «konstruktivistisch» ab. Die Lehrpersonen verkommen zu Coaches, die den Segen top-down verordneter und auf ideologischem Boden gewachsener Bildungsprogramme kritiklos umzusetzen haben. Was vorher war, ist heute falsch und nicht mehr zu würdigen.

Genaudas gibt Herr Reto Furter im erwähnten Interview zu und entlarvt sich damit selber. Beim Programm Passepartout hiess es gleich zu Beginn seiner Umsetzung, dass nur die in 24(!) Halbtagen Weitergebildeten ihre Unterrichtsberechtigung im entsprechenden Sprachfach beibehalten können. Inzwischen krebsen die Verantwortlichen zurück, mit dem verzweifelten Versuch, einen Rest ihres bereits verlorenen Gesichtes zu wahren. Masst sich eine erfahrene Lehrerin an, Kritik zu äussern, so gilt sie augenblicklich als ewiggestrig. Ein solch hinterhältiges Regime mit verordneter Gehirnwäsche ist nur aus totalitären Staaten oder bei religiösen Sekten bekannt.

Daniel Vuilliomenet ist Lehrer an der Sekundarschule in Oberwil.


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