Das
Wort «Reform» müsste, was Schule anbelangt, zum Unwort des Jahrtausends erklärt
werden, wenn wir all den unter diesem Schlagwort eingeführten Mumpitz der
Vergangenheit betrachten würden. Dabei sticht das Projekt Passepartout heraus,
sowohl was dessen pädagogische Verdrehtheit als auch seine Kosten anbelangt.
«Schö nö gombran pa», Basler Zeitung, 27.1. von Daniel Vuilliomenet
Zuerst
steht die inzwischen kläglich revidierte Behauptung im Raum, es handle sich
beim neuen Fremdsprachen-Vermittlungskonzept um ein «Sprachbad». Verknüpft mit
Sparmassnahmen eines per se klammen Kantons Baselland, kann man höchstens von
den «Füssen in der Pfütze» sprechen. Müsste ich meine Körperpflege so
einrichten, wie das Sprachbad daherkommt, so würde ich zum Himmel stinken. Zum
Glück hat der oberste Verantwortliche für «Passepartout» diesen Anspruch im BaZ-Interview vomMittwoch mit Franziska Laur etwas revidiert.
Die
konstruktivistische Reformitis, die auch andere Fachbereiche der Volksschule
erfasste, hat ihre Wurzeln in der Achtundsechziger-Revolte, die schulisch bis
heute nachwirkt und sich erst jetzt richtig zu entfalten scheint. Zu nennen ist
da nebst den Summerhill-Experimenten des freien Lernens vor allem das Programm
«Lesen durch Schreiben» von Jürgen Reichen aus den Siebzigerjahren. Mit einer
Buchstabentabelle versehen, konstruieren Erstklässler ihre ersten
Schreibergebnisse nach Gehör. So weit, so gut. In einer erziehungs-wissenschaftlich
falschen Verbeugung vor dem Kind, dem Korrekturen doch (noch) nicht zugemutet
werden können, werden diese ersten Schreibschritte belassen. Ein Eingreifen
seitens der Erwachsenen ist verboten – das wird auch heute noch per Brief an
die betroffenen Eltern so kommuniziert. Damit schleift sich «falsch»
Geschriebenes während einer zu langen Zeitdauer ein, eine spätere Korrektur
(zum Beispiel erst in der vierten Klasse) ist schwer möglich. Die Begründung
für ein derart abartiges Lehrverhalten heisst: Alles entwickelt sich zur
richtigen Zeit von selbst – Instruktion ist des Teufels! Pädagogik, gegründet
auf dem Prinzip Hoffnung.
Genau
dieses Lesen-durch-Schreiben-Konzept findet sich nun auch beim Frühfranzösisch.
Es wird drauflos geplappert und geschrieben – alles nach Gehör. So kann dann
der folgende Satz entstehen: «No, schö nö gombran pa» – ich verstehe nicht.
Kommen
die Sechstklässler in die Sekundarstufe I mit Korrekturanspruch, so ist der
Ablöscher vorprogrammiert und genau das kann beobachtet werden: Die Kiddies
wirken nach wenigen Wochen schulmüde! Kein Wunder – sie wurden wertvolle Jahre
an der Nase herumgeführt und werden nun schockartig mit der Realität
konfrontiert. Eine kürzlich an mich herangetragene Begründung für das
Verweigern von faktenbezogenem Lehren auf der Primarstufe lautete denn auch
wörtlich: Wir wollen den Kindern doch nicht das Paradies vorenthalten, dass sie
nachher nie mehr haben werden. Man rauft sich nicht nur die Haare!
Es
geht noch schlimmer: Eine Kollegin (Lehrperson Sekundarstufe I für Deutsch)
behauptete mir ins Gesicht, es gäbe gar keine Rechtschreibekompetenz mehr.
Diktate und dergleichen im Fach Deutsch seien definitiv «out». Dies sei auch
die Stossrichtung in der Ausbildung von Deutsch-Lehrpersonen an der
Pädagogischen Hochschule. Aber hallo?! Bewerbungsschreiben oder Maturarbeiten
sowie Semesterarbeiten an der Uni lassen grüssen. Was Gymeler und Studenten
trotz Korrekturprogrammen heute abliefern, ist zum Teil haarsträubend, ich
durfte selber Einblick erhalten. Die Fragen seien erlaubt: Wollen wir das
wirklich? Können wir uns das leisten?
Es
ist die (inzwischen digitalisiert aufmunitionierte) Arroganz reformpädagogisch
argumentierender BildungsschreibtischtäterInnen, die vorgibt, ein heutiges Kind
könne viertausend Jahre Wissenschaft und Kultur – Google sei Dank – in neun
Schuljahren für sich selber «konstruieren». Daraus leitet sich der Begriff
«konstruktivistisch» ab. Die Lehrpersonen verkommen zu Coaches, die den Segen
top-down verordneter und auf ideologischem Boden gewachsener Bildungsprogramme
kritiklos umzusetzen haben. Was vorher war, ist heute falsch und nicht mehr zu
würdigen.
Genaudas gibt Herr Reto Furter im erwähnten Interview zu und entlarvt sich damit
selber. Beim Programm Passepartout hiess es gleich zu Beginn seiner Umsetzung,
dass nur die in 24(!) Halbtagen Weitergebildeten ihre Unterrichtsberechtigung
im entsprechenden Sprachfach beibehalten können. Inzwischen krebsen die
Verantwortlichen zurück, mit dem verzweifelten Versuch, einen Rest ihres
bereits verlorenen Gesichtes zu wahren. Masst sich eine erfahrene Lehrerin an,
Kritik zu äussern, so gilt sie augenblicklich als ewiggestrig. Ein solch
hinterhältiges Regime mit verordneter Gehirnwäsche ist nur aus totalitären
Staaten oder bei religiösen Sekten bekannt.
Daniel
Vuilliomenet ist Lehrer an der Sekundarschule in Oberwil.
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