Psychologin Yvonne Weber Häner hat Verständnis
für Eltern, die ihren Kindern zu sehr helfen. Doch sie untergraben die
Chancengleichheit im Schweizer Schulsystem.
"Die Angst ist gross, dass das Kind den Anschluss verliert", Beobachter, 18.1. von Tanja Polli
Beobachter: Unsere
Recherchen zeigen, dass Eltern Maturaarbeiten schreiben, Vorträge verfassen und
Hausaufgaben erledigen. Wundert Sie das?
Yvonne Weber Häner: Nein, das ist eine Beobachtung,
die ich aus meiner Praxis bestätigen kann. Ich berate seit zehn Jahren
Familien. Dabei begegne ich immer mehr Eltern, die erschöpft sind, weil sie den
Kindern viel abnehmen und einspringen, wenn diese nicht weiterkommen oder
übermüdet sind. Das sind keineswegs mehr nur Eltern von schulisch schwachen
Kindern und Jugendlichen, sondern auch Mütter und Väter durchschnittlich
intelligenter Kinder.
Beobachter: Woher
kommt diese Entwicklung?
Weber Häner: Das Schulsystem hat sich in den letzten 10, 15 Jahren stark verändert. Die Anforderungen an die Selbständigkeit der Kinder sind früh sehr hoch mit Wochenplänen, Präsentationen, Projektarbeiten und selbstorganisiertem Lernen. Viele Kinder und Jugendliche sind damit organisatorisch überfordert. Die Eltern merken das und übernehmen.
Weber Häner: Das Schulsystem hat sich in den letzten 10, 15 Jahren stark verändert. Die Anforderungen an die Selbständigkeit der Kinder sind früh sehr hoch mit Wochenplänen, Präsentationen, Projektarbeiten und selbstorganisiertem Lernen. Viele Kinder und Jugendliche sind damit organisatorisch überfordert. Die Eltern merken das und übernehmen.
Beobachter: Gibt
es noch andere Gründe?
Weber Häner: Natürlich spielt auch die zeitliche Belastung der Familie eine Rolle: Die Eltern arbeiten, die Kinder treiben Sport oder gehen anderen Hobbys nach, bei denen oft auch ein Leistungsgedanke vorherrscht. Die Eltern sehen, dass die Zeit nirgends reicht. Die nach Hause delegierten Schularbeiten bringen das System an die Grenzen. Mama und Papa übernehmen rasch. Manchmal auch, um zeitintensiven Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen.
Weber Häner: Natürlich spielt auch die zeitliche Belastung der Familie eine Rolle: Die Eltern arbeiten, die Kinder treiben Sport oder gehen anderen Hobbys nach, bei denen oft auch ein Leistungsgedanke vorherrscht. Die Eltern sehen, dass die Zeit nirgends reicht. Die nach Hause delegierten Schularbeiten bringen das System an die Grenzen. Mama und Papa übernehmen rasch. Manchmal auch, um zeitintensiven Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen.
Beobachter: Was
genau übernehmen die Eltern?
Weber Häner: Meist sind es die Mütter, die zu Hilfslehrerinnen werden. Sie unterstützen bei der Zeiteinteilung, zeigen dem Kind, wie Powerpoint funktioniert, bringen ihm für den Vortrag das Recherchieren im Netz bei, suchen Interviewpartner für die Projektarbeit. Die Eltern kompensieren die von der Schule noch nicht vermittelten Fertigkeiten. So werden die Kinder zwar kurzfristig entlastet, gleichzeitig steigt aber der schulische Druck in der Familie.
Weber Häner: Meist sind es die Mütter, die zu Hilfslehrerinnen werden. Sie unterstützen bei der Zeiteinteilung, zeigen dem Kind, wie Powerpoint funktioniert, bringen ihm für den Vortrag das Recherchieren im Netz bei, suchen Interviewpartner für die Projektarbeit. Die Eltern kompensieren die von der Schule noch nicht vermittelten Fertigkeiten. So werden die Kinder zwar kurzfristig entlastet, gleichzeitig steigt aber der schulische Druck in der Familie.
Beobachter: Warum
wehren sich die Eltern nicht?
Weber Häner: Die Zuversicht, das Vertrauen in die Schule und die Zukunft, ist in der gesamten Gesellschaft geschwunden. Die Angst ist gross, das Kind könnte den Anschluss verlieren. Hinzu kommt, dass sich Mütter oft einem enormen Druck aussetzen: Sie haben ihre Sache dann gut gemacht, wenn das Kind erfolgreich ist. Die Schule wird zum Familienprojekt. Manche Eltern sitzen jeden Abend mit dem Kind zusammen und versuchen, die Hausaufgaben auf die Reihe zu kriegen. Andere bezahlen teure externe Unterstützung. Die Schule weiss davon oft nichts. Wenn das zur Normalität wird, haben wir einen Missstand, gegen den man antreten muss.
Weber Häner: Die Zuversicht, das Vertrauen in die Schule und die Zukunft, ist in der gesamten Gesellschaft geschwunden. Die Angst ist gross, das Kind könnte den Anschluss verlieren. Hinzu kommt, dass sich Mütter oft einem enormen Druck aussetzen: Sie haben ihre Sache dann gut gemacht, wenn das Kind erfolgreich ist. Die Schule wird zum Familienprojekt. Manche Eltern sitzen jeden Abend mit dem Kind zusammen und versuchen, die Hausaufgaben auf die Reihe zu kriegen. Andere bezahlen teure externe Unterstützung. Die Schule weiss davon oft nichts. Wenn das zur Normalität wird, haben wir einen Missstand, gegen den man antreten muss.
Beobachter: Was
sollen Eltern tun?
Weber Häner: Sich bei der Schule melden. Das ist nicht etwa ein Eingeständnis persönlicher Schwäche, sondern ein wichtiger Hinweis für die Schule. Natürlich exponiert man sich und das Kind damit ein Stück weit, aber nur über die Zusammenarbeit mit der Schule kann sich etwas ändern.
Weber Häner: Sich bei der Schule melden. Das ist nicht etwa ein Eingeständnis persönlicher Schwäche, sondern ein wichtiger Hinweis für die Schule. Natürlich exponiert man sich und das Kind damit ein Stück weit, aber nur über die Zusammenarbeit mit der Schule kann sich etwas ändern.
Beobachter: Was
ist mit Kindern, deren Eltern keine Hilfslehrereinsätze leisten können?
Weber Häner: Ich bin mittlerweile überzeugt, dass diese Kinder oft extrem benachteiligt sind. Die Chancengerechtigkeit ist in aller Munde, aber bei genauerem Hinsehen kommen nicht selten nur noch diejenigen gut über die Runden, die daheim viel Unterstützung erhalten.
Weber Häner: Ich bin mittlerweile überzeugt, dass diese Kinder oft extrem benachteiligt sind. Die Chancengerechtigkeit ist in aller Munde, aber bei genauerem Hinsehen kommen nicht selten nur noch diejenigen gut über die Runden, die daheim viel Unterstützung erhalten.
Beobachter: Und
Eltern, die ihre Kinder unterstützen, torpedieren die Chancengerechtigkeit?
Werber Häner: Man kann es torpedieren nennen. Aber eigentlich tun die Eltern einfach das, was aus ihrer Sicht nötig ist, um ihren Kindern schulische Erfolgserlebnisse und gute Noten zu ermöglichen. Es gibt ja keine allgemeingültigen Regeln für die Fairness in diesem Bereich. Eltern kommen oft zum Schluss, dass es dazugehört, sich so stark zu engagieren. Wenn sie die Präsentation nicht machen, die geforderten Bilder nicht ausdrucken, den Aufsatz nicht schreiben, hören sie vom Kind, dass andere Eltern sehr viel mehr machen. Es entsteht dann eine Art Wettbewerb um die geleisteten Arbeiten.
Werber Häner: Man kann es torpedieren nennen. Aber eigentlich tun die Eltern einfach das, was aus ihrer Sicht nötig ist, um ihren Kindern schulische Erfolgserlebnisse und gute Noten zu ermöglichen. Es gibt ja keine allgemeingültigen Regeln für die Fairness in diesem Bereich. Eltern kommen oft zum Schluss, dass es dazugehört, sich so stark zu engagieren. Wenn sie die Präsentation nicht machen, die geforderten Bilder nicht ausdrucken, den Aufsatz nicht schreiben, hören sie vom Kind, dass andere Eltern sehr viel mehr machen. Es entsteht dann eine Art Wettbewerb um die geleisteten Arbeiten.
Beobachter: Und
was sind die Folgen für die Kinder, wenn die Eltern ihnen alles abnehmen?
Weber Häner: Kinder haben ein Recht darauf, Erfahrungen des Scheiterns zu machen und zu lernen, mit Misserfolgen umzugehen. Das kann auch mal heissen, dass man eine schulische Zusatzschlaufe machen muss. Wenn man den Kindern alle Hindernisse aus dem Weg räumt, fehlt ihnen die Erfahrung, mit negativen Erlebnissen umzugehen. Ich sehe heute öfter wenig belastbare Jugendliche, denen die Erfahrung fehlt, an Grenzen zu stossen oder Konsequenzen tragen zu müssen.
Weber Häner: Kinder haben ein Recht darauf, Erfahrungen des Scheiterns zu machen und zu lernen, mit Misserfolgen umzugehen. Das kann auch mal heissen, dass man eine schulische Zusatzschlaufe machen muss. Wenn man den Kindern alle Hindernisse aus dem Weg räumt, fehlt ihnen die Erfahrung, mit negativen Erlebnissen umzugehen. Ich sehe heute öfter wenig belastbare Jugendliche, denen die Erfahrung fehlt, an Grenzen zu stossen oder Konsequenzen tragen zu müssen.
Yvonne Weber Häner ist Psychologin FSP,
Sekundarlehrerin und Mutter von zwei Kindern. Sie ist zudem als Eltern-, Lern-
und AD(H)S-Coach tätig.
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