Seit
einiger Zeit ist die jahrzehntelang ansteigende Welle der Neopädagogik am
Abflachen. Das finnische Wallfahrtsziel der strenggläubigen Reformisten ist zum
schnöden … Reformfall geworden. Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, auch
sie durchreformiert und in den Klassierungen vom Besenwagen bedrängt, suchen
nach Auswegen. Frankreich, nach einem Vierteljahrhundert verheerender Versuche
am (immer weniger) lebenden Schulkörper hat nun einen Schwenk hin zur Vernunft
vollzogen.
Bildung: Zurück zur Realität, Basellandschaftliche Zeitung, 11.12. von André Vanoncini
In der
deutschen Schweiz, wo die neopädagogische Harfe besonders inbrünstig gezupft
wurde, gibt es ebenfalls Zeichen einer Neubesinnung. In einigen Kantonen, allen
voran Baselland, ist der Lehrplan 21 schultauglicher gemacht worden (klare
Stoffinhalte, Jahresziele, Leistungsniveaus, Einzel- statt Kombifächer). Das
«Passepartout»-Projekt mit seinen Lehrmitteln Mille feuilles und Clin d’oeil
ist, nachdem die Nerven von Eltern und Kindern blank liegen, in eine
«Verbesserungsphase» eingetreten, bevor es hoffentlich im Schreckenskabinett
der Reformgeschichte Platz findet. Bedenkt man, welche menschlichen und
finanziellen Opfer auf dem Altar der Neopädagogik dargebracht wurden, so
erschauert man. Seit über 30 Jahren wird allein die Region Basel mit einem
Trommelfeuer von Reformen überzogen. Eltern-, Schüler- und Lehrerschaft wurden
zu Geiseln von theoriefixierten Experten, die sich von der Unterrichtspraxis
entfernt oder sie gar nie beherrscht hatten. Frustration, Burnout, aber auch
(berechtigte) Ansätze zur Rebellion sind die Folgen. Ganz schlimm trifft es die
Lehrpersonen, dass ihnen Gehalt und Pension gekürzt wurden, nachdem sie
zuschauen mussten, wie Hunderte von Millionen im Schlund der Expertokratie
verschwanden.
Die
grössten Kostentreiber waren und sind dabei die pädagogischen Hochschulen (PH).
Sie haben im Zug der sogenannten «Tertiarisierung» nicht nur ihr Personal
massiv ausgebaut, akademisiert und entsprechend verteuert, sondern auch sämtliche
Reformprojekte angestossen und administriert. Ihren Kernauftrag, die Ausbildung
von Lehrpersonen zur Praxistauglichkeit, haben sie vernachlässigt und dabei in
Konkurrenz zur Universität Pädagogik theoretischer Art betrieben.
Einzelfachwissen und Unterrichtserfahrung wurden dabei als lästige Anhängsel
empfunden. Die ETH-Professorin Elsbeth Stern spricht den PHs ihr
grundsätzliches Misstrauen aus. Sie fordert, die Lehrpersonenausbildung aller
Stufen, inklusive Primarstufe (!), der Universität zu übertragen: «Meiner
Meinung nach sollten alle angehenden Lehrpersonen die Universität statt die
pädagogische Hochschule besuchen» («Lehrpersonen sollten sehr intelligent
sein», Klett Rundgang 04 / 2017, von Yvonne Bugmann). Richtig ist gewiss, dass
angehende Lehrpersonen über ein vertieftes und von der Universität vermitteltes
Fachwissen sowie über praktische Kompetenz verfügen sollten.
Eine
nüchterne Lagebeurteilung ist notwendig und muss zu zukunftsfähigen Lösungen
führen. In der Region Basel haben wir die günstigsten Voraussetzungen dazu:
■ Die
fachliche Lehramtsausbildung, zumindest ab Stufe Sek I, soll an der Universität
stattfinden. Unsere Volluniversität verfügt über die nötigen Kompetenzen und
Ressourcen in sämtlichen Schulfächern. Da sie bereits jetzt ein
3-Fächer-Studium auf Bachelor-Stufe anbietet, ist sie auf eine Integration der
rein PH-Studierenden vorbereitet. Letztere kämen zudem in den Genuss eines
Universitäts-Studiums mit Anschlussmöglichkeiten.
■ Die
PH sorgt für die praktische Unterrichtstauglichkeit der Lehrpersonen (siehe
Genfer Modell). Sie verbessert die Praxistauglichkeit ihrer Ausbildungsgänge.
Für theoretische Arbeiten und Forschung soll das von der Universität
mitgetragene Institut für Bildungswissenschaften zuständig sein. Auf diese Weise
könnte der leerlaufende Schulreformmotor gebremst und saniert werden.
■ Durch
eine solche Verlagerung könnten bedeutende Mittel eingespart oder teilweise für
die Universität eingesetzt werden. Damit könnten die von beiden Basel für die
Universität bewilligten Gelder ohne Zusatzkosten erhöht werden.
■ Da
Basel-Stadt und Baselland als Hochschulkantone mit Universität und PH grosse
Lasten zu stemmen haben, sind Doppelspurigkeiten zu vermeiden. Es gilt daher,
die spezifischen Qualitäten von Universität und PH gezielt zu nutzen und die
Zusammenarbeit beider Institutionen zu stärken. In den Verhandlungen der Nordwestschweizer
Kantone sollten die beiden Basel ihre Interessen ebenso konsequent wie Aargau
und Solothurn durchsetzen. Es ist nicht einzusehen, warum die Universität
genauso wie die PH nicht auch von vier Kantonen getragen wird.
Der Autor war Titularprofessor
für Französistik an
der Universität Basel und
Mitglied der Gruppe für eine
bessere SekundarlehrerAusbildung
(GBS).
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