Wie
Thomas Dähler in seinem Beitrag «Frühfranzösisch-Flop wird korrigiert»
festhält, sind die Ergebnisse nach sechs Jahren Fremdsprachenunterricht mit den
Passepartout-Lehrmitteln «Mille feuilles», «Clin d’oeil» und «New World»
enttäuschend. Nun sollen die Bände umgearbeitet werden, und anschliessend wird
noch mehr Ergänzungsmaterial zur Verfügung stehen. Ob dies aber weiterhilft,
ist fraglich. Warum?
«Mille feuilles» – Theorie gegen Vernunft, Basler Zeitung, 11.12. von Felix Schmutz
Man
setzte Hoffnungen in Erkenntnisse, die eine andere Ausrichtung des Unterrichts
verlangten, und stützte sich im Wesentlichen auf zwei Hypothesen. Die eine
stammt von Stephen Krashen (1982): Der Aufbau eines Sprachlehrgangs, sagt
Krashen, habe keinen Einfluss auf das Lernen der Fremdsprache, denn der
Spracherwerb folge einer «fixen angeborenen Reihenfolge». Was auch immer
Lehrpersonen den Lernenden vorsetzten, deren Gehirn picke sich das heraus, was
dieser Reihenfolge gerade entspreche. Daher verwende man keine schrittweise
aufbauenden Materialien mehr, sondern nur noch «authentische Texte» und tauche
ins «Sprachbad» ein. Daraus konstruierten sich Kinder und Jugendliche ganz von
selbst die Sprache. Plausibel an dieser Theorie ist nur, dass sich
Sprachenlernen in Stufen vollzieht, die allerdings individuell stark
differieren. Empirisch widerlegt ist die Behauptung, dass sich der Spracherwerb
nicht durch Unterricht systematisch lenken, aufbauen und beschleunigen liesse.
Die
zweite Hypothese nimmt an, die Kenntnis einer Sprache beeinflusse das Lernen
weiterer Sprachen (Mehrsprachigkeitsdidaktik, Meissner 1998). Dass dies
zutrifft, wird kaum jemand bestreiten. Allerdings ist sehr umstritten, wie
genau diese Beziehungen zwischen den Sprachen spielen und wie sich das im
Unterricht nutzen lässt, um das Lernen zu erleichtern. Hauptsächlich vier Ideen
leiten die Didaktiker von Passepartout dennoch aus der Mehrsprachigkeit ab:
1.
Wortschatz- und Strukturvergleiche zwischen Sprachen sollen Ähnlichkeiten und
Unterschiede aufdecken und zum gleichzeitigen Erwerb mehrerer Sprachen dienen.
2.
Lernende entwickeln eine vorläufige «Zwischensprache», die sich allmählich
automatisch zur Zielsprache hin perfektioniert. Deshalb sei Fehlerkorrektur
unnötig.
3.
Erschliessungsstrategien erleichterten das Verständnis schwieriger Texte.
4.
Es genüge, wenn man alle Sprachen der Spur nach könne oder sie ein bisschen
vermische, also eine «funktionale Mehrsprachigkeit» erreiche.
Hier
fällt zunächst die Kopflastigkeit ins Auge: Wie sollen Unerfahrene ohne
linguistische Kenntnisse Sprachvergleiche beim Sprechen und Lesen anstellen,
Analysen vornehmen oder Strategieraster durchexerzieren? Zweitens ist
Mehrsprachigkeit von individuellen Faktoren abhängig, sodass es heikel ist, auf
allgemeine Gesetzmässigkeiten zu schliessen. Drittens bekommt Fehlermachen eine
Art Kultstatus: Dass man aber elementare Fehler, die man sich angewöhnt hat,
nur noch mit allergrösster Anstrengung wieder loswird, erfährt jeder Mensch
nicht nur beim Sprachenlernen. Viertens vernachlässigt die funktionale
Mehrsprachigkeit, dass jede Sprache ihre eigene identitätsstiftende Denkart und
Weltsicht vermittelt, die nicht mechanisch in eine andere umzuwandeln ist, wenn
man sie nicht einebnen und ihrer Eigenart berauben will.
Die
obigen Hypothesen werden in den Passepartout-Lehrmitteln doktrinär umgesetzt:
kein Aufbau vom Einfachen zum Schwierigen, sperrige Texte, beliebiger
Wortschatz, Seiten voller Sprechblasen mit Strategien, trockene Listen von
Wörtern und Wendungen ohne Dialogmuster, eine verwirrende Vielfalt von Texten,
Bildern, Rastern, die über mehrere Medien verzettelt sind, eine nicht zu
bewältigende Materialfülle, schwierige Anwendungsaufgaben, wenig Übungen.
Damit
missachtet Passepartout Grundtatsachen des Lernens. Andere moderne Lehrmittel
der letzten Jahre sind übersichtlicher und folgen in etwa den «10 Prinzipien
eines angeleiteten Sprachenlernens» (Ten Principles of Instructed Language
Learning, 2005) von Rod Ellis, der das bisher gesicherte Erfahrungswissen
zusammengefasst hat und ein breites Spektrum an Methoden empfiehlt.
Trotz
des offensichtlichen Misserfolgs schalten die Verantwortlichen auf stur. Das
zeigen nachgelieferte Materialien, wie zum Beispiel die Grammatik, bei der
Primarschulkinder Französisch mit Suaheli, Arabisch, Finnisch, Dari,
Kantonesisch und zirka 30 weiteren Sprachen vergleichen sollen, um Dinge wie die
Verneinung oder die Zahlen zu lernen. Entgegen aller Vernunft wird das abwegige
Konzept beibehalten. Anstatt noch mehr Geld in ein verunglücktes Projekt zu
stecken, empfiehlt sich ein abrupter Abbruch des Experiments. Das würde die
Möglichkeit bieten, schnell auf geeignetere Lehrmittel umzusteigen und
erfolgreichere Methoden anzuwenden.
Felix
Schmutz war bis
zur Pensionierung 2011 während 38 Jahren Lehrer für Deutsch, Französisch und
Englisch an der Sekundarstufe I in Basel; Mitarbeit an Lehrplanreformen und
Tätigkeit in der Lehrerausbildung als Dozent für Deutschdidaktik an der
Universität Basel.
Ich finde die Überarbeitung der Lehrmittel eigentlich eine Frechheit und besonders unfair gegenüber den anderen Bewerbern, welche von Beginn an brauchbare Lehrmittel konzipiert hatten. Hier muss die Notbremse gezogen werden, wie es seinerzeit der Kanton Zürich mit dem völlig verunglückten Explorers-Primarenglischlehrmittel (10 Millionen in den Sand gesetzt) getan hat.
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