10. Dezember 2017

Bildungskapital als Antwort auf die Digitalisierung der Bildungsmärkte

In der Schweiz bestimmt immer noch die Herkunft über Bildungschancen. Ein radikaler Umbau der Finanzierung könnte das ändern, schreiben Anna Maria Koukal und Reiner Eichenberger.
Investiert in alle!, NZZaS, 26.11. von Anna Maria Koukal und Reiner Eichenberger


Digitalisierung und Globalisierung beschleunigen den technologischen und gesellschaftlichen Wandel. Zusammen werden sie vieles auf den Kopf stellen. Das gilt insbesondere für die Bildung. Die Internationalisierung der Produktionsprozesse und die Öffnung des Schweizer Arbeitsmarktes erhöhen den Druck auf die Arbeitskräfte. Damit wird deren Ausbildung immer wichtiger.

Ausbildung findet zunehmend lebenslang und berufsbegleitend statt, digitale Bildungsangebote ergänzen oder ersetzen traditionelle. Gleichzeitig wird der Bildungsmarkt internationaler. Um ihren Einwohnern auch in Zukunft bestmögliche Bedingungen zu bieten, muss die Schweiz ihr Bildungssystem weiterentwickeln. Die Chancengleichheit muss weiter erhöht und die Effizienz gesteigert werden. Das gelingt nur, wenn die Bildungsfinanzierung nicht mehr zwischen verschiedenen Formen und Anbietern diskriminiert.

Familien müssen bezahlen

Bildungskosten werden in der Schweiz vor allem von Staat und Familie getragen. Der Staat deckt mit Beiträgen einen sehr grossen Teil der Kosten der Universitäten und Fachhochschulen. Ab Anfang 2018 deckt er auch bis zur Hälfte der Kurskosten von Berufsausbildungen, die auf eidgenössische Prüfungen zielen. Dadurch wird die Benachteiligung der höheren Berufsbildung gegenüber den Hochschulen verkleinert, aber nicht beseitigt. Da der Staat die Lebenshaltungskosten während der Ausbildung und die Gebühren von privaten und ausländischen Bildungsinstitutionen nur zu einem kleinen Teil trägt, ist der familiäre Beitrag gross. Mit einem Anteil von über 50 Prozent ist die Familie die wichtigste Einkommensquelle von Studierenden. Entsprechend bleibt die familiäre Herkunft einer Person bis heute zentral für ihre Bildungschancen.

Um das Schweizer Bildungssystem für die neue Bildungswelt fit zu machen, müssen deshalb seine folgenden drei Schwächen kuriert werden: Erstens sind die Bildungschancen zu stark an die soziale Herkunft gebunden. Zweitens diskriminiert der Staat trotz Fortschritten weiterhin zwischen unterschiedlichen Arten und Zeitpunkten der tertiären Bildung, insbesondere zwischen akademischer Bildung an Hochschulen (mit praktisch 100 Prozent Kostendeckung), berufsbegleitender Bildung mit eidgenössischem Fachausweis (rund 50 Prozent), berufsbegleitender Bildung ohne eidgenössischen Fachausweis wie beispielsweise MBA-Programmen (0 Prozent) sowie Ausbildungen im Ausland (oft 0 Prozent). Drittens bricht die staatliche Kostendeckung der Hochschulbildung die Anreize der Studierenden, die gesellschaftlichen Kosten ihrer Ausbildung zu berücksichtigen, was wiederum die Anreize der Bildungsstätten senkt, ihre Dienste zu einem möglichst guten Kosten-Leistungs-Verhältnis zu erbringen.

Als Antwort auf diese Probleme wird zuweilen ein Grundeinkommen für Studierende gefordert, wie es beispielsweise Norwegen kennt. Dort erhalten einheimische Studierende ein Einkommen zur Deckung ihrer Lebenshaltungskosten. Doch das bringt keine Lösung. Die Kosten sind sehr hoch, die Anreize der Studierenden zu kostenbewusster Studienwahl werden nicht gestärkt, und die Diskriminierung zwischen unterschiedlichen Arten, Zeitpunkten und Orten der tertiären Bildung und Weiterbildung bleibt bestehen.
Die Probleme lassen sich lösen oder zumindest entschärfen, indem zu einer subjektbezogenen Finanzierung übergegangen wird. Der Königsweg im Zeitalter der Globalisierung ist eine direkte Förderung aller Auszubildenden, die auf vier Elementen beruht:

Erstens: Jeder Einwohner erhält zur Volljährigkeit ein verzinsliches Bildungskapital. Angemessen erscheint uns ein Betrag von 50000 bis 70000 Franken. Damit kann der Bildungsweg nach Schul- oder Lehrabschluss unter gewissen staatlichen Vorgaben frei gestaltet werden.

Kreditmarkt für Ausbildungen

Zweitens: Die ausbildungsbedingten Kosten der tertiären Bildungsinstitutionen, die zwischen den Studienrichtungen und Leistungsträgern stark variieren und heute durchschnittlich rund 17000 Franken pro Jahr betragen, werden zu einem angemessenen Anteil über Beiträge der Studierenden finanziert, welche diese aus ihrem Bildungskapital zahlen können.

Drittens: Es soll ein Kreditmarkt eingerichtet werden, auf dem Auszubildende zu angemessenen Konditionen Bildungskredite aufnehmen können, mit denen sie nicht durch das Bildungskapital gedeckte Gebühren und Lebenshaltungskosten bezahlen können.
Viertens: Die bis zur Pensionierung nicht für Bildung verwendeten Mittel fliessen verzinst, aber unter Abzug eines bestimmten Anteils in das Altersspar­kapital der zweiten Säule. Dies gibt den Aus- und Weiterzubildenden Anreize, mit ihrem Kapital sorgfältig umzugehen, aber es doch, wenn möglich, in Bildung zu investieren.

Ein so ausgestaltetes Kapital für tertiäre Bildung erhöht die Chancengleichheit, gibt den Auszubildenden Anreize, bei ihren Bildungsentscheiden die gesellschaftlichen Kosten zu berücksichtigen, schafft freieren und weniger verzerrten Wettbewerb zwischen den verschiedenen Bildungswegen und -institutionen, und es erleichtert den jungen Inländern den Zugang zum internationalen Bildungsmarkt.

Gelegentlich wird eingewandt, unser Vorschlag löse Zuwanderung auf den Zeitpunkt der Volljährigkeit aus. Tatsächlich aber werden die Anreize dazu kaum grösser als mit dem heutigen System mit Vollkostendeckung. Zudem könnte das Bildungskapital durch gestaffelte Gutschriften während der Kindheit in der Schweiz gebildet werden, so dass sich kurzfristige Zuwanderung nicht mehr lohnte.

Anreize zum Missbrauch?

Das Bildungskapital kann je nach Höhe weitgehend oder vollständig mit den bisherigen Budgetmitteln finanziert werden. Im Hochschulbereich bringt es kurzfristig nur eine Umlagerung von objektorientierten zu effizienteren subjektorientierten Ausbildungsbeiträgen und längerfristig Einsparungen dank den durch das Bildungskapital bedingten Sparanreizen der Studierenden und Leistungserbringer. Zugleich steigt der Finanzierungsbeitrag ausländischer Studierender, die zwar ebenfalls höhere Gebühren bezahlen müssen, aber kein Bildungskapital erhalten. Viertens sichern lebenslanges Lernen und Weiterbildung die Einkommen der Bürger und damit auch die Steuereinnahmen des Staates.

Natürlich löst das Bildungskapital nicht alle Probleme der tertiären Bildung. Aber verglichen mit den realistischen Alternativen ist es weit attraktiver. Eine wichtige Frage bleibt, ob auch diejenigen, die ihre tertiäre Ausbildung schon vor der Einführung des Bildungskapitals begonnen haben, in das System integriert werden sollen. Dazu sind Übergangslösungen denkbar. Wir sind überzeugt, dass das Bildungskapital die richtige Antwort auf die Internationalisierung und Digitalisierung der Bildungs- und Arbeitsmärkte darstellt.


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