In der Schweiz bestimmt immer noch die Herkunft über
Bildungschancen. Ein radikaler Umbau der Finanzierung könnte das ändern,
schreiben Anna Maria Koukal und Reiner Eichenberger.
Investiert in alle!, NZZaS, 26.11. von Anna Maria Koukal und Reiner Eichenberger
Digitalisierung und
Globalisierung beschleunigen den technologischen und gesellschaftlichen Wandel.
Zusammen werden sie vieles auf den Kopf stellen. Das gilt insbesondere für die
Bildung. Die Internationalisierung der Produktionsprozesse und die Öffnung des
Schweizer Arbeitsmarktes erhöhen den Druck auf die Arbeitskräfte. Damit wird
deren Ausbildung immer wichtiger.
Ausbildung
findet zunehmend lebenslang und berufsbegleitend statt, digitale
Bildungsangebote ergänzen oder ersetzen traditionelle. Gleichzeitig wird der
Bildungsmarkt internationaler. Um ihren Einwohnern auch in Zukunft bestmögliche
Bedingungen zu bieten, muss die Schweiz ihr Bildungssystem weiterentwickeln.
Die Chancengleichheit muss weiter erhöht und die Effizienz gesteigert werden.
Das gelingt nur, wenn die Bildungsfinanzierung nicht mehr zwischen
verschiedenen Formen und Anbietern diskriminiert.
Familien müssen bezahlen
Bildungskosten
werden in der Schweiz vor allem von Staat und Familie getragen. Der Staat deckt
mit Beiträgen einen sehr grossen Teil der Kosten der Universitäten und
Fachhochschulen. Ab Anfang 2018 deckt er auch bis zur Hälfte der Kurskosten von
Berufsausbildungen, die auf eidgenössische Prüfungen zielen. Dadurch wird die
Benachteiligung der höheren Berufsbildung gegenüber den Hochschulen
verkleinert, aber nicht beseitigt. Da der Staat die Lebenshaltungskosten
während der Ausbildung und die Gebühren von privaten und ausländischen
Bildungsinstitutionen nur zu einem kleinen Teil trägt, ist der familiäre
Beitrag gross. Mit einem Anteil von über 50 Prozent ist die Familie die
wichtigste Einkommensquelle von Studierenden. Entsprechend bleibt die familiäre
Herkunft einer Person bis heute zentral für ihre Bildungschancen.
Um
das Schweizer Bildungssystem für die neue Bildungswelt fit zu machen, müssen
deshalb seine folgenden drei Schwächen kuriert werden: Erstens sind die
Bildungschancen zu stark an die soziale Herkunft gebunden. Zweitens
diskriminiert der Staat trotz Fortschritten weiterhin zwischen
unterschiedlichen Arten und Zeitpunkten der tertiären Bildung, insbesondere
zwischen akademischer Bildung an Hochschulen (mit praktisch 100 Prozent
Kostendeckung), berufsbegleitender Bildung mit eidgenössischem Fachausweis
(rund 50 Prozent), berufsbegleitender Bildung ohne eidgenössischen Fachausweis
wie beispielsweise MBA-Programmen (0 Prozent) sowie Ausbildungen im Ausland
(oft 0 Prozent). Drittens bricht die staatliche Kostendeckung der
Hochschulbildung die Anreize der Studierenden, die gesellschaftlichen Kosten
ihrer Ausbildung zu berücksichtigen, was wiederum die Anreize der
Bildungsstätten senkt, ihre Dienste zu einem möglichst guten
Kosten-Leistungs-Verhältnis zu erbringen.
Als
Antwort auf diese Probleme wird zuweilen ein Grundeinkommen für Studierende
gefordert, wie es beispielsweise Norwegen kennt. Dort erhalten einheimische
Studierende ein Einkommen zur Deckung ihrer Lebenshaltungskosten. Doch das
bringt keine Lösung. Die Kosten sind sehr hoch, die Anreize der Studierenden zu
kostenbewusster Studienwahl werden nicht gestärkt, und die Diskriminierung
zwischen unterschiedlichen Arten, Zeitpunkten und Orten der tertiären Bildung
und Weiterbildung bleibt bestehen.
Die
Probleme lassen sich lösen oder zumindest entschärfen, indem zu einer
subjektbezogenen Finanzierung übergegangen wird. Der Königsweg im Zeitalter der
Globalisierung ist eine direkte Förderung aller Auszubildenden, die auf vier
Elementen beruht:
Erstens:
Jeder Einwohner erhält zur Volljährigkeit ein verzinsliches Bildungskapital.
Angemessen erscheint uns ein Betrag von 50000 bis 70000 Franken. Damit kann der
Bildungsweg nach Schul- oder Lehrabschluss unter gewissen staatlichen Vorgaben
frei gestaltet werden.
Kreditmarkt für Ausbildungen
Zweitens:
Die ausbildungsbedingten Kosten der tertiären Bildungsinstitutionen, die
zwischen den Studienrichtungen und Leistungsträgern stark variieren und heute
durchschnittlich rund 17000 Franken pro Jahr betragen, werden zu einem angemessenen
Anteil über Beiträge der Studierenden finanziert, welche diese aus ihrem
Bildungskapital zahlen können.
Drittens:
Es soll ein Kreditmarkt eingerichtet werden, auf dem Auszubildende zu
angemessenen Konditionen Bildungskredite aufnehmen können, mit denen sie nicht
durch das Bildungskapital gedeckte Gebühren und Lebenshaltungskosten bezahlen
können.
Viertens:
Die bis zur Pensionierung nicht für Bildung verwendeten Mittel fliessen
verzinst, aber unter Abzug eines bestimmten Anteils in das Alterssparkapital
der zweiten Säule. Dies gibt den Aus- und Weiterzubildenden Anreize, mit ihrem
Kapital sorgfältig umzugehen, aber es doch, wenn möglich, in Bildung zu
investieren.
Ein
so ausgestaltetes Kapital für tertiäre Bildung erhöht die Chancengleichheit,
gibt den Auszubildenden Anreize, bei ihren Bildungsentscheiden die
gesellschaftlichen Kosten zu berücksichtigen, schafft freieren und weniger
verzerrten Wettbewerb zwischen den verschiedenen Bildungswegen und
-institutionen, und es erleichtert den jungen Inländern den Zugang zum
internationalen Bildungsmarkt.
Gelegentlich
wird eingewandt, unser Vorschlag löse Zuwanderung auf den Zeitpunkt der
Volljährigkeit aus. Tatsächlich aber werden die Anreize dazu kaum grösser als
mit dem heutigen System mit Vollkostendeckung. Zudem könnte das Bildungskapital
durch gestaffelte Gutschriften während der Kindheit in der Schweiz gebildet
werden, so dass sich kurzfristige Zuwanderung nicht mehr lohnte.
Anreize zum Missbrauch?
Das
Bildungskapital kann je nach Höhe weitgehend oder vollständig mit den
bisherigen Budgetmitteln finanziert werden. Im Hochschulbereich bringt es
kurzfristig nur eine Umlagerung von objektorientierten zu effizienteren
subjektorientierten Ausbildungsbeiträgen und längerfristig Einsparungen dank
den durch das Bildungskapital bedingten Sparanreizen der Studierenden und
Leistungserbringer. Zugleich steigt der Finanzierungsbeitrag ausländischer
Studierender, die zwar ebenfalls höhere Gebühren bezahlen müssen, aber kein
Bildungskapital erhalten. Viertens sichern lebenslanges Lernen und
Weiterbildung die Einkommen der Bürger und damit auch die Steuereinnahmen des
Staates.
Natürlich
löst das Bildungskapital nicht alle Probleme der tertiären Bildung. Aber
verglichen mit den realistischen Alternativen ist es weit attraktiver. Eine
wichtige Frage bleibt, ob auch diejenigen, die ihre tertiäre Ausbildung schon
vor der Einführung des Bildungskapitals begonnen haben, in das System
integriert werden sollen. Dazu sind Übergangslösungen denkbar. Wir sind
überzeugt, dass das Bildungskapital die richtige Antwort auf die
Internationalisierung und Digitalisierung der Bildungs- und Arbeitsmärkte
darstellt.
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