Der nationale Lehrerverband
diskutiert, ob auch Primarschullehrer einen Master haben müssen. Thurgauer
Lehrerinnen und Lehrer stehen diesem Ansinnen skeptisch gegenüber. Die
Thurgauer Bildungsdirektorin Monika Knill plädiert für das heutige System.
In jeder Schulklasse einen Master, St. Galler Tagblatt, 11.12. von Sebastian Keller
Primarlehrerinnen und -lehrer müssen lange zur Schule. Im Thurgau in der
Regel mindestens fünfzehn Jahre – ihre Kindergartenjahre nicht eingerechnet.
Nach dem dreijährigen Bachelor an der Pädagogischen Hochschule Thurgau, der
drei Jahre dauert, können sie eine Stelle im Klassenzimmer antreten, um
Primarschüler von der ersten bis zur sechsten Klasse zu unterrichten. Heute
noch. Denn: Der Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) packt ein
bildungspolitisch heisses Eisen an. Er stellt einen Masterabschluss für alle
Lehrpersonen – vom Kindergärtner bis zur Seklehrerin – zur Diskussion. Das
bedeutet: Primarlehrpersonen müssten noch länger die Schulbank drücken. Ein
Master dauert – im Vollzeitstudium – nochmals drei Semester. Ein entsprechendes
Positionspapier hat die Präsidentenkonferenz des LCH im November in erster
Lesung beraten. Und zwar im Thurgau, in der beschaulich-besinnlichen Atmosphäre
der Kartause Ittingen.
Thurgauer Lehrer haben viele Fragen
Bereits der Titel des Papiers «Master für alle Lehrpersonen» sorgt für
Zündstoff. Auf Anfrage gibt es der LCH zwar nicht heraus. Es «befindet sich
noch in Bearbeitung», lautet die Begründung. Bis zur Veröffentlichung werde es
«sicherlich Frühjahr 2018». Die Stossrichtung ist aber klar. Diese
kristallisiert sich bei der Lektüre der aktuellen Verbandszeitschrift heraus.
Als Argument für eine Verlängerung des Lehrerstudiums wird angeführt: «Heute
müssen Lehrpersonen häufig nach der Ausbildung zusätzliche Kurse besuchen, da
die Ausbildungszeit nicht reicht, um alle Inhalte in der nötigen Tiefe zu
vermitteln.» Mit einer Verlängerung der Grundausbildung soll eine «Verbesserung
der Berufseinführung» bewirkt werden. Nach Vorstellung des LCH soll die
Masterausbildung berufsbegleitend sein, was hiesse: Lehrer wären nebenbei auch
noch Schüler. Aus involvierten Kreisen ist ein weiteres Argument für den Master
zu hören: eine Angleichung an das Niveau der OECD-Länder. In Staaten wie
Deutschland und Frankreich, die Mitglied bei der Organisation für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sind, gehören Lehrer mit
Masterabschluss zum Standard in den allen Klassenzimmern.
Die Thurgauer Lehrerschaft reagiert skeptisch auf die Stossrichtung des nationalen
Verbandes. Das zeigte sich an der Delegiertenversammlung von Bildung Thurgau,
dem Thurgauer Lehrerverband. Neben den ordentlichen Traktanden wie Budget und
weiteren Themen behandelten die Lehrerinnen und Lehrer in einem Workshop auch
das heisse Eisen. Das dominierende Satzzeichen in der Diskussion war das
Fragezeichen. Und zwar bei jüngeren Lehrerinnen wie erfahrenen Lehrern. Wieso
brauchen Primarschullehrkräfte einen Master? Mit welchem Inhalt wird die
zusätzliche Ausbildungszeit gefüllt? Was bedeutet das für altrechtliche
Lehrpersonen wie Seminaristen? Würde der Lohn angehoben? Ist die öffentliche
Hand bereit, dies zu finanzieren?
Nicht zuletzt war zwischen den Zeilen zu hören, dass mit dem Ansinnen
des nationalen Verbandes eine Kritik einhergeht: Führt man den Job heute nicht
gut genug aus? Als es schon längst dunkel war, endete die Versammlung. Licht
ins Dunkel der vielen Fragen bringt wohl erst die Zukunft.
Bei den Erziehungsdirektoren derzeit
kein Thema
Monika Knill ist Thurgauer Bildungsdirektorin. Auf Anfrage erinnert sie
daran, dass die Frage «Ausdehnung des Studiums auf Masterstufe» 2009/2010 auch
innerhalb der kantonalen Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) breit diskutiert
worden sei. «Schon damals habe ich mich dafür ausgesprochen, dass – trotz
nachweislich gestiegener Anforderungen – die Lehrpersonen im Bereich
Kindergarten und Primarstufe eine möglichst breite, generalistische Ausbildung
erhalten sollen.» Ihre Haltung: «Die bestehende, dreijährige Bachelorausbildung
soll beibehalten werden.» Diese Meinung habe die Mehrheit der Kantone ebenfalls
vertreten. Das bestätigt die EDK auf Anfrage.
Der neu entfachten Grundsatzdiskussion will sich Knill aber nicht
verschliessen. Sie erachte es als opportun, dass über Ausbildungen und deren
Weiterentwicklung in gewissen Abständen wieder diskutiert wird und «hierzu
insbesondere der LCH ein besonderes Interesse anmeldet».
Allein schon wegen der Diskussion über einen «Master für alle
Lehrpersonen» stehe der Thurgau aber noch nicht unter Zugzwang. «Da an unserer
PHTG nur Lehrdiplome erworben werden, welche schweizweit EDK-anerkannt sind.»
Knill betont: «Allfällige Änderungen der Ausbildungen würde einen grösseren
bildungspolitischen Prozess auslösen.» Gedanken, was das für die PHTG bedeuten
würde, müsse sich die einzige Hochschule im Kanton noch keine machen.
Formell definiert die Erziehungsdirektorenkonferenz in Reglementen,
welchen Mindestvorgaben die Ausbildung der Lehrpersonen entsprechen muss, damit
eine gesamtschweizerische Anerkennung möglich ist. Bestrebungen, den
Mindestumfang der Grundausbildung für die Stufen Kindergarten und Primarschule
zu erhöhen, gebe es zurzeit innerhalb der EDK keine. Dies teilt die
Kommunikationsbeauftragte Gabriela Fuchs auf Anfrage mit.
Ob in Zukunft Thurgauer Primarlehrerinnen und -lehrer noch länger die
Schulbank drücken müssen als heute, das steht – passend zur Adventszeit – in
den Sternen.
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