29. November 2017

Mündigkeit

Martin Vetterli, Präsident der EPFL, zieht den gewagten Vergleich zwischen Pestalozzis Bemühungen um Alphabetisierung und seinen eigenen Bemühungen, «die wichtigsten Prinzipien der digitalen Welt, von Algorithmen bis zur Datenanalyse» zu vermitteln. Während es aber Pestalozzi um die Selbständigkeit und Mündigkeit des Menschen geht und darum, «die Demokratie und die Unabhängigkeit des Landes zu stärken», liegt sein eigenes Ziel, so ehrenhaft es auch sein mag, in der ökonomischen Verwertbarkeit. Das ist auch ein Ziel. 
NZZ, 29.11, Leserbrief von Francesco De Vecchi


Sich auf industrielle Revolutionen vorzubereiten, ist ein Requisit der Wirtschaftswelt, weder des Menschen noch der Demokratie. Es ist begrüssenswert, dass Vetterli mit der EPFL Online-Kurse anbietet, über die sich jeder, der will, mit den Prinzipien der digitalen Welt befassen kann. Mich, den Latein- und Griechischlehrer, stört der geräuschvolle moralische Ton, mit dem solche Kurse zu den neuen Technologien angepriesen werden. Natürlich ermöglichen sie weder «eine neue Form der digitalen Mündigkeit» noch folgen sie dem Vorbild Pestalozzis. Sie sind einfach ein weiteres Bildungsangebot im liberalisierten Bildungsmarkt, wo jeder seine Kurse anbietet und sie gegen seine Konkurrenz bewirbt. Ich habe hervorragende Erfahrungen gemacht mit den alten Sprachen – gerade weil sie keinen direkten Nutzen bringen, nicht anwendbar und verwertbar sind, stellen sie uns vor Sinnfragen, die immer eine Arbeit an sich selbst abverlangen –, aber es sind meine Erfahrungen, und jeder hat ein Anrecht auf seine eigenen Erkenntnisse und Einsichten. Es ist schön, dass die EPFL mit Martin Vetterli einen Verteidiger des Humanismus hat – jetzt braucht er noch jemanden, der ihm diesen begreiflich macht.



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