Martin Vetterli, Präsident der EPFL, zieht den gewagten Vergleich
zwischen Pestalozzis Bemühungen um Alphabetisierung und seinen eigenen
Bemühungen, «die wichtigsten Prinzipien der digitalen Welt, von Algorithmen bis
zur Datenanalyse» zu vermitteln. Während es aber Pestalozzi um
die Selbständigkeit und Mündigkeit des Menschen geht und darum, «die Demokratie
und die Unabhängigkeit des Landes zu stärken», liegt sein eigenes Ziel, so
ehrenhaft es auch sein mag, in der ökonomischen Verwertbarkeit. Das ist auch
ein Ziel.
NZZ, 29.11, Leserbrief von Francesco De Vecchi
Sich auf industrielle Revolutionen vorzubereiten, ist ein Requisit
der Wirtschaftswelt, weder des Menschen noch der Demokratie. Es ist
begrüssenswert, dass Vetterli mit der EPFL Online-Kurse anbietet, über die sich
jeder, der will, mit den Prinzipien der digitalen Welt befassen kann. Mich, den
Latein- und Griechischlehrer, stört der geräuschvolle moralische Ton, mit dem
solche Kurse zu den neuen Technologien angepriesen werden. Natürlich
ermöglichen sie weder «eine neue Form der digitalen Mündigkeit» noch folgen sie
dem Vorbild Pestalozzis. Sie sind einfach ein weiteres Bildungsangebot im
liberalisierten Bildungsmarkt, wo jeder seine Kurse anbietet und sie gegen
seine Konkurrenz bewirbt. Ich habe hervorragende Erfahrungen gemacht mit den
alten Sprachen – gerade weil sie keinen direkten Nutzen bringen, nicht
anwendbar und verwertbar sind, stellen sie uns vor Sinnfragen, die immer eine
Arbeit an sich selbst abverlangen –, aber es sind meine Erfahrungen, und jeder
hat ein Anrecht auf seine eigenen Erkenntnisse und Einsichten. Es ist schön,
dass die EPFL mit Martin Vetterli einen Verteidiger des Humanismus hat – jetzt
braucht er noch jemanden, der ihm diesen begreiflich macht.
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