5. November 2017

Kommentar zu EDK-Fremdsprach-Empfehlungen

Die EDK erliess am 26.10.2017 Empfehlungen zum Fremdsprachenunterricht, die einerseits die bereits in früheren Dokumenten (2004, 2011, 2014) festgelegte Strategie bekräftigen und anderseits weitere Vorschläge zur Umsetzung  enthalten. Die 23 Empfehlungen sind in vier Abschnitte gegliedert. Sie sollen

„in ihrer Gesamtheit dazu beitragen, die Bedingungen für den Fremdsprachenunterricht in den Klassen weiterzuentwickeln (A), die Aus- und Weiterbildung der Lehrpersonen zu präzisieren (B), den Austausch und die Mobilität zu unterstützen (C) und die Forschungsprojekte sowie Projekte zur Unterrichtsentwicklung zu fördern (D).“
Kommentar zu den Empfehlungen der EDK vom 26.10. von Felix Schmutz, 4.11.


Auch wenn sich die Massnahmen abschwächend als „Empfehlungen“ ausgeben, dürfte aufgrund der schulpolitischen Entscheidungen der letzten Jahre klar sein, dass die Kantone die Empfehlungen als verbindliche Vorgaben interpretieren werden. Das wird schon klar, wenn in der Einleitung einmal mehr die Harmonisierung ins Feld geführt wird:

„Seit der Annahme der revidierten Bildungsartikel in der Bundesverfassung im Mai 2006 sind die Kantone – und je nach Bildungsstufe die Kantone zusammen mit dem Bund – zur Harmonisierung wichtiger Eckwerte im Bildungswesen verpflichtet.“

Die Stossrichtung der Empfehlungen lassen klar den Schluss zu, dass die EDK in jeder Beziehung an den didaktisch-methodischen Prinzipien der früheren Dokumente festhält. Zweifel und Kritik an der gewählten Ausrichtung, die sich seit Beginn der Umsetzung im Unterricht und bei den Lehrmitteln ergeben haben, werden mit keiner Silbe erwähnt und fliessen in keiner Weise in die 23 Punkte ein. Das ist erstaunlich, lassen doch Umfragen der Lehrerverbände in drei Kantonen, Feedbacks von Eltern und Testergebnisse bei Lernenden (z.B. in der Innerschweiz) sowie die Studie Pfenninger erhebliche  Zweifel am eingeschlagenen Weg zu.

So ist die Frage berechtigt, ob sich die Erziehungsdirektoren wirklich der Tragweite ihres Beschlusses bewusst sind. Sie verfahren eher nach dem Motto: Die Kapelle spielt weiter, während die Titanic bereits deutlich Schlagseite aufweist. Jedenfalls scheinen die Magistraten den Verfassern des Dokumentes blindes Vertrauen entgegenzubringen. Offenbar bemerken sie nicht, dass sie die Schuljugend einem kleinen Kreis von Fachleuten ausliefern, die,  einander in ihrer Realitätsferne gegenseitig bestätigend, einen Freibrief erhalten haben, den Schulen ein zweifelhaftes Konzept missionarisch und totalitär aufzuzwingen. Totalitär deshalb, weil einige der Vorgaben in die Freiheit der Unterrichtsgestaltung massiv eingreifen und somit die Freiheit der Lehre gefährden.

Sicher wird kaum jemand das Ziel der Harmonisierung in Frage stellen. Ebenso wenig bestritten dürfte die Absicht sein, den Fremdsprachenunterricht auf praktische Verwendbarkeit auszurichten, die Vermittlung kultureller Aspekte zu berücksichtigen, ohne allerdings dabei zu vernachlässigen, dass auch die Grundlage für die höheren Ansprüche der Sekundarstufe II gelegt werden muss.

Anderseits wären Eingriffe in die Lehrmittel- und Unterrichtsfreiheit nur legitim, wenn die EDK  zum jetzigen Zeitpunkt bereits sicher wüsste, dass ihre Massnahmen die gewünschte Verbesserung nicht nur anstreben, sondern auch erreichen könnten. Das allerdings ist aus folgenden Gründen eher fraglich:

1. Die EDK will den Unterricht auf die so genannte Mehrsprachigkeitsdidaktik einschwören, ohne den geringsten Nachweis zu haben, dass diese Didaktik wirklich zielführend ist. Ausserdem scheint der EDK nicht bewusst zu sein, dass unter dem Schlagwort  Mehrsprachigkeitsdidaktik (die Hypothese von sprachlichen Transfermöglichkeiten) noch andere und sehr umstrittene didaktische Prinzipien transportiert werden, deren Nutzen ebenso wenig nachgewiesen ist, nämlich z.B. der Konstruktivismus, die Theorie von der angeborenen Progression nach Krashen, die Interlanguage-These, das selbstorganisierte Lernen, etc. Niemand hat bisher nachweisen können, dass mit einem derartigen Mix abenteuerlicher Theorien Verbesserungen erzielt werden konnten. Im Gegenteil: In kontrollierten internationalen Studien schneidet ein einseitig auf diese Pfeiler abgestützter Unterricht schlechter ab.

2. Die EDK verlangt von den Schulen, „die didaktische und methodische Kontinuität zwischen der Primarstufe und der Sekundarstufe … zu fördern“. Das bedeutet faktisch, dass sich die abnehmenden Schulen bedingungslos nach  den unteren Schulstufen ausrichten müssen, obwohl sich bereits herausgestellt hat, dass nur eine Korrektur der Unterrichtsweise die verblasste Motivation der Jugendlichen auffangen und die Möglichkeit bieten kann, die angestrebten Lernziele am Ende der obligatorischen Schulzeit vielleicht doch noch zu erreichen, bzw. die Grundlage für die höheren Ansprüche der Sekundarstufe II zu legen.  Es herrscht also das blinde Vertrauen, dass die propagierte Didaktik im Verlauf der obligatorischen und nachobligatorischen Schulzeit trotz gegenteiliger Anzeichen die gewünschte Wirkung irgendwie von selbst entfalten werde.

3. Obwohl die Kritik inzwischen unüberhörbar geworden ist, möchte die EDK die Schulen auf die in ihrer Verantwortung mit grossem Aufwand entwickelten ideologisch fixierten Lehrmittel festlegen, ohne mit der Möglichkeit zu rechnen, dass auf dem Markt Lehrmittel zu finden sind, mit denen die am Anfang genannten (unbestrittenen) Ziele besser zu erreichen wären. Neue und günstigere Lehrmittel, die diese Ansprüche erfüllen, gibt es aber tatsächlich.  

4. Die Idee, „Best Practice“-Unterricht bekannt zu machen, wirkt auf den ersten Blick unverfänglich. Es stellt sich jedoch die Frage, wer eigentlich entscheidet, was vorbildlicher Unterricht ist. Ist das nur immer wieder der gleiche Kreis von Leuten, die als Exponenten der Heilslehre auftreten? Die Empfehlung könnte sich durchaus als weiterer Versuch herausstellen, Lehrpersonen auf eine ideologische Linie einzuschwören, bzw. Lehrpersonen, welche die Schwächen der Methode durchschauen, in die „Illegalität“ abweichenden Handelns zu verbannen oder ihnen gar die Lehrberechtigung zu entziehen, was heute in den Passepartout-Kantonen bereits einigen Lehrpersonen trotz hervorragender Qualifikation angedroht wurde.

5. Die EDK setzt Vorgaben für das Lehrpersonal und die Schulorganisation, die personell, stundenplantechnisch und finanziell unrealistisch sind: flächendeckender Einsatz von muttersprachlichen Assistenzlehrpersonen, Halbklassenunterricht, Immersion, breit angelegter Schüleraustausch.
Das soll allerdings nur für die zweite Landessprache gelten. Dabei fragt sich natürlich, wie in beiden Fremdsprachen äquivalente Ziele erreicht werden können, wenn nur in der zweiten Landessprache mit der grossen Kelle angerührt wird, nicht aber bei Englisch.
Es ist ferner nicht anzunehmen, dass sich die EDK über Folgen und Aufwand dieser Empfehlung tiefgreifende Gedanken gemacht hat. Schon nur die Tatsache, dass es schwierig sein dürfte, für die Deutschschweizer Schüler(innen) und Lehrpersonen, welche bevölkerungsmässig die Mehrheit stellen, genügend Austausch- und Praktikumsplätze in der Romandie zu finden, müsste zu denken geben.

6. Die Vorgabe, dass Lehrpersonen fähig sein sollten, auf Sekundarschulniveau Kenntnisse des Niveaus C1, wenn nicht sogar des Niveaus C2 vorweisen zu müssen, greift sehr hoch. Der holländische Englischprofessor John de Jong, der am europäischen Referenzrahmen massgeblich mitgearbeitet und diesen inzwischen zum „global scale of English“ weiter entwickelt hat, schätzte kürzlich seine eigenen Englischkenntnisse auf B2! Nach ihm erreichen 50% der Muttersprachler nicht das Niveau C1. Die an Schweizer Fachhochschulen fachlich nur dürftig, dafür ideologisch umso gründlicher ausgebildeten Lehrpersonen sollen jedoch C1 erreichen?

Als Fazit bleibt die Frage, ob die Mitglieder der EDK bereit sind, die Verantwortung für die möglichen Folgen ihrer Empfehlungen zu tragen, oder ob sie darauf spekulieren, dass sie zum Zeitpunkt, wenn sich der Schiffbruch des Konzepts und/oder der Widerstand dagegen nicht mehr übertünchen lässt, gar nicht mehr im Amt sind.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen