Die EDK erliess am 26.10.2017 Empfehlungen zum Fremdsprachenunterricht,
die einerseits die bereits in früheren Dokumenten (2004, 2011, 2014)
festgelegte Strategie bekräftigen und anderseits weitere Vorschläge zur
Umsetzung enthalten. Die 23 Empfehlungen
sind in vier Abschnitte gegliedert. Sie sollen
„in ihrer Gesamtheit dazu
beitragen, die Bedingungen für den Fremdsprachenunterricht in den Klassen
weiterzuentwickeln (A), die Aus- und Weiterbildung der Lehrpersonen zu
präzisieren (B), den Austausch und die Mobilität zu unterstützen (C) und die
Forschungsprojekte sowie Projekte zur Unterrichtsentwicklung zu fördern (D).“
Kommentar zu den Empfehlungen der EDK vom 26.10. von Felix Schmutz, 4.11.
Auch wenn sich die Massnahmen abschwächend als „Empfehlungen“ ausgeben,
dürfte aufgrund der schulpolitischen Entscheidungen der letzten Jahre klar
sein, dass die Kantone die Empfehlungen als verbindliche Vorgaben
interpretieren werden. Das wird schon klar, wenn in der Einleitung einmal mehr
die Harmonisierung ins Feld geführt wird:
„Seit der Annahme der
revidierten Bildungsartikel in der Bundesverfassung im Mai 2006 sind die
Kantone – und je nach Bildungsstufe die Kantone zusammen mit dem Bund – zur
Harmonisierung wichtiger Eckwerte im Bildungswesen verpflichtet.“
Die Stossrichtung der Empfehlungen lassen klar den Schluss zu, dass die
EDK in jeder Beziehung an den didaktisch-methodischen Prinzipien der früheren
Dokumente festhält. Zweifel und Kritik an der gewählten Ausrichtung, die sich
seit Beginn der Umsetzung im Unterricht und bei den Lehrmitteln ergeben haben,
werden mit keiner Silbe erwähnt und fliessen in keiner Weise in die 23 Punkte
ein. Das ist erstaunlich, lassen doch Umfragen der Lehrerverbände in drei
Kantonen, Feedbacks von Eltern und Testergebnisse bei Lernenden (z.B. in der
Innerschweiz) sowie die Studie Pfenninger erhebliche Zweifel am eingeschlagenen Weg zu.
So ist die Frage berechtigt, ob sich die Erziehungsdirektoren wirklich
der Tragweite ihres Beschlusses bewusst sind. Sie verfahren eher nach dem
Motto: Die Kapelle spielt weiter, während die Titanic bereits deutlich
Schlagseite aufweist. Jedenfalls scheinen die Magistraten den Verfassern des
Dokumentes blindes Vertrauen entgegenzubringen. Offenbar bemerken sie nicht,
dass sie die Schuljugend einem kleinen Kreis von Fachleuten ausliefern,
die, einander in ihrer Realitätsferne
gegenseitig bestätigend, einen Freibrief erhalten haben, den Schulen ein
zweifelhaftes Konzept missionarisch und totalitär aufzuzwingen. Totalitär
deshalb, weil einige der Vorgaben in die Freiheit der Unterrichtsgestaltung
massiv eingreifen und somit die Freiheit der Lehre gefährden.
Sicher wird kaum jemand das Ziel der Harmonisierung in Frage stellen.
Ebenso wenig bestritten dürfte die Absicht sein, den Fremdsprachenunterricht
auf praktische Verwendbarkeit auszurichten, die Vermittlung kultureller Aspekte
zu berücksichtigen, ohne allerdings dabei zu vernachlässigen, dass auch die
Grundlage für die höheren Ansprüche der Sekundarstufe II gelegt werden muss.
Anderseits wären Eingriffe in die Lehrmittel- und Unterrichtsfreiheit
nur legitim, wenn die EDK zum jetzigen
Zeitpunkt bereits sicher wüsste, dass ihre Massnahmen die gewünschte
Verbesserung nicht nur anstreben, sondern auch erreichen könnten. Das allerdings
ist aus folgenden Gründen eher fraglich:
1. Die EDK will den Unterricht auf die so genannte
Mehrsprachigkeitsdidaktik einschwören, ohne den geringsten Nachweis zu haben,
dass diese Didaktik wirklich zielführend ist. Ausserdem scheint der EDK nicht
bewusst zu sein, dass unter dem Schlagwort Mehrsprachigkeitsdidaktik (die Hypothese von
sprachlichen Transfermöglichkeiten) noch andere und sehr umstrittene
didaktische Prinzipien transportiert werden, deren Nutzen ebenso wenig
nachgewiesen ist, nämlich z.B. der Konstruktivismus, die Theorie von der
angeborenen Progression nach Krashen, die Interlanguage-These, das
selbstorganisierte Lernen, etc. Niemand hat bisher nachweisen können, dass mit
einem derartigen Mix abenteuerlicher Theorien Verbesserungen erzielt werden konnten.
Im Gegenteil: In kontrollierten internationalen Studien schneidet ein einseitig
auf diese Pfeiler abgestützter Unterricht schlechter ab.
2. Die EDK verlangt von den Schulen, „die didaktische und methodische Kontinuität zwischen der Primarstufe
und der Sekundarstufe … zu fördern“. Das bedeutet faktisch, dass sich die
abnehmenden Schulen bedingungslos nach den
unteren Schulstufen ausrichten müssen, obwohl sich bereits herausgestellt hat,
dass nur eine Korrektur der Unterrichtsweise die verblasste Motivation der
Jugendlichen auffangen und die Möglichkeit bieten kann, die angestrebten
Lernziele am Ende der obligatorischen Schulzeit vielleicht doch noch zu
erreichen, bzw. die Grundlage für die höheren Ansprüche der Sekundarstufe II zu
legen. Es herrscht also das blinde
Vertrauen, dass die propagierte Didaktik im Verlauf der obligatorischen und
nachobligatorischen Schulzeit trotz gegenteiliger Anzeichen die gewünschte
Wirkung irgendwie von selbst entfalten werde.
3. Obwohl die Kritik inzwischen unüberhörbar geworden ist, möchte die
EDK die Schulen auf die in ihrer Verantwortung mit grossem Aufwand entwickelten
ideologisch fixierten Lehrmittel festlegen, ohne mit der Möglichkeit zu
rechnen, dass auf dem Markt Lehrmittel zu finden sind, mit denen die am Anfang
genannten (unbestrittenen) Ziele besser zu erreichen wären. Neue und günstigere
Lehrmittel, die diese Ansprüche erfüllen, gibt es aber tatsächlich.
4. Die Idee, „Best Practice“-Unterricht bekannt zu machen, wirkt auf
den ersten Blick unverfänglich. Es stellt sich jedoch die Frage, wer eigentlich
entscheidet, was vorbildlicher Unterricht ist. Ist das nur immer wieder der
gleiche Kreis von Leuten, die als Exponenten der Heilslehre auftreten? Die
Empfehlung könnte sich durchaus als weiterer Versuch herausstellen,
Lehrpersonen auf eine ideologische Linie einzuschwören, bzw. Lehrpersonen,
welche die Schwächen der Methode durchschauen, in die „Illegalität“
abweichenden Handelns zu verbannen oder ihnen gar die Lehrberechtigung zu
entziehen, was heute in den Passepartout-Kantonen bereits einigen Lehrpersonen trotz
hervorragender Qualifikation angedroht wurde.
5. Die EDK setzt Vorgaben für das Lehrpersonal und die
Schulorganisation, die personell, stundenplantechnisch und finanziell
unrealistisch sind: flächendeckender Einsatz von muttersprachlichen Assistenzlehrpersonen,
Halbklassenunterricht, Immersion, breit angelegter Schüleraustausch.
Das soll allerdings nur für die zweite Landessprache gelten. Dabei
fragt sich natürlich, wie in beiden Fremdsprachen äquivalente Ziele erreicht
werden können, wenn nur in der zweiten Landessprache mit der grossen Kelle
angerührt wird, nicht aber bei Englisch.
Es ist ferner nicht anzunehmen, dass sich die EDK über Folgen und
Aufwand dieser Empfehlung tiefgreifende Gedanken gemacht hat. Schon nur die
Tatsache, dass es schwierig sein dürfte, für die Deutschschweizer
Schüler(innen) und Lehrpersonen, welche bevölkerungsmässig die Mehrheit
stellen, genügend Austausch- und Praktikumsplätze in der Romandie zu finden, müsste
zu denken geben.
6. Die Vorgabe, dass Lehrpersonen fähig sein sollten, auf Sekundarschulniveau
Kenntnisse des Niveaus C1, wenn nicht sogar des Niveaus C2 vorweisen zu müssen,
greift sehr hoch. Der holländische Englischprofessor John de Jong, der am
europäischen Referenzrahmen massgeblich mitgearbeitet und diesen inzwischen zum
„global scale of English“ weiter entwickelt hat, schätzte kürzlich seine
eigenen Englischkenntnisse auf B2! Nach ihm erreichen 50% der Muttersprachler
nicht das Niveau C1. Die an Schweizer Fachhochschulen fachlich nur dürftig,
dafür ideologisch umso gründlicher ausgebildeten Lehrpersonen sollen jedoch C1
erreichen?
Als Fazit bleibt die Frage, ob die Mitglieder der EDK bereit sind, die
Verantwortung für die möglichen Folgen ihrer Empfehlungen zu tragen, oder ob
sie darauf spekulieren, dass sie zum Zeitpunkt, wenn sich der Schiffbruch des
Konzepts und/oder der Widerstand dagegen nicht mehr übertünchen lässt, gar nicht
mehr im Amt sind.
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