1. November 2017

Abgründe von Nichtkönnen

Entrüstet wird zurückgewiesen, Grundschule habe auf weiterführende Schulen vorzubereiten. Nein, Grundschule sei kindgerechte Schule schlechthin. Eine nur auf’s Kindsein gerichtete Schule raubt dem Kind die Zukunft, weil es in einer Kind-Gegenwart einkerkert.
In der Grundschule Abgründe von Nichtkönnen, 14.10. von Josef Kraus, Quelle:  www.tichyseinblick.de/kolumnen/josef-kraus-lernen-und-bildung/in-der-grundschuleabgruende-von-nichtkoennen/

Manchmal kommt die Wahrheit über die desaströsen Folgen «progressiver» Schulpolitik, pädagogischer Schwärmerei und rot-grüner Ideologie doch noch ans Licht. So geschehen jetzt durch eine Leistungsstudie des Berliner Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB). Mit dieser Studie sollte im Auftrag der Kultusministerkonferenz (KMK) untersucht werden, inwieweit Grundschüler Mindeststandards erreichen. An den Tests waren 29.259 Viertklässler aus 1.508 Grund- und Förderschulen beteiligt.

Hier drei markante Ergebnisse:
Erstens: Die Leistungen der Grundschüler haben sich seit 2011 im Rechnen und Lesen deutlich verschlechtert. In einzelnen Bundesländern fällt der Trend besonders stark aus. Reichlich groß ist der Leistungsabfall bei den Grundschülern in dem seit 2011 führend «grün» reagierten BadenWürttemberg. Das frühere Vorzeigeland liegt gerade noch knapp vor Bremen, das traditionell schlecht abschneidet.

Zweitens: Bundesweit erreichen im Bereich Lesen nur knapp 66 Prozent den Mindeststandard, beim Zuhören 68 Prozent und in der Orthografie 54 Prozent. Das sind jeweils sechs bis zehn Prozentpunkte weniger als bei der Studie 2011.

Drittens: Die Ergebnisse unterscheiden sich je nach Bundesland erheblich. Bayern, Sachsen und Schleswig- Holstein stehen beim Lesen und Zuhören vorne, Bayern und Saarland in der Orthografie. Schlusslicht in allen Bereichen ist Bremen, und Berlin ist stets unter den letzten drei.

Nun, von nix kommt nix! Solche miserablen Bilanzen sind die Folge einer fortwährenden Heiligsprechung der Grundschule. Zum Mantra grün-roter Bildungspolitik gehört es nämlich seit Jahrzehnten, gerade der Grundschule eine reformerische Pilot-Funktion zuzuweisen: Grundschulen seien die «Zentren pädagogischer Reformen», so heißt es; ihre Arbeit strahle in die weiterführenden Schulen aus. Das kann man wohl sagen. Entrüstet wird gar der Anspruch zurückgewiesen, Grundschule habe auf weiterführende Schulen vorzubereiten. Nein, wird betont, Grundschule sei kindgerechte Schule schlechthin. Vergessen wird dabei, dass eine nur noch auf das Kindsein ausgerichtete Schule dem Kind die Zukunft raubt, weil es dieses Kind in einer ewigen Kind-Gegenwart einkerkert.

Und so kamen Reformen über Reformen über die Grundschule, Deformationen über Deformationen: Keine Diktate mehr, nur noch 700 Wörter Grundwortschatz («Schatz»!), keine Ziffernnoten in den ersten Klassen, «Schreiben nach Gehör», «innovative Unterrichtskultur» (Freiarbeit, Materialtheke), unsinniges Früh-Englisch zulasten von Deutschstunden und .... und .... und. Kurz: Jeder Schüler macht, was er will. Aber: Die Kinder werden damit der Täuschung ausgesetzt, Wissen und Können ließen sich ohne Anstrengung, Ausdauer und gelegentliche Enttäuschungen erwerben. Ob die nachfolgende Aussage wirklich von einem Grundschüler stammt oder nur von einem Kritiker treffend erfunden wurde, sei dahingestellt: «Frau Lehrerin, dürfen wir heute wieder machen, was wir sollen, oder müssen wir wieder machen, was wir wollen?»

Trotzdem gilt «reformierte» Grundschule als sakrosankt. Gymnasien, Mittelschulen, Realschulen, Hauptschulen – alle kriegen sie laufend «ihr Fett» ab. Kritische Diskussion über Grundschule indes gilt als Tabubruch. Denn die Grundschule sei ja eine «Schule für alle» (also das Urbild der Einheitsschule), und sie habe es mit ach so zerbrechlichen Kindern zu tun. Und so hat in der Folge in den vergangenen dreißig bis vierzig Jahren in der Grundschule der unter allen Schulformen wohl weitestreichende Wandel stattgefunden: von der ergebnis- zur erlebnisorientierten Schule; von der lernenden und einübenden Schule zur spielerischen Schule; von der benotenden Schule zur Schule ohne Noten ... Zugegebenermaßen haben diese Entwicklungen je nach Bundesland eine unterschiedliche Dynamik erfahren. Dies jedoch hat dazu geführt, dass bereits am Ende der 4. Klasse ein bundesweit erhebliches Leistungsgefälle von bis zu einem halben Jahr festzustellen ist. Es gab dazu übrigens nicht erst 2011, sondern bereits vor 15 Jahren Studien, die dies belegten, die aber bald im Papierkorb verschwanden.

Man darf fast darauf wetten, dass wieder keine Konsequenzen gezogen werden. Erste Ausreden liegen ebenfalls schon vor. Das unschöne Ergebnis habe mit der zunehmenden Heterogenität (vulgo: mit dem erhöhten Immigrantenanteil der Schüler) zu tun. Das mag ja sein, aber es darf kein Grund sein, deswegen die Standards herunterzufahren.

Der Umgang mit der durchschlagenden Erfolglosigkeit der Gesamt- und Gemeinschaftsschulen lässt ein «weiter so!» befürchten. Letztere Schulen fahren seit Jahrzehnten schlechteste Zeugnisse ein, und das trotz einer gegenüber den herkömmlichen Schulen luxuriösen Ausstattung. Aber sie bleiben das Hätschelkind «moderner» Schulpolitik und «progressiver» Pädagogik. Und so wird es nach der aktuellen Grundschulstudie auch bleiben. Kaum jemand wird den Mumm aufbringen, die Irrwege der Grundschule zu verlassen. Wichtig und richtig wäre es aber, Grundschüler sukzessive wieder an die Prinzipien Anstrengung und Leistung zu gewöhnen. Eine eindeutige Leistungsmessung gehört dazu. Vor allem aber gehört eine erhebliche Steigerung des Anteils der Fächer Deutsch und Rechnen dazu. Diese sollten die Hälfte der Stundentafel ausmachen. Gerade diese beiden Fächer vermitteln in besonderer Weise das Beherrschen der Kulturtechniken: Lesen, Schreiben, Sprechen, Wortschatz, Orthographie, Grammatik, Syntax, Sprachbetrachtung; Umgang mit Zahlen und Größen, Grundrechenarten, Sachrechnen, geometrische Grunderfahrungen.

Hoffen wir wenigstens auf eines: Dass die schlauen Reformer jetzt nicht wieder auf die Idee kommen, anlässlich der aktuellen Leistungsbilanz müsse man eben die Grundschule von vier auf sechs Jahre verlängern. Bloß nicht! Denn dann würde nicht nur vier Jahre gekuschelt, sondern sechs. Berlin und Brandenburg mit ihren sechs Jahren Grundschule rangieren wohl auch deshalb bei jeder Leistungsstudie auf den hinteren Plätzen.


Josef Kraus war Oberstudiendirektor, Präsident des deutschen Lehrerverbands, wurde mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet und als «Titan der Bildungspolitik» bezeichnet. Er hat Bestseller zu Bildungsthemen verfasst und sein jüngstes Werkhat den Titel «Wie man eine Bildungsnation an die Wand fährt» 

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