Stochern im Nebel – Weder die IQB-Bildungstrends noch PISA können
eindeutige Ursachen für schlechte Ergebnisse liefern.
Nach jeder
Vergleichsstudie – ob IGLU, PISA oder IQB Ländervergleiche – immer dasselbe
Theater: mit dem Brustton der Überzeugung werden die Schuldigen für das
schwache Abschneiden von Nordrhein-Westfalen, Bremen, Berlin und Hamburg
lautstark verkündet. So als ob in den Hitparaden der Leistung Menüs aufpoppen:
hier liegt es an fehlenden Gesamtschulen, dort an zu wenigen Lehrern, hier an
den Eltern, den Flüchtlingen und dort selbstverständlich an der
Digitalisierung. Keine dieser Deutungen muss richtig sein. Keine der
Vergleichsuntersuchungen ist kausal belastbar, kann also Auskunft geben über
die wahren Ursachen.
„Merkt eigentlich niemand, dass Heterogenität in einer Klasse kein Sparmodell, sondern eine ziemlich teure Angelegenheit ist?“ www.news4teachers.de, 20.10. Gastkommentar von Rainer Dollase
Aber wenn
immer dieselben Länder hinten liegen, aus denen übrigens die lautesten Stimmen
reformfreudiger Erziehungswissenschaft tönen, sollte auch all das, was landauf
landab als Krönung pädagogischer Kunst gepriesen wird – wie gemeinsames Lernen,
mehr Heterogenität, selbständiges und eigenverantwortliches lernen,
Gruppenarbeit, innere Differenzierung, jahrgangsübergreifendes Lernen (JÜL) etc
pp – auf den Prüfstand gestellt werden. Seit der ersten PISA Studie
(2000) haben diese Länder Zeit gehabt, was zum Positiven zu ändern – sie haben
sich zum Nachteil unserer Kinder und Jugendlichen krampfhaft an den
pädagogischen Ideologien der Vergangenheit festgebissen. War das Lust am
Untergang?
Nichts war
wirklich erfolgreich: weder der Pflicht-Ganztag noch die Gesamtschule bezogen
auf Bildungsgerechtigkeit, weder G8 noch Einschulung mit 5 Jahren bezogen auf
Leistung, weder selbständiges Lernen noch JÜL, weder Klippert noch Norman Green
– die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Bestenfalls ließen sich keine
Unterschiede zu herkömmlichen Maßnahmen feststellen – gesucht aber werden
Möglichkeiten der eindeutigen Verbesserung zur Erreichung pädagogischer Ziele.
Was also
sollen wir tun? Alles gehört auf den Prüfstand – nicht nur die üblichen
Verdächtigen. Die Bildungspolitik kann den grassierenden Kausal-Unsinn diverser
Interessengruppen nicht einfach so stehen lassen – die Eröffnung eines
vorurteilsfreien Diskurses über Ursachen, Fakten und Fakes, alternative
Fakten und populistische Vereinfachungen (auch durch Zahlen) ist ihre vorrangige
Aufgabe.
Beispiele
gefällig? Die können nur die Form von Fragen haben: Die Vergleichsstudien
liefern nur Mittelwerte – an den einzelnen Schulen herrschen manchmal
Verhältnisse, die im lauwarmen Durchschnittsgesäusel völlig untergehen. Kann
man zum Beispiel einer Grundschule mit rund 250 SchülerInnen, davon 53
Inklusionskindern, 175 „Bildung und Teilhabe“ Berechtigten, 68 bekannten Fällen
von Gewalt und Missbrauch in der Familie, 12 schwer traumatisierten Kindern
(natürlich ist der Migrationsanteil ungefähr bei 85%) dieselben
Unterrichtsmethoden wie der Grundschule in einem Villenviertel empfehlen (mit 1
Migrationskind)? Wohl kaum.
Darf man
überhaupt von einer deutschen Grundschule erwarten, dass sie dasselbe leistet
wie eine finnische, der beim Sprachunterricht in jedem Unterricht immer ein/e
Logopäd/in und fast immer eine Assistenzlehrkraft zur Seite steht?
Merkt
eigentlich niemand, dass Heterogenität in einer Klasse kein Sparmodell, sondern
eine ziemlich teure Angelegenheit ist, weil für die zu bewältigenden
Aufgaben mehr Personal benötigt wird? Dass Heterogenität Lehrkräften und
Schülern eine Menge an Anstrengung, Stress und Frust abverlangt?
Denkverbote
darf es jetzt nicht mehr geben. Der im Gefolge zu großer Heterogenität
entstehende „Arbeitsblattunterricht“ vermindert übrigens massiv den
sprachlichen Input der Lehrpersonen, der gerade bei Heterogenität und dem hohen
Migrationsanteil für die Sprachentwicklung bitter notwendig wäre. Stattdessen
lesen die Kinder auf den Arbeitsblättern rudimentäre Imperative wie „Denke
nach!“ und „Kreuze an!“. Der durch Arbeitsblätter gesteuerte Unterricht
in zu heterogenen Klassen ist eine Notlösung der praktisch undurchdachten Idee
des „gemeinsamen Lernens“. Und die sprachlich begabten deutschen Kinder, die
als Hilfslehrkräfte für den korrekten sprachlichen Austausch zumindest in Uni
Seminaren als Patentlösungen herhalten müssen – die gibt es in NRW,
Bremen, Hamburg und Berlin nur selten. Defizitäre Sprachentwicklung wird durch
Mangel an sprachlicher Interaktion mit einem erwachsenen Sprachvorbild erzeugt
– und fehlende Motivation und Interesse am Schulstoff ebenso.
Die
Schönfärberei und Erfolgsheuchelei in den Schulen und der
Bildungsadministration der IQB-Schlusslichter muss aufhören – alle Konzepte der
Vergangenheit müssen auf den Prüfstand.
Der
Psychologie-Professor Rainer Dollase gehört zu den renommiertesten
Bildungswissenschaftlern in Deutschland.
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