29. August 2017

Tagesschulen: Wenig pädagogische Aktivitäten

Der Besuch einer Tagesschule hat für Primarschulkinder nur eine geringe Auswirkung auf den Schulerfolg. Die Uni Bern sieht noch viele Verbesserungsmöglichkeiten, insbesondere, was die gezielte Förderung der Kinder angeht.
Zu hohe Erwartungen an Tagesschule, NZZ, 29.8. von Jörg Krummenacher


Sich entspannen statt lernen – so lassen sich die Bedürfnisse der Schulkinder zusammenfassen, die neben den Unterrichtsstunden auch die restliche Zeit an der Schule verbringen. Bekannt sind die Angebote gemeinhin unter dem Titel Tagesschulen. Sie umfassen vor allem das Mittagessen, den Zvieri und das Lösen von Hausaufgaben. Das Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Bern wollte herausfinden, inwiefern der Besuch von Tagesstrukturen die schulischen Leistungen von Kindern im Vergleich zu jenen Kindern verbessert, die nicht in die Tagesschule gehen. Das Resultat: Im Allgemeinen resultierten keine besseren schulischen Leistungen. Sofern seitens von Eltern oder Behörden eine solche Erwartung bestehe, werde diese enttäuscht. Generell seien die Erwartungen, die teilweise an Tagesschulen gestellt würden, zu gross.

Vereinzelt positive Effekte
Während zweier Schuljahre hat die Universität Bern rund 2000 Schülerinnen und Schüler von 120 ersten und zweiten Primarklassen begleitet, verteilt auf 53 Schulen aus 13 Deutschschweizer Kantonen. Die Untersuchung zum Tagesschulangebot ist Teil einer Reihe von Studien zur Qualität von ganztägiger Bildung und Betreuung, die vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert werden.

Die Studie legt einen Schwerpunkt auf Kinder aus bildungsfernen Milieus, etwa aus Familien mit Migrationshintergrund. Hier zumindest zeigte sich bei den Leistungen in Mathematik ein spürbarer zusätzlicher Nutzen für Kinder in Tagesstrukturen gegenüber Kindern, welche die Essenszeiten zu Hause verbringen und dort ihre Hausaufgaben machen. Beim Lesen war hingegen kein Unterschied festzustellen. Ebenso untersucht wurde, wie sich Kinder, die das Tagesschulangebot nutzen, im Vergleich sozial und emotional entwickeln. In Bezug auf das Sozialverhalten wurde ebenfalls kein Unterschied registriert. Allerdings habe sich gezeigt, dass bei Kindern, die in einer Gruppe mit vielen verhaltensauffälligen Kindern waren, das störende Verhalten weniger stark abnahm als bei Kindern in einer «normalen» Gruppe. Anzustreben sei eine gute Durchmischung, folgert die Universität Bern.

Heute besuchen Schulkinder aus Familien mit Migrationshintergrund und Kinder, deren Eltern überdurchschnittlich gut verdienen, die Tagesschulen häufiger als Kinder aus Familien mit mittleren Einkommen. Der Grund sei die einkommensabhängige Kostenbeteiligung.

Keine zielgerichteten Angebote
Die Studie hält fest, dass sich die pädagogische Qualität der Tagesschulen in den letzten zehn Jahren geringfügig verbessert habe und sie «von mittlerer bis guter Qualität» seien. Zu den tragenden Elementen des Angebots, der Aufgabenbetreuung, dem Mittagessen und dem Zvieri, kommen frei gewählte Aktivitäten hinzu, die der Entspannung vom Schulalltag dienen. Gezielte pädagogische Aktivitäten gebe es allerdings nur wenige, stellen die Studienverfasser bedauernd fest, zum Beispiel fehlten Angebote in Sprache, Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft oder Technik. Das sei der Hauptunterschied zu entsprechenden Angeboten in anderen Ländern wie den USA, die zielgerichtete, klar strukturierte Angebote hätten und Sprachkompetenz oder Sozialverhalten förderten. Die Uni Bern ortet diesbezüglich in den Deutschschweizer Tagesschulen «noch viel Potenzial».


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