Der Besuch einer Tagesschule hat für Primarschulkinder nur eine geringe
Auswirkung auf den Schulerfolg. Die Uni Bern sieht noch viele
Verbesserungsmöglichkeiten, insbesondere, was die gezielte Förderung der Kinder
angeht.
Zu hohe Erwartungen an Tagesschule, NZZ, 29.8. von Jörg Krummenacher
Sich entspannen statt lernen – so lassen sich die Bedürfnisse der
Schulkinder zusammenfassen, die neben den Unterrichtsstunden auch die restliche
Zeit an der Schule verbringen. Bekannt sind die Angebote gemeinhin unter dem
Titel Tagesschulen. Sie umfassen vor allem das Mittagessen, den Zvieri und das
Lösen von Hausaufgaben. Das Institut für Erziehungswissenschaft der Universität
Bern wollte herausfinden, inwiefern der Besuch von Tagesstrukturen die
schulischen Leistungen von Kindern im Vergleich zu jenen Kindern verbessert,
die nicht in die Tagesschule gehen. Das Resultat: Im Allgemeinen resultierten
keine besseren schulischen Leistungen. Sofern seitens von Eltern oder Behörden
eine solche Erwartung bestehe, werde diese enttäuscht. Generell seien die
Erwartungen, die teilweise an Tagesschulen gestellt würden, zu gross.
Vereinzelt positive Effekte
Während zweier Schuljahre hat die Universität Bern rund 2000
Schülerinnen und Schüler von 120 ersten und zweiten Primarklassen begleitet,
verteilt auf 53 Schulen aus 13 Deutschschweizer Kantonen. Die Untersuchung zum
Tagesschulangebot ist Teil einer Reihe von Studien zur Qualität von ganztägiger
Bildung und Betreuung, die vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert werden.
Die Studie legt einen Schwerpunkt auf Kinder aus bildungsfernen Milieus,
etwa aus Familien mit Migrationshintergrund. Hier zumindest zeigte sich bei den
Leistungen in Mathematik ein spürbarer zusätzlicher Nutzen für Kinder in
Tagesstrukturen gegenüber Kindern, welche die Essenszeiten zu Hause verbringen
und dort ihre Hausaufgaben machen. Beim Lesen war hingegen kein Unterschied
festzustellen. Ebenso untersucht wurde, wie sich Kinder, die das
Tagesschulangebot nutzen, im Vergleich sozial und emotional entwickeln. In
Bezug auf das Sozialverhalten wurde ebenfalls kein Unterschied registriert.
Allerdings habe sich gezeigt, dass bei Kindern, die in einer Gruppe mit vielen
verhaltensauffälligen Kindern waren, das störende Verhalten weniger stark
abnahm als bei Kindern in einer «normalen» Gruppe. Anzustreben sei eine gute Durchmischung,
folgert die Universität Bern.
Heute besuchen Schulkinder aus Familien mit Migrationshintergrund und
Kinder, deren Eltern überdurchschnittlich gut verdienen, die Tagesschulen
häufiger als Kinder aus Familien mit mittleren Einkommen. Der Grund sei die
einkommensabhängige Kostenbeteiligung.
Keine zielgerichteten Angebote
Die Studie hält fest, dass sich die pädagogische Qualität der
Tagesschulen in den letzten zehn Jahren geringfügig verbessert habe und sie
«von mittlerer bis guter Qualität» seien. Zu den tragenden Elementen des
Angebots, der Aufgabenbetreuung, dem Mittagessen und dem Zvieri, kommen frei
gewählte Aktivitäten hinzu, die der Entspannung vom Schulalltag dienen.
Gezielte pädagogische Aktivitäten gebe es allerdings nur wenige, stellen die
Studienverfasser bedauernd fest, zum Beispiel fehlten Angebote in Sprache,
Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft oder Technik. Das sei der
Hauptunterschied zu entsprechenden Angeboten in anderen Ländern wie den USA,
die zielgerichtete, klar strukturierte Angebote hätten und Sprachkompetenz oder
Sozialverhalten förderten. Die Uni Bern ortet diesbezüglich in den
Deutschschweizer Tagesschulen «noch viel Potenzial».
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