Die
schulische Integration von Emigrantenkindern ist anspruchsvoll. Vermehrt kommen
Kinder aus bildungsfernen Schichten aus Südeuropa in die Schweiz, wie ein
Besuch in Wohlen zeigt.
Integration auf Südeuropäisch, NZZ, 15.7. von Jörg Krummenacher
«Warum sind Flamingos rosa?» – «Wegen der Krebse, die sie essen.» Das
Frage-Antwort-Spiel zwischen den beiden Lehrerinnen und den Schülern ist
alltägliches Ritual. Die Kinder sollen viel reden – deutsch reden. Sie halten
Karten in der Hand, darauf sind Tiere abgebildet, ergänzt mit Beschreibungen.
Kürzlich hat die Klasse den Zürcher Zoo besucht. Ein Schüler liest den Text
über Flamingos vor, nicht ganz akzentfrei, etwas stockend. «Wer will die
nächste Karte vorlesen?» – die Lehrerin schaut in die Runde. Hände schnellen in
die Höhe: «Ich», «Ich». Alle wollen – ein Dutzend Primarschülerinnen und
-schüler, alle sind mit Eifer bei der Sache, eine lebhafte Runde.
Regionaler Integrationskurs für Fremdsprachige an
der Primarschule Bünzmatt im aargauischen Wohlen. Der Ausländeranteil der
Gemeinde beträgt 38,6 Prozent, in der Schweiz hat er soeben die 25-Prozent-Marke erreicht. Die Schüler
stammen aus Südeuropa: Italien, Portugal, Spanien. Seit drei Jahren ist Italien
wieder die Einwanderernation Nummer eins, wie damals nach dem Zweiten Weltkrieg
bis in die 1970er Jahre. Dann folgten Immigranten aus Ex-Jugoslawien. Mit der
Freizügigkeit zogen Deutsche in die Deutschschweiz, Franzosen in die
Westschweiz, vor fünf Jahren stellte Portugal den Hauptharst der Zuwanderer.
Schwieriger Kontakt mit Eltern
Die Schulen hatten sich in ihren Integrationsbemühungen für die
zugewanderten Kinder stets den wechselnden Bewegungen anzupassen. Gleich
geblieben ist, «dass wir für jedes Kind ein massgeschneidertes Programm liefern
müssen», sagt Timothy Schaerer, Schulleiter an der Primarstufe Bünzmatt.
Zurzeit fällt ihm der hohe Anteil bildungsferner Familien aus teilweise sozial
niedrigen Schichten auf, die mangels Jobs in Südeuropa nach Wohlen kommen, um
hier eher schlecht bezahlten Arbeiten nachzugehen. Damit sie genug verdienen,
müssen beide Elternteile arbeiten. «Der Umgang mit ihnen ist oft sehr
anspruchsvoll», erzählt Schaerer; manche besuchten auch keine Elternabende.
Hinzu komme, dass ihre Kinder aus ihrer bisherigen Heimat gerissen, in eine
ganz neue Umgebung verpflanzt würden und sich fremd fühlten. Das habe Auswirkungen
auf den Unterricht.
Dennoch ist Schaerer überzeugt: «Die meisten Integrationen verlaufen
erfolgreich.» Im Kanton Aargau werden die regionalen Integrationskurse an sechs Standorten angeboten.
Je nach individuellen Fortschritten der Kinder dauern sie bis zu ein Jahr.
Priorität hat das Erlernen der deutschen Sprache, auf dem Stundenplan stehen
aber auch Mathematik, Mensch und Umwelt, Geschichte, Englisch, Turnen und
Musik. Danach werden die Kinder Schritt für Schritt in die Regelklassen
integriert – ergänzt oft mit speziellen Deutschlektionen. Diese Integration sei
immer wieder «sehr anspruchsvoll», betont Timothy Schaerer. Den Lehrkräften
werde grosse Flexibilität abverlangt: «Das kann bei ihnen zu Überforderungen
führen.»
Vielfalt der Konzepte
Grossmehrheitlich, beobachtet der Schulleiter, seien die Lehrpersonen
aber ihrer Aufgabe gewachsen und leisteten eine gute Arbeit. Er stellt zudem
klar: «Schüler, die aus Integrations- in die Regelklassen wechseln, stören den
Unterricht nicht mehr als andere. Das ist nicht per se eine Frage dessen, ob
sie besser oder schlechter Deutsch können.» Schwierig sei es aber, gleichzeitig
zwei oder drei zugewanderte oder auch geflüchtete Kinder in eine Regelklasse zu
integrieren.
Die Konzepte, dies zu tun, sind von Kanton zu Kanton, von Gemeinde zu
Gemeinde verschieden. Es herrscht, wie oft in der Schweiz, eine grosse
Vielfalt. Eine nationale Übersicht fehlt. So lässt sich auch nicht sagen,
welche Modelle erfolgreich sind und welche nicht, wie Beat Zemp, der Präsident
des Dachverbands der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer, bedauert.
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