Die
Aufhebung der Niveauklassen A, B und C stösst auf viel Skepsis. Der Erfolg des
neuen Modells hänge entscheidend von den Lehrpersonen ab, sagt deren
Verbandspräsidentin.
"Es braucht genügend Pensen", Luzerner Zeitung, 29.6. von Hugo Bischof
Die Stadt
Luzern hat das integrierte Sekundarschulmodell eingeführt. Die Niveauklassen A,
B und C werden aufgehoben, alle Lernenden in einer Stammklasse unterrichtet und
nur Deutsch, Englisch, Französisch und Mathematik als Niveaufächer in separaten
Lerngruppen geführt. Die Stadt Luzern lässt als einzige Gemeinde im Kanton aber
auch Deutsch und Mathematik in der Stammklasse unterrichten, was auf Kritik
stösst. Der Kanton gewährte dafür eine auf drei Jahre befristete
Ausnahmebewilligung. «Das ist vertretbar», sagt Charles Vincent,
Dienststellenleiter Volksschulbildung. Mathematik werde in vier bis fünf
Lektionen pro Woche unterrichtet. Das reiche, «um diese Unterrichtsform
organisierbar zu machen».
Neben dem
integrierten gibt es das getrennte Modell (eine Stammklasse pro Niveau) und das
kooperative Modell (zwei Stammklassen A/B und C mit Deutsch, Englisch,
Französisch, Mathematik als Niveaufächern). Wir sprachen über die Modelle mit
Annamarie Bürkli, Präsidentin des Luzerner Lehrerinnen- und Lehrerverbands.
Annamarie
Bürkli, verstehen Sie die Kritik am integrierten Sekundarschulmodell und
besonders an der Sonderregelung in der Stadt Luzern?
Es
handelt sich hier um eine abgeänderte Form des integrierten
Sekundarschulmodells an einem Schulort. Ob die Kritik angebracht ist, müsste
bei den Lehrpersonen nachgefragt werden. Grundsätzlich sind alle drei
Unterrichtsmodelle gleichwertig. Die Akzeptanz hängt stark vom Dialog mit den
Betroffenen ab. Entscheidend ist, wie die Lehrpersonen das Modell mittragen.
In der
Stadt Luzern ist die Skepsis vor allem bei Eltern sehr gross. Was ist zu tun?
Ein
Modellwechsel braucht eine sehr sorgfältige Planung und viel Zeit, um alle
Beteiligten auf diesen Weg mitnehmen zu können. Diesbezüglich war in der Stadt
sicher genügend Zeit vorhanden, wurde doch der Wechsel bereits 2011
beschlossen.
Weshalb
ist dann trotzdem Kritik entstanden?
Was ein
Modellwechsel letztlich bedeutet, ist von aussen schwer vorauszusagen. So kann
dann der Schulbetrieb unter den neuen Bedingungen zu Fragen und auch zu Kritik
führen. Meistens steht dann die Frage im Raum, ob sich die Lernenden unter
diesen speziellen Bedingungen auch gut weiterentwickeln können.
Sind die
Modelle abhängig von der Grösse einer Schule?
Ja, die
Schülerzahl einer Schule gibt das Modell vor. Den Ausschlag geben kann auch die
finanzielle Situation; das betrifft vor allem kleinere Schulen. Je länger,
desto mehr Schulen nehmen einen Systemwechsel aus pädagogischen Gründen vor, oft
auch grosse Schulen. Solche Wechsel sind wie gesagt davon abhängig, ob sich die
Lehrpersonen mit ihrem Modell identifizieren können.
Beim
integrierten Modell werden Französisch, Englisch und Mathematik innerhalb der
Stammklasse weiter in getrennten Niveaugruppen unterrichtet und die Schüler
individuell gefördert und beurteilt. Macht dies Sinn?
Studien
ergaben, dass in Klassen, in denen das Leistungsgefälle gross ist, der
Lernzuwachs der einzelnen Schülerinnen und Schüler grösser ist als in
«homogenen» Leistungsgruppen. Das Modell setzt aber verlässliche
Rahmenbedingungen voraus.
Welche?
Es
braucht überzeugte Lehrpersonen und genügend Pensen, das heisst genügend
Lektionen für die Unterstützungsangebote wie IF und DaZ und Zeit für die
Absprachen. Selbstverständlich spielt auch das Raumangebot eine grosse Rolle,
damit die verschiedenen Lernangebote auch umgesetzt werden können.
Haben Sie
Verständnis für die Sonderregelung in der Stadt?
Anscheinend
stimmten im Setting der Stadt Luzern anfänglich die Ressourcen nicht. Um mehr
Fächer in der Stammklasse zu unterrichten – mit individueller Förderung –,
braucht es zusätzlichen zeitlichen und finanziellen Aufwand. Die vom Stadtrat
beantragte Pensenaufstockung ist sicher eine Reaktion darauf. (Der Stadtrat
beantragt im laufenden und im kommenden Schuljahr beim Parlament je 800000
Franken für die Umsetzung des Modellversuches, um entweder Pensenaufstockungen
oder die Einstellung zusätzlicher Lehrpersonen zu finanzieren, d. Red.)
Dennoch:
Ist die Ausnahmeregelung ein guter Entscheid?
Das wird
die Zukunft weisen, wenn dieses Projekt nach drei Jahren evaluiert wird. Warum
sollte aber etwas schlecht sein, was sich in der Primarschule schon jahrelang
bewährt?
Gegner
argumentieren, vor allem im Fach Mathematik sei das Leistungsgefälle zu gross.
Ich bin
sehr gespannt, wie die grösseren Pensen nun eingesetzt werden. Team-Teaching,
das heisst, dass zwei Lehrpersonen gleichzeitig im Schulzimmer sind, könnte
helfen, dieses Problem zu entschärfen.
Kritiker
befürchten, dass der Lehrplan so nicht eingehalten werden kann und vor allem
die leistungsstärkeren Schüler darunter leiden.
Bei gutem
Unterricht und genügend Ressourcen – je nach Heterogenität der Klasse braucht
es mehr – kann auf alle Schüler genügend eingegangen werden. Die
leistungsstärkeren Schüler profitieren unter anderem durch Vertiefung,
selbstständiges Arbeiten und die Unterstützung von Mitschülern. Ich finde, die
jetzigen Modelle sollten nicht «zementiert» werden; nur so ist eine
Schulentwicklung möglich. Die wichtigsten Akteure, um die Schule
vorwärtszubringen, sind die Lehrpersonen. Für ihren Versuch musste die Stadt
bekanntlich eine Bewilligung beim Kanton einholen. Ich gehe davon aus, dass
dort die Umsetzung genau beschrieben wurde.
Was
wollen Sie damit sagen?
Wir haben
uns dagegen gewehrt, dass aufgrund des kantonalen Sparpakets die Lehrpersonen
im nächsten Schuljahr kostenlos mehr unterrichten müssen. In der
Lohnentwicklung belegen wir im Vergleich zu unseren sechs Nachbarkantonen heute
schon den letzten Platz. Die aktuelle Situation in der Stadt Luzern zeigt, dass
unser Widerstand gerechtfertigt ist. Es zahlt sich nicht aus, Höchstleistungen
vom Personal zu erwarten und im Gegenzug die Arbeitsbedingungen zu
verschlechtern.
Die Stadt
Luzern müsste also die Lehrerpensen für dieses Modell auf der Sekundarstufe
aufstocken?
Einen
ersten Schritt dazu hat die Stadt ja jetzt getan. Ob diese Massnahme dann
allgemein gültig werden muss, wird dann die Evaluation wohl zeigen.
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