18. Juni 2017

Rechtschreibung ist Schlüsselkompetenz

Christian Stang, 42 Jahre, begeisterte sich schon als Junge für Wörter, Regeln und Interpunktionen. Im Alter von 16 Jahren stieß er auf einen Fehler in einem Rechtschreibnachschlagewerk – und bekam später das Angebot, selbst mal ein Buch zum Thema Zeichensetzung zu schreiben. Eigentlich ist Stang Postbeamter. Vor sechs Jahren wurde er an die Universität Regensburg abgeordnet. Dort berät er in der Orthografie- und Normberatungsstelle Studenten und Universitätsbedienstete zu Rechtschreibung, Grammatik und zu Normen.
"Kein Notenabzug für Rechtschreibfehler? Das falsche Signal", Welt, 8.6. von Mareike König


DIE WELT: Welchen Eindruck haben Sie von den Rechtschreibefähigkeiten junger Menschen?

Christian Stang: Den viel beschworenen Sprachverfall kann ich nicht bestätigen. Mein Eindruck ist vielmehr, dass es gute und schlechte Rechtschreiber gibt. Und das war schon immer so. Und nur weil jemand mal in „Kiezdeutsch“ seinen Freunden „Ich geh Bahnhof“ kommuniziert, bedeutet das noch lange nicht den Untergang des Abendlandes. Bei vielen legt sich im formellen Rahmen, zum Beispiel bei Bewerbungsschreiben, der Schalter um, und die Rechtschreib-Schludrigkeit verschwindet von allein.

DIE WELT: Warum kommen denn die Studenten in die Beratung?

Stang: Zum Beispiel, wenn sie gerade eine Seminararbeit schreiben müssen. Dann geht es häufig um komplizierte Fälle bei der Getrennt- und Zusammensetzung oder Kommasetzung – oder auch um formale Fragen: „Muss man bei der Abkürzung ,z. B.‘ einen Leerraum nach dem ersten Punkt setzen?“ – „Schreibt man in Inhaltsverzeichnissen 1.1. oder 1.1?“

DIE WELT: Wird noch Wert auf anständige Rechtschreibung gelegt?

Stang: In verschiedenen Bundesländern gibt es in den Schulen zum Beispiel keinen Notenabzug mehr für Rechtschreibfehler in den Klausuren. Das sendet natürlich falsche Signale. Ich glaube aber, den meisten jungen Menschen ist klar, dass Rechtschreibung eine Schlüsselkompetenz ist. Wer googeln will, muss wissen, wie ein Wort geschrieben wird. Und wenn Prominente bei Facebook Nachrichten verfassen, die von Rechtschreibfehlern strotzen, beeindruckt das auch niemanden. Im Gegenteil, alle machen sich darüber lustig.

DIE WELT: Welche Fehler korrigieren Sie immer wieder?

Stang: Die Klassiker im Bereich der Interpunktion sind zum Beispiel Infinitivgruppen mit „zu“, also ein Satz wie: „Es ist erforderlich, in diesem Satz ein Komma zu setzen.“ Dieses Komma ist hier tatsächlich verpflichtend, trotzdem machen es sehr, sehr viele falsch. Außerdem gibt es in den letzten Jahren eine Inflation an Apostrophen, die meistens völlig falsch verwendet werden. Ich denke an Pluralformen wie „Baby’s“ oder an Artikelverschmelzungen mit Präposition wie „für’s“ und „in’s“. In diesen Fällen hat der Apostroph nichts zu suchen. Ein anderer Fehler, der einem ständig begegnet, ist, dass bei „Herzlich willkommen“ das „willkommen“ großgeschrieben wird.

DIE WELT: Ich hätte „willkommen“ auch großgeschrieben.

Stang: Ja, es besteht da vielleicht das Bedürfnis, durch den Großbuchstaben dem Wort mehr Bedeutung zu verleihen. Natürlich schreibt man es aber klein, es ist schließlich ein Adjektiv. Außer „willkommen“ wird als Nomen verwendet. Zum Beispiel: „Man bereitete ihr ein herzliches Willkommen.“

DIE WELT: Sie beraten ja nicht nur Studenten, sondern auch Behörden und Redaktionen. Welche Beratung ist Ihnen da besonders im Gedächtnis geblieben?

Stang: Hier in Regensburg ist das Institut Papst Benedikt XVI. ansässig, das die gesammelten Schriften von Papst Benedikt herausgibt. Da galt es zum Beispiel, die Frage zu klären, ob man „gesammelte“ groß- oder kleinschreibt. Dieser Fall wurde damals im Duden noch nicht behandelt.

DIE WELT: Und dann?

Stang: Ich habe dies der Dudenredaktion mitgeteilt. In der nachfolgenden Auflage wurde der Fall dann aufgenommen. Dort steht nun offiziell, dass man sie mit kleinem oder großem „g“ schreiben kann.

DIE WELT: Ist das nicht ein bisschen beliebig vom Duden?

Stang: Die Zahl der Schreibvarianten hat zwar durch die Einführung der neuen Orthografie zugenommen, aber von Beliebigkeit kann natürlich keine Rede sein. Prinzipiell gilt nämlich der Grundsatz „Ein Wort – eine Schreibung“!

DIE WELT: Sehen Sie eigentlich überall Rechtschreibfehler?

Stang: Das ist tatsächlich schwierig. Es rattert immer irgendwie im Hinterkopf. Das stört mich aber nicht. Ich glaube, wenn man an etwas wirklich richtig Spaß hat, dann lässt einen das nie wirklich los. Ich bin aber nicht der Typ Oberlehrer, der mit dem Rotstift durch die Welt geht und jeden Rechtschreibfehler korrigiert, den er sieht. Rechtschreibung ist am Ende vor allem ein Hilfsmittel, das die Kommunikation erleichtert.

DIE WELT: Welche Regeln und Wörter muss ein Orthografieberater eigentlich selbst mal nachschlagen?

Stang: Ich habe in meinem Duden Seiten mit Post-its markiert, die ich immer wieder brauche. Mein persönlicher Klassiker ist „zurechtkommen“, zusammen oder getrennt?

DIE WELT: Ich würde sagen zusammen.

Stang: Richtig. Denn Verben mit „zurecht“ werden stets zusammengeschrieben. Die Regel will mir aber nicht so richtig in den Kopf.

DIE WELT: Haben Sie Sorge, dass Programme zur Rechtschreibprüfung Sie den Arbeitsplatz kosten könnten?

Stang: Wenn man sich diese Programme heute so anschaut, stecken da ja noch sehr viele Fehler drin. Jeder kennt diese Frustration, wenn bei Word wieder ein korrektes Wort rot unterkringelt ist. Für Tippfehler sind solche Korrekturprogramme praktisch, ich benutze die selbst auch. Und selbst wenn es eine perfekte Rechtschreib-App gäbe, würde ich sie zwar nutzen, aber letztendlich immer noch selbst kontrollieren, ob auch nichts übersehen wurde. Aber so eine App muss es ja erst einmal geben. Ich habe nicht das Gefühl, dass mir in den nächsten Jahren die Arbeit ausgehen wird.

DIE WELT: Welche Neuigkeiten gibt es denn gerade momentan noch so aus der Orthografie-Community?

Stang: Da die Rechtschreibreform 1996 in der Schreibgemeinschaft zum Teil heftige Reaktionen hervorgerufen hat, ist man inzwischen viel zurückhaltender geworden. Vor ein paar Tagen wurden ein paar kleinere Änderungen von der Kultusministerkonferenz verabschiedet: Ab sofort ist nun auch das große scharfe „ß“ Bestandteil des amtlichen Regelwerks. Und bei manchen Fremdwörtern hat man die eingedeutschte Variante wieder gestrichen, die sich nicht durchgesetzt hat. Zum Beispiel „Vandalismus“ mit „W“, „Roulette“ ohne „e“ am Ende, „Ketchup“ mit „sch“. So schreibt einfach niemand.


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