Post von der
Post – jeder Haushalt findet zwei Ein-Franken-Marken im Briefkasten, geschenkt
von der Post. Ganz spontan kommt dieses «Dankeschön» nicht, sondern man kann es
auch als leichte Erpressung des Preisüberwachers sehen. Denn er war mit den
Brieftarifen nicht ganz einverstanden, und als Ablasszettel und Angstgeste der
Post kommen nun eben diese Briefmarken.
Was die geschenkten Briefmarken der Post über die Effizienz der Regierung aussagen, NZZaS, 4.6. von Beat Kappeler
Trotzdem darf
man gerührt sein. Die öffentlichen Dienste funktionieren, kapillar und in der
Fläche, von einem Entscheid in Bundesbern bis in jeden Briefkasten. Wir füllen
diese Beobachtung nun in die neueste Studie dieser Woche zur Wettbewerbsfähigkeit
der Schweiz ein. Das weltbekannte Management-Institut IMD in Lausanne stufte
die Schweiz erneut auf Rang zwei ein, nach Hongkong – wegen der Infrastruktur
und der «Effizienz der Regierung».
Die wahre
Effizienz liegt natürlich beim Briefmarkendruck und beim Postboten, nicht in
den Berner Sitzungszimmern, wie man nach dem IMD-Befund glauben könnte. Denn
dies unterscheidet Nord- und Mitteleuropa von den dysfunktionalen Staaten am
Mittelmeer. Dort werden überaus wichtige Dinge in den zentralen Sitzungszimmern
der Regierungen entschieden, nicht bloss lächerliche Briefmarken. Aber es
laufen keinerlei Hebel zur Fläche hinaus, zum Briefboten. Das griechische
Parlament hat soeben viele, oft schon früher beschlossene Sparmassnahmen
ergriffen, aber ankommen werden sie wohl erneut nicht. In Italien konferieren
die Spitzenpolitiker von rechts bis links gewichtig über das Wahlsystem. Die
Medien rauschen, doch in der Fläche bewegt sich wenig, denn 270 Strassenwischer
in Palermo haben Krankenurlaub, und 80 000 Krankenpfleger in Italien sind
dispensiert vom Arbeiten nachts, vom Röntgen, vom Umbetten oder vom Kontakt mit
Patienten.
In Mittel- und
Nordeuropa strahlt hingegen etwas aus den privaten Firmen auch in den
öffentlichen Sektor ab, nämlich «execution» – die sorgfältige Ausführung.
Anstatt über charakterliche Unterschiede zwischen Nord- und Südeuropa zu
philosophieren, kann man kühl einerseits verkorkste Strukturen feststellen,
etwa das Kündigungsverbot für ungeeignete private und staatliche Angestellte,
und andererseits den Kipp-Effekt: Wenn in Süditaliens Spitälern um die 50% der
Pfleger dispensiert und im Büro sind, muss jeder, der dies nicht versucht, mehr
arbeiten und ist ein Trottel.
Wenn aber
private oder öffentliche Organisationen ihren Mitarbeitern genügend Ermessen
lassen, ihnen das Gefühl geben, es komme auf alle an, sie dazu aber auch knapp
an der Zahl halten sowie ihnen kündigen können, dann gelangt die Gesellschaft
zu Orchesterqualität, nämlich zur «collective intentionality». So nennt man es,
wenn alle ihren kleinen Part selbst verantwortet, aber mit dem Blick aufs Ganze
spielen können.
Doch halt –
auch unser Orchesterton wird gestört. Wenn die Post nicht Marken verteilt,
sondern Poststellen schliessen will, lärmen schon die Politiker und
Arbeitnehmervertreter. In Schweden sind alle Poststellen in Läden eingerichtet,
so überleben die Postdienste und die Läden in der Fläche, effizient,
glaubwürdig. Dank dem kürzlich erfolgten Energievotum des Volkes kann nun der
Bundesrat in 70 Fällen mit Verordnungen den Markt verfälschen und den
Eigenwillen der Bürger brechen – Gerhard Schwarz hat es gezählt. Mit der
Arbeitszeiterfassung versteifen Behörden und Gewerkschaften die Abläufe und das
Ermessen der Arbeitenden. Mit den immer neuen Zwischenebenen im Schulwesen, von
hauptamtlichen Schulleitern über die Qualitätssicherung, Mediation oder
Benchmarks bis zur Akkreditierung und Evaluation, vergehen jedem Lehrenden das
Ermessen, die Initiative und vor allem das Zeitbudget fürs eigentliche
Schulehalten. Gerade wieder zeigte die Beschäftigungsstatistik dort 4000
Stellen mehr innert Jahresfrist – gerne als «hohe Ausgaben für Bildung»
hochgelobt.
Sodann
schliesst man mit immer mehr Lehrgängen und Diplom-Erfordernissen, etwa für
Kleinkinderhorte, solche Rekrutierungsfelder zu. Doch gerade die Verfechter des
Service public müssen dessen Arbeitenden viel Ermessen und Freiraum zugestehen,
sonst sinken Effizienz und Legitimität. Er erstarrt, und Kipp-Effekte treten
auf. So wird die Privatisierung plausibel.
Letzte Woche
fragte das Swiss Economic Forum in Interlaken, ob man in der Schweiz noch wild
sein könne. Vielleicht, aber man erkundige sich vorsichtshalber bei den
zuständigen Amtsstellen des Benchmarking, der Evaluation, der Akkreditierung,
der Qualitätssicherung, der Arbeitszeiterfassung, der Zulassung und
Diplombeglaubigung und beachte die Governance-Papiere. Oder etwa nicht? Dann
aber weg damit, um wild und frei zu sein. Einfach nicht befolgen. Das bringt
dann noch mehr, als Briefmarken zuzustellen.
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