Das Gezerre um den Lehrplan 21 nimmt kein Ende. In verschiedenen Kantonen sind Volksinitiativen hängig, am 21. Mai stimmt Solothurn als nächster ab. Was treibt die Lehrplan-Gegner an?
Der Kampf ums Klassenzimmer, Thurgauer Zeitung, 10.5. von Dominic Wirth
Es geht
um viele Jahre Arbeit, um mehrere hundert Seiten Papier und Tausende sogenannte
Kompetenzstufen. Der Lehrplan 21 ist eine grosse Sache, ein
Harmonisierungsprojekt, wie es die Deutschschweizer Schulen noch nie erlebt
haben. Und wie das so ist mit den Veränderungen: Sie stossen auf Widerstand.
Landauf, landab steht der Lehrplan 21 in der Kritik. Die Absender sind Eltern,
Lehrer und Politiker. Von Graubünden bis Bern wurden Unterschriften für
Volksinitiativen gesammelt und parlamentarische Vorstösse eingereicht. Im
Aargau, St.Gallen, Thurgau und Schaffhausen sind die Lehrplan-Gegner an der
Urne bereits gescheitert; im Baselbiet verbuchten sie einen Teilerfolg. Am 21.
Mai befinden die Solothurner über die nächste Volksinitiative zum Thema.
Und vorbei wird es auch danach nicht sein mit dem Streit über den Lehrplan. Wer
steht hinter dem Widerstand, und was treibt diese Leute an? Ein Besuch bei drei
Protagonisten in drei Kantonen.
René
Steiner Solothurn
René
Steiner ist kein Mann, der so schnell aus der Ruhe gerät. Aber ein wenig nervös
wird er allmählich schon. Zehn Tage noch, dann entscheiden die Solothurner, ob
sie seine Volksinitiative gegen den Lehrplan 21 annehmen. Steiner sagt, ein Ja
wäre «ein mittelgrosses Wunder», aber er ist zuversichtlicher als auch schon.
Er sitzt für die Evangelische Volkspartei im Solothurner Kantonsrat, und er ist
der Kopf eines Komitees, in dem weitere Kantonsräte aus der CVP, der GLP und
der SVP sitzen. Der Theologe spricht schnell und viel und voller Elan – so, wie
er das auch bei den Gottesdiensten von Vineyard tut. Steiner leitet den Oltner
Ableger der Freikirche, doch er legt Wert darauf, Beruf und Politik zu trennen.
Deshalb hat der 47-Jährige, der trotz seines Alters etwas Jungenhaftes hat, das
Treffen von seinem Büro im Oltner Stadtzentrum in ein nahes Restaurant
verlegt.
Dort
sitzt Steiner nun und sagt, warum er vom Lehrplan 21 nichts wissen will. «Wir
haben eine Harmonisierung bestellt, aber jetzt hat sich das Unterfangen
verselbstständigt», erklärt Steiner, der «zentralistische Tendenzen» ortet. Daneben
ärgert er sich vor allem über die Kompetenzorientierung. «Da wird etwas
eingeführt, das anderswo schon gescheitert ist», sagt Steiner, der seit 2005
im Kantonsrat sitzt. Er hat über die Jahre viel Zeit in den Kampf gegen
den Lehrplan 21 mit seiner «linksliberalen Agenda» investiert. «Ich habe im
Schulzimmer meiner eigenen Kinder erlebt, dass die Reformen der letzten Jahre
die Schule schlechter und nicht besser gemacht haben», sagt Steiner. Den
Lehrplan 21 will der Solothurner aufhalten, indem er gezielt einzelne Elemente
des Lehrplans ins Visier nimmt – in der Hoffnung, ihm so letztlich die Zähne zu
ziehen. So verlangt die Volksinitiative unter anderem Jahrgangsziele für die
einzelnen Schulstufen statt wie im Lehrplan 21 für die Zyklen, die jeweils mehrere
Jahre umfassen. «Mit Jahrgangszielen wäre der Lehrplan 21 abgeschossen», sagt
Steiner. Am 21. Mai weiss er, ob sein Plan aufgeht.
Anita
Borer Zürich
Im
Kanton Zürich muss sich Anita Borer noch länger gedulden. Es wird wohl Ende
Jahr, bis ihre Initiative vors Volk kommt; bis jetzt steht nur fest, dass
Regierung und Kantonsrat ein Nein empfehlen. Das Ziel: Der Kantonsrat soll den
Lehrplan künftig genehmigen. Dieser Beschluss wiederum würde dem fakultativen
Referendum unterstehen. Borer sitzt für die SVP im Kantonsrat. Vor ein paar
Wochen hat sie sich geärgert, weil der Zürcher Bildungsrat den Lehrplan 21 in
Kraft gesetzt hat. Im Sommer 2018 wollen sie in Zürich loslegen mit dem neuen
Lehrplan, das steht jetzt schon fest. Borer hat dafür kein Verständnis, weil
die Stimmbürger noch gar nicht entschieden haben, ob der Lehrplan künftig vors
Volk soll – so, wie Borer und ihre Mitstreiter das fordern. «Das zeigt einmal
mehr, dass in dieser Frage keine Demokratie erwünscht ist», sagt die
30-Jährige, die eine «sinnvolle Harmonisierung» unterstützt, aber findet, dass
beim Lehrplan 21 «die Hoheit der Kantone zu wenig berücksichtigt wurde.»
Es sind
vor allem Politiker aus dem rechtsbürgerlichen Milieu, die sich in Zürich für
die Initiative gegen den Lehrplan 21 einsetzen – so, wie das auch anderswo der
Fall ist. Ein paar Kantonsräte sind dabei, daneben auch Jungpolitiker, Andri
Silberschmidt etwa, der Präsident der Jungfreisinnigen, und auch Vertreter der
Jungen SVP. Die hat im Kanton Zürich auch Borer einst angeführt. Und zu ihrer
Geschichte gehört auch diese Anekdote: Bei den Nationalratswahlen 2011 setzte
sie ihre Kantonalpartei auf den zweiten Listenplatz, gleich hinter Übervater
Christoph Blocher, der sich für die damals weitgehend unbekannte, blutjunge Politikerin
eingesetzt haben soll. Doch Borer schaffte den Sprung nach Bern trotz des
Startvorsprungs nicht, und diese Wunde scheint bis heute nicht ganz verheilt.
Mittlerweile sitzt die Frau aus Uster bei einem KMU in Egg im Zürcher Oberland
in der Geschäftsleitung – und sagt, für sie stelle sich derzeit die Frage
nicht, ob sie nach Bern wolle.
Jürg
Wiedemann Basel-Land
Jürg
Wiedemann sticht heraus unter den Gegnern des Lehrplan 21. Da ist zum einen
sein politischer Hintergrund. Er stehe für «urlinke Anliegen», sagt der
57-Jährige, der einst in der GsoA tätig war. Nur in Bildungsfragen ist das
anders, da sei er «nicht kompatibel mit den Grünen im Baselland», so
drückt es der Sekundarlehrer aus. Und weil das so ist und Wiedemann ein
Mann ist, der sich nicht gerne verbiegt, wurde er Anfang 2015 aus
seiner Partei geworfen. Der Streit mit den Grünen eskalierte, nachdem
Wiedemann und sein Verein «Starke Schule Basel» unter anderem die heutige
FDP-Regierungsrätin Monica Gschwind zur Wahl empfohlen hatten – wegen ihrer
Haltung in der Bildungspolitik. Kurz darauf gründete der Baselbieter Kantonsrat
Wiedemann eine neue Partei, die Grünen-Unabhängigen. Und er kämpfte mit seinem
Verein weiter gegen den Lehrplan 21, mit Vorstössen im Parlament, die er gerne
mit Volksinitiativen flankiert.
Im
Gegensatz zu allen anderen Lehrplan-Gegnern hat Wiedemann auch schon einmal
eine Volksabstimmung gewonnen, im Juni 2016 war das. Die Baselbieter sagten
damals Ja zum «Verzicht auf Sammelfächer». Diesen Weg – einzelne Elemente des
Lehrplan 21 ins Visier nehmen und ihn so verunmöglichen – will Wiedemann
weitergehen. Er sagt, auch er wolle eine Harmonisierung, aber der «stark
abstrakte und konfuse» Lehrplan 21 bringe das Gegenteil. «Schulwechsel
funktionieren nur dann ohne Schwierigkeiten, wenn die Jahresziele identisch
sind», sagt er, dem ein «A4-Blatt mit definierten Stoffinhalten und Themen»
vorschwebt. Ein entsprechender Vorstoss schaffte es bereits durch das
Kantonsparlament; es ist der nächste Schritt für den umstrittenen Wiedemann.
Wenn er gelingt, dann kochen die Baselbieter erneut ihr eigenes Süppchen,
angetrieben von einem, dem angeblich die Mobilität zwischen den Kantonen ein
Anliegen ist. Ein Widerspruch? Nein, sagt Wiedemann. Er hofft, dass sein Kanton
eine Vorreiterrolle einnimmt und die anderen dann nachziehen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen