14. Mai 2017

Was treibt die Lehrplan-Gegner an?

Das Gezerre um den Lehrplan 21 nimmt kein Ende. In verschiedenen Kantonen sind Volksinitiativen hängig, am 21. Mai stimmt Solothurn als nächster ab. Was treibt die Lehrplan-Gegner an?
Der Kampf ums Klassenzimmer, Thurgauer Zeitung, 10.5. von Dominic Wirth


Es geht um viele Jahre Arbeit, um mehrere hundert Seiten Papier und Tausende sogenannte Kompetenzstufen. Der Lehrplan 21 ist eine grosse Sache, ein Harmonisierungsprojekt, wie es die Deutschschweizer Schulen noch nie erlebt haben. Und wie das so ist mit den Veränderungen: Sie stossen auf Widerstand. Landauf, landab steht der Lehrplan 21 in der Kritik. Die Absender sind Eltern, Lehrer und Politiker. Von Graubünden bis Bern wurden Unterschriften für Volksinitiativen gesammelt und parlamentarische Vorstösse eingereicht. Im Aargau, St.Gallen, Thurgau und Schaffhausen sind die Lehrplan-Gegner an der Urne bereits gescheitert; im Baselbiet verbuchten sie einen Teilerfolg. Am 21.   Mai befinden die Solothurner über die nächste Volksinitiative zum Thema. Und vorbei wird es auch danach nicht sein mit dem Streit über den Lehrplan. Wer steht hinter dem Widerstand, und was treibt diese Leute an? Ein Besuch bei drei ­Protagonisten in drei Kantonen.

René Steiner Solothurn

René Steiner ist kein Mann, der so schnell aus der Ruhe gerät. Aber ein wenig nervös wird er allmählich schon. Zehn Tage noch, dann entscheiden die Solothurner, ob sie seine Volksinitiative gegen den Lehrplan 21 annehmen. Steiner sagt, ein Ja wäre «ein mittelgrosses Wunder», aber er ist zuversichtlicher als auch schon. Er sitzt für die Evangelische Volkspartei im Solothurner Kantonsrat, und er ist der Kopf eines Komitees, in dem weitere Kantonsräte aus der CVP, der GLP und der SVP sitzen. Der Theologe spricht schnell und viel und voller Elan – so, wie er das auch bei den Gottesdiensten von Vineyard tut. Steiner leitet den Oltner Ableger der Freikirche, doch er legt Wert darauf, Beruf und Politik zu trennen. Deshalb hat der 47-Jährige, der trotz seines Alters etwas Jungenhaftes hat, das Treffen von seinem Büro im ­Oltner Stadtzentrum in ein nahes Restaurant verlegt.
Dort sitzt Steiner nun und sagt, warum er vom Lehrplan 21 nichts wissen will. «Wir haben eine Harmonisierung bestellt, aber jetzt hat sich das Unter­fangen verselbstständigt», erklärt Steiner, der «zentralistische Tendenzen» ortet. Daneben ärgert er sich vor allem über die Kompetenzorientierung. «Da wird etwas eingeführt, das anderswo schon ge­scheitert ist», sagt Steiner, der seit 2005   im Kantonsrat sitzt. Er hat über die Jahre viel Zeit in den Kampf gegen den Lehrplan 21 mit seiner «linksliberalen ­Agenda» investiert. «Ich habe im Schulzimmer meiner eigenen Kinder erlebt, dass die Reformen der letzten Jahre die Schule schlechter und nicht besser gemacht haben», sagt Steiner. Den Lehrplan 21 will der Solothurner aufhalten, indem er gezielt einzelne Elemente des Lehrplans ins Visier nimmt – in der Hoffnung, ihm so letztlich die Zähne zu ziehen. So verlangt die Volksinitiative unter anderem Jahrgangsziele für die einzelnen Schulstufen statt wie im Lehrplan 21 für die Zyklen, die jeweils mehrere Jahre umfassen. «Mit Jahrgangszielen wäre der Lehrplan 21 abgeschossen», sagt Steiner. Am 21.   Mai weiss er, ob sein Plan aufgeht.

Anita Borer Zürich

Im Kanton Zürich muss sich Anita Borer noch länger gedulden. Es wird wohl Ende Jahr, bis ihre Initiative vors Volk kommt; bis jetzt steht nur fest, dass Regierung und Kantonsrat ein Nein empfehlen. Das Ziel: Der Kantonsrat soll den Lehrplan künftig genehmigen. Dieser Beschluss wiederum würde dem fakultativen Referendum unterstehen. Borer sitzt für die SVP im Kantonsrat. Vor ein paar Wochen hat sie sich geärgert, weil der Zürcher Bildungsrat den Lehrplan 21 in Kraft gesetzt hat. Im Sommer 2018 wollen sie in Zürich loslegen mit dem neuen Lehrplan, das steht jetzt schon fest. Borer hat dafür kein Verständnis, weil die Stimmbürger noch gar nicht entschieden haben, ob der Lehrplan künftig vors Volk soll – so, wie Borer und ihre Mitstreiter das fordern. «Das zeigt einmal mehr, dass in dieser Frage keine Demokratie erwünscht ist», sagt die 30-Jährige, die eine «sinnvolle Harmonisierung» unterstützt, aber findet, dass beim Lehrplan 21 «die Hoheit der Kantone zu wenig berücksichtigt wurde.»

Es sind vor allem Politiker aus dem rechtsbürgerlichen Milieu, die sich in Zürich für die Initiative gegen den Lehrplan 21 einsetzen – so, wie das auch anderswo der Fall ist. Ein paar Kantonsräte sind dabei, daneben auch Jungpolitiker, Andri Silberschmidt etwa, der Präsident der Jungfreisinnigen, und auch Vertreter der Jungen SVP. Die hat im Kanton Zürich auch Borer einst angeführt. Und zu ihrer Geschichte gehört auch diese Anekdote: Bei den Nationalratswahlen 2011 setzte sie ihre Kantonalpartei auf den zweiten Listenplatz, gleich hinter Übervater Christoph Blocher, der sich für die damals weitgehend unbekannte, blutjunge Politikerin eingesetzt haben soll. Doch Borer schaffte den Sprung nach Bern trotz des Startvorsprungs nicht, und ­diese Wunde scheint bis heute nicht ganz verheilt. Mittlerweile sitzt die Frau aus Uster bei einem KMU in Egg im Zürcher Oberland in der Geschäftsleitung – und sagt, für sie stelle sich derzeit die Frage nicht, ob sie nach Bern wolle.

Jürg Wiedemann Basel-Land

Jürg Wiedemann sticht ­heraus unter den Gegnern des Lehrplan 21. Da ist zum einen sein politischer Hintergrund. Er stehe für «urlinke Anliegen», sagt der 57-Jährige, der einst in der GsoA tätig war. Nur in Bildungsfragen ist das anders, da sei er «nicht kompatibel mit den   Grünen im Baselland», so drückt es der Sekundarlehrer aus. Und weil das so   ist und Wiedemann ein Mann ist, der   sich nicht gerne verbiegt, wurde er   Anfang 2015 aus seiner Partei ge­worfen. Der Streit mit den Grünen eskalierte, nachdem Wiedemann und sein Verein ­«Starke Schule Basel» unter anderem die heutige FDP-Regierungsrätin ­Monica Gschwind zur Wahl empfohlen hatten – wegen ihrer Haltung in der Bildungspolitik. Kurz darauf gründete der Baselbieter Kantonsrat Wiedemann eine neue Partei, die Grünen-Unabhängigen. Und er kämpfte mit seinem Verein ­weiter gegen den Lehrplan 21, mit Vorstössen im Parlament, die er gerne mit Volks­initiativen flankiert.


Im Gegensatz zu allen anderen Lehrplan-Gegnern hat Wiedemann auch schon einmal eine Volksabstimmung gewonnen, im Juni 2016 war das. Die Baselbieter sagten damals Ja zum «Verzicht auf Sammelfächer». Diesen Weg – einzelne Elemente des Lehrplan 21 ins Visier nehmen und ihn so verunmöglichen   – will Wiedemann weitergehen. Er sagt, auch er wolle eine Harmonisierung, aber der «stark abstrakte und konfuse» Lehrplan 21 bringe das Gegenteil. «Schulwechsel funktionieren nur dann ohne Schwierigkeiten, wenn die Jahresziele identisch sind», sagt er, dem ein «A4-Blatt mit definierten Stoffinhalten und Themen» vorschwebt. Ein entsprechender Vorstoss schaffte es bereits durch das Kantonsparlament; es ist der nächste Schritt für den umstrittenen Wiedemann. Wenn er gelingt, dann kochen die Baselbieter erneut ihr eigenes Süppchen, angetrieben von einem, dem angeblich die Mobilität zwischen den Kantonen ein Anliegen ist. Ein Widerspruch? Nein, sagt Wiedemann. Er hofft, dass sein Kanton eine Vorreiterrolle einnimmt und die anderen dann nachziehen. 

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