21. Mai 2017

Ungesunde Luft

Wenn die Schulstunden zum Gähnen sind, muss das nicht am Lehrer liegen. Oft ist es die muffige Luft, die Schüler in den Dämmermodus versetzt. In Schweizer Schulzimmern sind die Kinder und Jugendlichen vielfach einer zu hohen Belastung durch Kohlendioxid (CO2) ausgesetzt. Das zeigt eine Studie des Instituts für Arbeitsmedizin in Baden, die im Auftrag des Schweizer Lehrerverbands (LCH) durchgeführt wurde.
Das haut die aufgewecktesten Schüler um, Sonntagszeitung, 21.5. von Nadja Pastega


Die Arbeitsmediziner nahmen Messungen in einem Kindergarten sowie in den Räumlichkeiten einer Primar- und einer Sekundarklasse vor. Die Messsonde zeichnete einen Tag lang jede Minute auf. Ergebnis: Fast während der ganzen Unterrichtszeit waren die Kohlendioxid-Werte viel zu hoch – sie überstiegen den gesetzlichen Grenzwert bis um das Vierfache. Das haut auch die aufgewecktesten Schüler um.

Laut Arbeitsgesetz sollte die CO2-Konzentration in Aufenthaltsräumen 1000 parts per million (ppm) nicht überschreiten. Das entspricht einem Promille. Wird diese Schwelle überschritten, ist die Luftqualität ungenügend.

Mief beeinträchtigt nicht nur die Konzentration
Im Klassenzimmer der Sekundarschüler war der Grenzwert bereits zehn Minuten nach Unterrichtsbeginn überschritten. Die CO2-Konzentration kletterte bis auf über 2000 ppm. Die Kindergärtler, die in einem grösseren Raum untergebracht waren, atmeten nach einer Stunde verbrauchte Luft ein. Auch hier stieg der CO2-Gehalt auf das Doppelte des Grenzwerts. Am stickigsten war die Luft bei den Primarschülern: Das Messgerät zeigte nach zwei Stunden Unterricht 4168 ppm an.

Beim Lüften in den Pausen sank das CO2 in den Klassenräumen jeweils etwas ab, um dann bei geschlossenen Fenstern innert Minuten wieder in ungesunde Höhen zu schnellen.
«Wir gehen davon aus, dass in 70 bis 80 Prozent der Schweizer Schulzimmer schlechte Luft herrscht», sagt Arbeitsmediziner Claude Sidler, Co-Autor der Studie. «Kritisch wird es bereits bei einem Wert über 1500 ppm – ein konzentriertes Arbeiten ist nur noch eingeschränkt möglich.»

Zu viele Schüler im Raum
Die Klima-Misere in den Schulstuben wiesen vor einigen Jahren auch Messungen im Kanton Aargau nach. In den Schulhäusern ohne mechanische Lüftungsanlage wurden über einen Grossteil der Unterrichtszeit zu hohe CO2-Werte gemessen.

Der Grund für das miefige Klima in den Schulen: Es sitzen zu viele Schüler im Raum, und es wird zu wenig oder falsch gelüftet. Die erhöhten CO2-Werte haben Folgen für die Gesundheit. «Die schlechte Raumluft bewirkt Konzentrationsstörungen, Leistungsabfall bis hin zu Kopfschmerzen und Reizungen der Schleimhäute», hält die Studie des Instituts für Arbeitsmedizin fest.

Dass zu viel CO2 krank machen kann, ist den Behörden längst bekannt – doch bisher wurde wenig dagegen unternommen. Das soll sich jetzt ändern. Die ungesunden Luftverhältnisse in den Schulzimmern haben das Bundesamt für Gesundheit (BAG) auf den Plan gerufen. Die Gesundheitsbehörde führt mit mehreren Kantonen und Gemeinden ein Pilotprojekt zur Lüftung in den Schulen durch. Dabei wird untersucht, mit welchen Massnahmen die Luftqualität in den Klassenzimmern verbessert werden kann.

Lüftungsanlagen bieten keine Frische-Garantie
«Wir haben in mehreren Schulen Messungen der Luftqualität vorgenommen und werten das nun aus», sagt Daniel Dauwalder vom BAG. Das Bundesamt will eine Liste mit Empfehlungen ausarbeiten und im Herbst der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren präsentieren. Anschliessend wird der Massnahmenkatalog allen Gemeinden und Schulbehörden schweizweit zur Verfügung gestellt. Unterstützt wird das BAG durch eine Expertengruppe, der unter anderem die Lungenliga und der Lehrerverband LCH angehören.

Gegen die schlechte Luft können mitunter selbst technisch hochgerüstete Lüftungsanlagen keine Abhilfe schaffen. Das musste die Pädagogische Hochschule Zürich erfahren. Nach dem Umzug in einen ultramodernen Minergiebau, bei dem sich die Fenster nicht öffnen lassen, klagten Dozenten und Studenten über stickige Luft. Ein Student fiel während der Gesangsstunde in Ohnmacht. Inzwischen habe sich die Situation «insgesamt verbessert», heisst es. Man habe die Einstellung der Lüftungsanlage «kontinuierlich optimiert».


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