Wenn die Schulstunden zum Gähnen sind, muss das nicht am Lehrer liegen.
Oft ist es die muffige Luft, die Schüler in den Dämmermodus versetzt. In
Schweizer Schulzimmern sind die Kinder und Jugendlichen vielfach einer zu hohen
Belastung durch Kohlendioxid (CO2) ausgesetzt. Das zeigt eine Studie
des Instituts für Arbeitsmedizin in Baden, die im Auftrag des Schweizer
Lehrerverbands (LCH) durchgeführt wurde.
Das haut die aufgewecktesten Schüler um, Sonntagszeitung, 21.5. von Nadja Pastega
Die Arbeitsmediziner nahmen Messungen in einem Kindergarten sowie in den
Räumlichkeiten einer Primar- und einer Sekundarklasse vor. Die Messsonde
zeichnete einen Tag lang jede Minute auf. Ergebnis: Fast während der ganzen
Unterrichtszeit waren die Kohlendioxid-Werte viel zu hoch – sie überstiegen den
gesetzlichen Grenzwert bis um das Vierfache. Das haut auch die aufgewecktesten
Schüler um.
Laut Arbeitsgesetz sollte die CO2-Konzentration in Aufenthaltsräumen
1000 parts per million (ppm) nicht überschreiten. Das entspricht einem
Promille. Wird diese Schwelle überschritten, ist die Luftqualität ungenügend.
Mief beeinträchtigt nicht nur die Konzentration
Im Klassenzimmer der Sekundarschüler war der Grenzwert bereits zehn
Minuten nach Unterrichtsbeginn überschritten. Die CO2-Konzentration kletterte
bis auf über 2000 ppm. Die Kindergärtler, die in einem grösseren Raum
untergebracht waren, atmeten nach einer Stunde verbrauchte Luft ein. Auch hier
stieg der CO2-Gehalt auf das Doppelte des Grenzwerts. Am stickigsten war die
Luft bei den Primarschülern: Das Messgerät zeigte nach zwei Stunden Unterricht
4168 ppm an.
Beim Lüften in den Pausen sank das CO2 in den
Klassenräumen jeweils etwas ab, um dann bei geschlossenen Fenstern innert
Minuten wieder in ungesunde Höhen zu schnellen.
«Wir gehen davon aus, dass in 70 bis 80 Prozent der Schweizer
Schulzimmer schlechte Luft herrscht», sagt Arbeitsmediziner Claude Sidler,
Co-Autor der Studie. «Kritisch wird es bereits bei einem Wert über 1500 ppm –
ein konzentriertes Arbeiten ist nur noch eingeschränkt möglich.»
Zu viele Schüler im Raum
Die Klima-Misere in den Schulstuben wiesen vor einigen Jahren auch
Messungen im Kanton Aargau nach. In den Schulhäusern ohne mechanische
Lüftungsanlage wurden über einen Grossteil der Unterrichtszeit zu hohe
CO2-Werte gemessen.
Der Grund für das miefige Klima in den Schulen: Es sitzen zu viele
Schüler im Raum, und es wird zu wenig oder falsch gelüftet. Die erhöhten
CO2-Werte haben Folgen für die Gesundheit. «Die schlechte Raumluft bewirkt
Konzentrationsstörungen, Leistungsabfall bis hin zu Kopfschmerzen und Reizungen
der Schleimhäute», hält die Studie des Instituts für Arbeitsmedizin fest.
Dass zu viel CO2 krank machen kann, ist den Behörden
längst bekannt – doch bisher wurde wenig dagegen unternommen. Das soll sich
jetzt ändern. Die ungesunden Luftverhältnisse in den Schulzimmern haben das
Bundesamt für Gesundheit (BAG) auf den Plan gerufen. Die Gesundheitsbehörde
führt mit mehreren Kantonen und Gemeinden ein Pilotprojekt zur Lüftung in den
Schulen durch. Dabei wird untersucht, mit welchen Massnahmen die Luftqualität
in den Klassenzimmern verbessert werden kann.
Lüftungsanlagen bieten keine Frische-Garantie
«Wir haben in mehreren Schulen Messungen der Luftqualität vorgenommen
und werten das nun aus», sagt Daniel Dauwalder vom BAG. Das Bundesamt will eine
Liste mit Empfehlungen ausarbeiten und im Herbst der Schweizerischen Konferenz
der kantonalen Erziehungsdirektoren präsentieren. Anschliessend wird der
Massnahmenkatalog allen Gemeinden und Schulbehörden schweizweit zur Verfügung
gestellt. Unterstützt wird das BAG durch eine Expertengruppe, der unter anderem
die Lungenliga und der Lehrerverband LCH angehören.
Gegen die schlechte Luft können mitunter selbst technisch hochgerüstete
Lüftungsanlagen keine Abhilfe schaffen. Das musste die Pädagogische Hochschule
Zürich erfahren. Nach dem Umzug in einen ultramodernen Minergiebau, bei dem
sich die Fenster nicht öffnen lassen, klagten Dozenten und Studenten über
stickige Luft. Ein Student fiel während der Gesangsstunde in Ohnmacht.
Inzwischen habe sich die Situation «insgesamt verbessert», heisst es. Man habe
die Einstellung der Lüftungsanlage «kontinuierlich optimiert».
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