14. Mai 2017

Reformpädagogische Spasskultur

Die Reformpädagogik predigt Spass, wie auch aus dem letzten «Bund»-Samstagsinterviewmit Andreas Müller hervorgeht. Dieser Spass wird mit rund 70000 Fränkli pro Jahr teuer für die Eltern der Schüler im exklusiven Institut Beatenberg. Auferstanden ist die Einheitsschule des Johannes Tews – in Deutschland neu aufgelegt als inklusive Gemeinschaftsschule. Wobei die einstige Geistespflege in der Volksgemeinschaft jetzt unter heutiger Marktlogik zur Portfoliopflege mutiert ist. Schon damals in der «Neuen Richtung» hiess es, dass Bildungsarbeit vom Menschen anstatt vom Stoff auszugehen habe und dass sie individualisiert und intensiv betrieben werden müsse. In der «Neuen Lernkultur» steht da wieder der Schüler in alter Frische im Mittelpunkt. 
Reformpädagogische Spasskultur, Bund, 11.5. von Hans-Jürgen Bandelt et al.


Durch Kompetenzerlebnisse soll er Spass haben an dem, was er fremdbestimmt tut. Frustration beim langen Ringen mit einem Lerngegenstand und Freude über das Verstehen sind nicht mehr vorgesehen. Dem freudlosen Business angepasst ist das Beatenberger Lernatelier mit seiner Grossraumbüroatmosphäre. Der Lernvertrag muss erfüllt und im Portfolio ausgewiesen werden. Die Schüler messen sich nicht mit anderen, sondern nur mit sich selber: Bei der Arbeit mit Kompetenzrastern sollen sie ihre Entwicklungsverläufe verfolgen. Sie werden angespornt, besser zu werden – aber nie sind sie gut. Und sie werden nie fertig mit ihrem lebenslangen Fitnessprojekt. «Die Innenorientierung macht den permanenten Vergleich mit anderen überflüssig» und belässt sie in der «Hölle des Gleichen» (Byung-Chul Han). 

Ein untaugliches Modell 
Die Beatenberger Lebensumstände kompensieren bei Rundumbetreuung das kalte Arrangement der Schülerportfolios. Der herzliche Umgang wird teuer bezahlt. Das Modell taugt nicht für das öffentliche inklusive Schulsystem: Die Billigversion muss auf digitale Unterstützung durch Tablets setzen, wie bereits in Deutschland angedacht wird. Die Ideologie der Inklusion verbietet den Leistungsvergleich der Schüler untereinander. Der Vergleich setzt jedoch punktgenau bei Eintritt ins Berufsleben ein und sortiert die heimlichen Schulversager knallhart aus. 

Baden-Württemberg suchte nach den Wahlen zum 15. Landtag nach einem Messias für die weitere Umgestaltung der durch die Kompetenzorientierung darbenden Bildungslandschaften. Die aufgegriffenen Konzepte der Privatunternehmer Fratton und Müller liessen das Land für ein Jahrfünft zu einer Hochburg reformpädagogischer Geistespflege werden. 2012 war das Landesinstitut für Schulentwicklung in Stuttgart bereits mit Kompetenzrastern dem Lernen auf der Spur, einem Leitmotiv von Andreas Müller. Dieser pädagogische Irrweg wurde schon in der FAZ vom 10. Mai 2013 von Matthias Burchardt und Jochen Krautz scharf kritisiert. 

Dem zum Trotze reflektieren nun in buchhalterischer Manier die Schüler in Baden-Württemberg ihre Stärken und tragen diese in Blütenbilder ein, statt in Hausaufgaben Rechnen und Schreiben einzuüben. Im Laufe der Jahre merken auch die Dümmsten, dass die Nebensitzerin ein viel besseres Portfolio hat als sie selbst: Was soll man preisen, wenn man keine Stärken hat? Der Stress der Selbstreflexion ist grösser als eine Note 4. Aber so beginnen sie, sich beizeiten als unternehmerisches Selbst zu inszenieren und zu verwalten. So wie der Lernbegleiter und Coach sie nur verwaltet und nicht erzieht. Der frontal unterrichtende Lehrer vergangener Tage ist passé und wird als Teilzeitbeschäftigter diffamiert. Die Erziehung besorgen jetzt vorgefertigte Arbeitsblätter oder Lernprogramme auf dem Tablet. Das alte reformpädagogische Motto «vom Kinde aus» bekommt einen neuen digitalen Spin. 

Aller Kompetenzprosa und Rasterung zum Trotz erscheinen die Abiturienten an der Hochschulpforte zunehmend inkompetenter: des Rechnens und des Schreibens nicht recht fähig. Groteske Lücken an Wissen und Können tun sich auf. Andreas Müller jedoch predigt: «Wer nur Mathematik unterrichtet, wird den Schülern nicht gerecht. Der fachliche Erfolg ist das Ergebnis mentaler, sozialer und körperlicher Fitness.» Nur – solches Fitnesstraining lehrt keine Mathematik begreifen und ersetzt kein Bildungsgeschehen. 

Hans-Jürgen Bandelt ist Prof. i.R. für Mathematik an der Universität Hamburg. Co-Autoren sind Dr. Hans Peter Klein, Prof. für Didaktik der Biowissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt, Dr.Wolfgang Kühnel, Prof. i.R. für Mathematik an der Universität Stuttgart,sowie Dr.h. c. Franz Lemmermeyer, Gymnasiallehrer für Mathematik in Ellwangen.

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