Die
Reformpädagogik predigt Spass, wie auch aus dem letzten «Bund»-Samstagsinterviewmit Andreas Müller hervorgeht. Dieser Spass wird mit rund 70000 Fränkli pro
Jahr teuer für die Eltern der Schüler im exklusiven Institut Beatenberg.
Auferstanden ist die Einheitsschule des Johannes Tews – in Deutschland neu
aufgelegt als inklusive Gemeinschaftsschule. Wobei die einstige Geistespflege
in der Volksgemeinschaft jetzt unter heutiger Marktlogik zur Portfoliopflege
mutiert ist. Schon damals in der «Neuen Richtung» hiess es, dass Bildungsarbeit
vom Menschen anstatt vom Stoff auszugehen habe und dass sie individualisiert
und intensiv betrieben werden müsse. In der «Neuen Lernkultur» steht da wieder
der Schüler in alter Frische im Mittelpunkt.
Reformpädagogische Spasskultur, Bund, 11.5. von Hans-Jürgen Bandelt et al.
Durch Kompetenzerlebnisse soll er
Spass haben an dem, was er fremdbestimmt tut. Frustration beim langen Ringen
mit einem Lerngegenstand und Freude über das Verstehen sind nicht mehr
vorgesehen. Dem freudlosen Business angepasst ist das Beatenberger Lernatelier
mit seiner Grossraumbüroatmosphäre. Der Lernvertrag muss erfüllt und im
Portfolio ausgewiesen werden. Die Schüler messen sich nicht mit anderen,
sondern nur mit sich selber: Bei der Arbeit mit Kompetenzrastern sollen sie
ihre Entwicklungsverläufe verfolgen. Sie werden angespornt, besser zu werden –
aber nie sind sie gut. Und sie werden nie fertig mit ihrem lebenslangen
Fitnessprojekt. «Die Innenorientierung macht den permanenten Vergleich mit
anderen überflüssig» und belässt sie in der «Hölle des Gleichen» (Byung-Chul
Han).
Ein untaugliches Modell
Die Beatenberger Lebensumstände kompensieren bei
Rundumbetreuung das kalte Arrangement der Schülerportfolios. Der herzliche
Umgang wird teuer bezahlt. Das Modell taugt nicht für das öffentliche inklusive
Schulsystem: Die Billigversion muss auf digitale Unterstützung durch Tablets
setzen, wie bereits in Deutschland angedacht wird. Die Ideologie der Inklusion
verbietet den Leistungsvergleich der Schüler untereinander. Der Vergleich setzt
jedoch punktgenau bei Eintritt ins Berufsleben ein und sortiert die heimlichen
Schulversager knallhart aus.
Baden-Württemberg suchte nach den Wahlen zum 15.
Landtag nach einem Messias für die weitere Umgestaltung der durch die
Kompetenzorientierung darbenden Bildungslandschaften. Die aufgegriffenen
Konzepte der Privatunternehmer Fratton und Müller liessen das Land für ein
Jahrfünft zu einer Hochburg reformpädagogischer Geistespflege werden. 2012 war
das Landesinstitut für Schulentwicklung in Stuttgart bereits mit
Kompetenzrastern dem Lernen auf der Spur, einem Leitmotiv von Andreas Müller.
Dieser pädagogische Irrweg wurde schon in der FAZ vom 10. Mai 2013 von Matthias
Burchardt und Jochen Krautz scharf kritisiert.
Dem zum Trotze reflektieren nun
in buchhalterischer Manier die Schüler in Baden-Württemberg ihre Stärken und
tragen diese in Blütenbilder ein, statt in Hausaufgaben Rechnen und Schreiben
einzuüben. Im Laufe der Jahre merken auch die Dümmsten, dass die Nebensitzerin
ein viel besseres Portfolio hat als sie selbst: Was soll man preisen, wenn man
keine Stärken hat? Der Stress der Selbstreflexion ist grösser als eine Note 4.
Aber so beginnen sie, sich beizeiten als unternehmerisches Selbst zu
inszenieren und zu verwalten. So wie der Lernbegleiter und Coach sie nur
verwaltet und nicht erzieht. Der frontal unterrichtende Lehrer vergangener Tage
ist passé und wird als Teilzeitbeschäftigter diffamiert. Die Erziehung besorgen
jetzt vorgefertigte Arbeitsblätter oder Lernprogramme auf dem Tablet. Das alte
reformpädagogische Motto «vom Kinde aus» bekommt einen neuen digitalen Spin.
Aller Kompetenzprosa und Rasterung zum Trotz erscheinen die Abiturienten an der
Hochschulpforte zunehmend inkompetenter: des Rechnens und des Schreibens nicht
recht fähig. Groteske Lücken an Wissen und Können tun sich auf. Andreas Müller
jedoch predigt: «Wer nur Mathematik unterrichtet, wird den Schülern nicht gerecht.
Der fachliche Erfolg ist das Ergebnis mentaler, sozialer und körperlicher
Fitness.» Nur – solches Fitnesstraining lehrt keine Mathematik begreifen und
ersetzt kein Bildungsgeschehen.
Hans-Jürgen Bandelt ist Prof. i.R. für
Mathematik an der Universität Hamburg. Co-Autoren sind Dr. Hans Peter Klein,
Prof. für Didaktik der Biowissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt,
Dr.Wolfgang Kühnel, Prof. i.R. für Mathematik an der Universität
Stuttgart,sowie Dr.h. c. Franz Lemmermeyer, Gymnasiallehrer für Mathematik in
Ellwangen.
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