In zehn Tagen stimmen
Zürcherinnen und Zürcher über eine Volksinitiative ab, welche die Streichung
einer Fremdsprache in der Primarschule verlangt. Das Bild, das die Initianten
vom Fremdsprachenunterricht zeichnen, ist düster. Angeblich lernen die Kinder kaum
etwas, sind desinteressiert und überfordert. In wenigen Wochen hätten sie den
Primarschulstoff in der Sekundarschule nachgeholt, heisst es. Speziell in
Französisch, das in Zürich ab der 5. Klasse im Stundenplan steht, ist der
Lernerfolg gemäss den Initianten desolat.
Französisch als Abenteuer, Tages Anzeiger, 11.5. von Daniel Schneebeli
Dass dies nicht in allen
Schulzimmern zutrifft, zeigt ein Beispiel aus Eglisau. In der 6. Klasse von
Markus Bleiker steht an diesem Morgen das Perfekt, also das «passé composé»,
auf dem Programm. Bleiker spricht vor: «J’ai regardé», die Klasse spricht im
Chor nach, dann folgt Schülerin Joséphine, sie spricht daheim Französisch: «Ils
ont entendu», die Klasse wiederholt. Dann werden Würfel verteilt, eine Zwei
bedeutet zweite Person Einzahl. «Tu as changé», sagt Schüler eins, «du hast
gewechselt», übersetzt Schüler zwei. Dann folgen in den Zweiergruppen
Sprechübungen aus «Envol», dem Schulbuch.
«J’aime faire la
cuisine»
Die Atmosphäre ist
konzentriert, keine Spur von Larifari, womöglich hilft die Anwesenheit von
Fotograf, Videojournalistin und Journalist, aber nicht nur. Denn die Eglisauer
Sechstklässler haben ein Ziel: Nächste Woche reisen sie nach Aarburg ins
Klassenlager und treffen dort erstmals ihre Partnerklasse aus Salvan oberhalb
Martigny. Seit vielen Wochen haben die Eglisauer Kinder das Zusammentreffen
vorbereitet, ebenso die Walliser Kinder von Lehrerin Laurianne Denis. Sie haben
sich Briefe geschrieben über ihre Hobbys, ihre Lieblingsfächer, ihre
Zukunftspläne, und sie haben sich Fotos geschickt, von ihren Katzen oder
Kaninchen. «Ma chère Eve, j’aime aussi faire la
cuisine, comme toi! Qu’est-ce que tu veux travailler plus tard?», schreibt zum
Beispiel Lara.
Markus Bleiker weiss aus
über 20-jähriger Erfahrung, dass ein Austausch die Schüler fürs Französisch
motiviert. «Die Kinder erleben, dass sie die neue Sprache nicht vergebens
büffeln.» Der Klassenaustausch geht bei ihm über das gemeinsame Klassenlager
hinaus. Vor den Sommerferien wird er mit der Klasse für eine Woche nach Salvan
ins Unterwallis fahren. Dort werden die Kinder teilweise bei ihren
Brieffreunden wohnen und vor allem mit ihnen zur Schule gehen.
Bleiker hat mehrfach
erlebt, dass in Austauschwochen richtige Freundschaften zwischen den Kindern
und sogar zwischen deren Familien entstanden sind. «Ich kenne ehemalige
Schüler, die fahren bis heute nach Salvan in die Skiferien.» Für ihn sind
Austauschprogramme der Schlüssel für ein erfolgreiches Fremdsprachenlernen in
der Primarschule. Gleichzeitig verhehlt er nicht, dass der Aufwand für die
Lehrer beträchtlich ist. Aber: «Der Einsatz zahlt sich immer aus.»
Dass jetzt eine
Fremdsprache in der Primarschule gestrichen werden soll, kann der Eglisauer
Lehrer nicht verstehen. Es sei zwar richtig, dass schwache Schüler mit dem
Lernen von Französisch und Englisch Mühe hätten, doch viele Schüler würden vom
parallelen Erwerb zweier Sprachen profitieren. Er könne auch nicht sagen, dass
fremdsprachige Kinder mehr Mühe hätten. In seiner Klasse hat die Hälfte ein
mehrsprachiges Elternhaus. Für Bleiker ist klar: «Unser Fremdsprachenunterricht
in der Primarschule ist nicht nutzlos.» Bei Schulbesuchen in der 3.
Sekundarschule hat er gesehen, wie gut seine ehemaligen Schüler Französisch
sprechen. «Ein solches Niveau haben wir früher nicht erreicht.»
Unklare Folgen
Für Bleiker erscheint es
auch noch aus einem anderen Grund sinnvoll, in der Primarschule mit dem
Fremdsprachenlernen zu beginnen. «Die Kinder haben noch keine Angst,
Französisch oder Englisch zu sprechen. Sie sind unbeschwert und reden meist
drauflos. Und sie sind stolz, wenn sie Französisch oder Englisch sprechen
können.» Später in der Sekundarschule, das hat er auch bei seinen Ex-Schülern
festgestellt, sinke manchmal die Motivation fürs Französisch häufig, weil es im
Unterricht schnell schwieriger werde.
An der Initiative stören
Bleiker die unabsehbaren Folgen. Unklar ist vor allem, welche Sprache dann am
Ende wegfallen würde. Für ihn wäre es ein grosser Fehler, wenn man Französisch
streichen würde, «eine Sprache, die wir im eigenen Land lernen und anwenden
können. Die Schülerinnen und Schüler können erfahren, dass es sich lohnt, eine
andere Sprache zu lernen.» Bleiker ist sich bewusst, dass die Meinungen in der
Lehrerschaft darüber geteilt sind.
Schülerin als
Assistentin
Inzwischen sind die
Schüler daran, in Zweiergruppen Dialoge aus «Envol» nachzusprechen, die übers
Laptop vorgesprochen werden. Die Aufgabe ist anspruchsvoll, es geht um einen
Einbrecher, der auf frischer Tat ertappt wird, und die Vorsprecher reden in
flottem Tempo. Die einen verstehen offensichtlich nicht ganz alles, was gesagt
wird. Bei anderen tönt das Nachsprechen schon ziemlich fliessend.
Und was tut Joséphine,
die schon Französisch kann? Im mündlichen Unterricht wird sie von Markus
Bleiker hie und da als Hilfslehrerin eingesetzt. Zudem durfte sie als «Spionin»
für zwei Wochen nach Salvan fahren und dort bei Laurianne Denis den Unterricht
besuchen. Aber nutzlos sei der Französischunterricht in Eglisau auch für sie
nicht, sagt Joséphine. Im Schreiben müsse sie noch einiges lernen.
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