14. Mai 2017

Klassenaustausch als Erfolgsrezept für Frühfranzösisch

In zehn Tagen stimmen Zürcherinnen und Zürcher über eine Volksinitiative ab, welche die Streichung einer Fremdsprache in der Primarschule verlangt. Das Bild, das die Initianten vom Fremdsprachenunterricht zeichnen, ist düster. Angeblich lernen die Kinder kaum etwas, sind desinteressiert und überfordert. In wenigen Wochen hätten sie den Primarschulstoff in der Sekundarschule nachgeholt, heisst es. Speziell in Französisch, das in Zürich ab der 5. Klasse im Stundenplan steht, ist der Lernerfolg gemäss den Initianten desolat.
Französisch als Abenteuer, Tages Anzeiger, 11.5. von Daniel Schneebeli


Dass dies nicht in allen Schulzimmern zutrifft, zeigt ein Beispiel aus Eglisau. In der 6. Klasse von Markus Bleiker steht an diesem Morgen das Perfekt, also das «passé composé», auf dem Programm. Bleiker spricht vor: «J’ai regardé», die Klasse spricht im Chor nach, dann folgt Schülerin Joséphine, sie spricht daheim Französisch: «Ils ont entendu», die Klasse wiederholt. Dann werden Würfel verteilt, eine Zwei bedeutet zweite Person Einzahl. «Tu as changé», sagt Schüler eins, «du hast gewechselt», übersetzt Schüler zwei. Dann folgen in den Zweiergruppen Sprechübungen aus «Envol», dem Schulbuch.

«J’aime faire la cuisine»
Die Atmosphäre ist konzentriert, keine Spur von Larifari, womöglich hilft die Anwesenheit von Fotograf, Videojournalistin und Journalist, aber nicht nur. Denn die Eglisauer Sechstklässler haben ein Ziel: Nächste Woche reisen sie nach Aarburg ins Klassenlager und treffen dort erstmals ihre Partnerklasse aus Salvan oberhalb Martigny. Seit vielen Wochen haben die Eglisauer Kinder das Zusammentreffen vorbereitet, ebenso die Walliser Kinder von Lehrerin Laurianne Denis. Sie haben sich Briefe geschrieben über ihre Hobbys, ihre Lieblingsfächer, ihre Zukunftspläne, und sie haben sich Fotos geschickt, von ihren Katzen oder Kaninchen. «Ma chère Eve, j’aime aussi faire la cuisine, comme toi! Qu’est-ce que tu veux travailler plus tard?», schreibt zum Beispiel Lara.

Markus Bleiker weiss aus über 20-jähriger Erfahrung, dass ein Austausch die Schüler fürs Französisch motiviert. «Die Kinder erleben, dass sie die neue Sprache nicht vergebens büffeln.» Der Klassenaustausch geht bei ihm über das gemeinsame Klassenlager hinaus. Vor den Sommerferien wird er mit der Klasse für eine Woche nach Salvan ins Unterwallis fahren. Dort werden die Kinder teilweise bei ihren Brieffreunden wohnen und vor allem mit ihnen zur Schule gehen.

Bleiker hat mehrfach erlebt, dass in Austauschwochen richtige Freundschaften zwischen den Kindern und sogar zwischen deren Familien entstanden sind. «Ich kenne ehemalige Schüler, die fahren bis heute nach Salvan in die Skiferien.» Für ihn sind Austauschprogramme der Schlüssel für ein erfolgreiches Fremdsprachenlernen in der Primarschule. Gleichzeitig verhehlt er nicht, dass der Aufwand für die Lehrer beträchtlich ist. Aber: «Der Einsatz zahlt sich immer aus.»

Dass jetzt eine Fremdsprache in der Primarschule gestrichen werden soll, kann der Eglisauer Lehrer nicht verstehen. Es sei zwar richtig, dass schwache Schüler mit dem Lernen von Französisch und Englisch Mühe hätten, doch viele Schüler würden vom parallelen Erwerb zweier Sprachen profitieren. Er könne auch nicht sagen, dass fremdsprachige Kinder mehr Mühe hätten. In seiner Klasse hat die Hälfte ein mehrsprachiges Elternhaus. Für Bleiker ist klar: «Unser Fremdsprachenunterricht in der Primarschule ist nicht nutzlos.» Bei Schulbesuchen in der 3. Sekundarschule hat er gesehen, wie gut seine ehemaligen Schüler Französisch sprechen. «Ein solches Niveau haben wir früher nicht erreicht.»

Unklare Folgen
Für Bleiker erscheint es auch noch aus einem anderen Grund sinnvoll, in der Primarschule mit dem Fremdsprachenlernen zu beginnen. «Die Kinder haben noch keine Angst, Französisch oder Englisch zu sprechen. Sie sind unbeschwert und reden meist drauflos. Und sie sind stolz, wenn sie Französisch oder Englisch sprechen können.» Später in der Sekundarschule, das hat er auch bei seinen Ex-Schülern festgestellt, sinke manchmal die Motivation fürs Französisch häufig, weil es im Unterricht schnell schwieriger werde.
An der Initiative stören Bleiker die unabsehbaren Folgen. Unklar ist vor allem, welche Sprache dann am Ende wegfallen würde. Für ihn wäre es ein grosser Fehler, wenn man Französisch streichen würde, «eine Sprache, die wir im eigenen Land lernen und ­anwenden können. Die Schülerinnen und Schüler können erfahren, dass es sich lohnt, eine andere Sprache zu lernen.» Bleiker ist sich bewusst, dass die Meinungen in der Lehrerschaft darüber geteilt sind.

Schülerin als Assistentin
Inzwischen sind die Schüler daran, in Zweiergruppen Dialoge aus «Envol» nachzusprechen, die übers Laptop vorgesprochen werden. Die Aufgabe ist anspruchsvoll, es geht um einen Einbrecher, der auf frischer Tat ertappt wird, und die Vorsprecher reden in flottem Tempo. Die einen verstehen offensichtlich nicht ganz alles, was gesagt wird. Bei anderen tönt das Nachsprechen schon ziemlich fliessend.

Und was tut Joséphine, die schon Französisch kann? Im mündlichen Unterricht wird sie von Markus Bleiker hie und da als Hilfslehrerin eingesetzt. Zudem durfte sie als «Spionin» für zwei Wochen nach Salvan fahren und dort bei Laurianne Denis den Unterricht besuchen. Aber nutzlos sei der Französischunterricht in Eglisau auch für sie nicht, sagt Joséphine. Im Schreiben müsse sie noch einiges lernen.


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