Zwei
Fremdsprachen in der Primarschule zu lernen, bringe nichts, ja schade sogar,
sagen Forscher. Ihre Einwände werden von den Bildungspolitikern
ignoriert.
Politik statt Verstand, Weltwoche, 11.5. von Daniela Niederberger
Im
zürcherischen Meilen fand in den siebziger Jahren ein Schulversuch mit
Frühfranzösisch ab der vierten Klasse statt. Ein damaliger Schüler sagt heute:
«Im Gymi dachte ich: ‹Das kann ich.› Aber nach wenigen Wochen merkte man nichts
mehr von einem Vorsprung.» Dasselbe hat die Sprachforscherin Simone Pfenninger
festgestellt. In einer Langzeitstudie verglich sie zwei Gruppen von
Gymnasiasten. Die einen hatten früh mit Englisch begonnen, die anderen spät.
Das Resultat: Die Spätlernenden holten die Frühlernenden nach kurzer Zeit ein.
Und doch
sagen Politiker, wie etwa jüngst im Kanton Thurgau, es gebe «gemäss derzeitigem
wissenschaftlichem Forschungsstand keine Evidenz für oder gegen das derzeitige
Sprachenmodell». Oder Stefan Wolter, ehemaliger Präsident der Schweizerischen
Gesellschaft für Bildungsforschung: «Wer den Unterricht einer zweiten
Fremdsprache aus der Primarschule verbannen will, kann dies nicht mit
wissenschaftlicher Forschung begründen.»
Urs
Kalberer, Sekundarlehrer und Sprachdidaktiker, sagt: «Diese Aussage ist
unzulässig, aber es korrigiert ihn niemand.» Nun muss man wissen, dass die
Erziehungsdirektorenkonferenz und der Bund über die Schweizerische
Koordinationskonferenz Bildungsforschung (Coreched) in Dänemark eine Studie zum
Fremdsprachenerwerb in Auftrag gaben. Die dänischen Forscher nahmen sich
bestehende Studien vor, der Grossteil von ihnen stammt aus Spanien.
Darin
geht es um Schüler, die bereits bilingual sind, also Spanisch und Baskisch
können. Man untersuchte, welche Faktoren das Erlernen einer Drittsprache
beeinflussen. Kalberer kritisiert: «Diese Fragestellung betrifft uns in der
Schweiz nicht. Bei uns geht es ums Alter. Und bilingualen Unterricht haben wir
ja gar nicht.» Die Altersfrage wird in der dänischen Studie nur am Rande betrachtet,
und da heisst es, dass ältere Schüler eine Fremdsprache besser und schneller
lernen.
Die
Studie von Pfenninger fand nicht Eingang in die Auftragsstudie der Schweiz. Sie
sei qualitativ ungenügend, hiess es. Dabei hatte die Universität Zürich der
Autorin dafür die Habilitation verliehen. «Es geht rein nur um Politik», sagt
Kalberer.
Interessante
Daten kommen auch aus der Innerschweiz: Bloss ein Drittel der Schüler erreicht
am Ende der sechsten Klasse im Fach Französisch die Lehrplanziele in den
Bereichen Hören, Schreiben und Sprechen.
Die
meisten sind überfordert
Jetzt
schaltet sich der prominente Kinderarzt Remo Largo («Babyjahre») in die Debatte
ein. Zwei Fremdsprachen in der Primarschule, sagt er, das «bringt nichts. Es
kann sogar schaden.» Man rede bloss über Politik. Über die Betroffenen, die
Kinder, rede man nicht. «Das erbittert mich.» Man rede auch nicht darüber, wie
Kinder Sprache erwerben. Nicht mit Wörtli-Lernen und Grammatik. «Analytisch dem
Kind vor der Pubertät Sprache beibringen geht nicht», sagte er an einer
Podiumsveranstaltung in Winterthur.
Unterstützt
wurde er vom Elgger Sekundarlehrer Christoph Ziegler, der seit 25 Jahren
Deutsch, Englisch und Französisch unterrichtet, davon rund zehn Jahre ohne
Frühfremdsprachen. Er sagt: «Was die Schüler aus der Primarschule mitbringen,
ist sehr, sehr, sehr dürftig.» Umgekehrt gehe in der Oberstufe in Französisch
«relativ schnell relativ viel». Für viele Kinder – von den vifsten abgesehen –
seien zwei Fremdsprachen eine Überforderung. Es sei eben nicht so, dass diese
in der Primarschule «nur spielerisch» gelernt würden.
Eine
langjährige Primarlehrerin, die Englisch ab der zweiten Klasse unterrichtet,
sagt, das Lehrmittel sei so aufgebaut, dass man schon von Anfang an schreibe.
Für Kinder, die Ende der ersten Klasse noch nicht gut lesen und schreiben
können, sei das eine zusätzliche Anforderung.
Ab der
vierten Klasse gehe es dann «rassig fürschi», mit «happigen Satzkonstruktionen»
und einem hochkomplizierten Wortschatz.
Erst
einmal richtig Deutsch zu lernen, das wäre in den Augen der Lehrer wichtig. Und
für die Fremdsprachen hat Largo eine Idee: gemeinsame Lager mit welschen
Schülern.
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