Ein Beschluss des Bildungsrates des Kantons Zürich vom vergangenen
November liess all jene aufhorchen, die sich um die mehrsprachige Schweiz seit
geraumer Zeit Sorgen machen. Nachdem das Französisch 2012 als Fach für die
Aufnahmeprüfung in die Kurzzeitgymnasien auf 20 Prozent (neben Deutsch und
Mathematik mit je 40 Prozent) reduziert worden ist, wird es 2019 ganz aus dem
Kanon der geprüften Fächer verschwinden.
Vielleicht exisitiert die Schweiz (noch) gar nicht? NZZ, 1.3. Gastkommentar von Marco Baschera
Das Argument des Bildungsrates, gemäss welchem der personelle und
zeitliche Aufwand für das «relativ geringe Gewicht» unverhältnismässig gross
sei, ist mehr als fragwürdig. Es lässt den Entscheid von 2012 als eine bereits
damals kalkulierte Massnahme in Hinblick auf die jetzige Abschaffung
erscheinen. Zudem richtet sich die Argumentation des Bildungsrates nur auf den
Aussagewert für die kommende Probezeit im Gymnasium und nicht auf den
Stellenwert, den ein Fach während der Sekundarschulzeit einnimmt, wenn es in
der Aufnahmeprüfung als gewichtiges Prüfungsfach auftritt.
Dass Französisch nun mit einem Anteil von einem Sechstel in die
Vorleistungsnote einbezogen wird, vermag den Prestigeverlust dieses Faches in
keiner Weise aufzuwiegen. Dieser Entscheid des Bildungsrates fällt in eine
Zeit, in der die staatspolitische Bedeutung der Landessprachen immer mehr unter
Druck gerät. Dabei wäre es gerade Aufgabe der Behörden und ihrer ausübenden
Organe, diesem mächtigen gesellschaftlichen Trend entschieden entgegenzutreten.
Dieser Trend ist beileibe nicht nur ein schweizerisches Phänomen. Er
stellt immer mehr die Bedeutung der Nationalsprachen als ein Fundus des seit
der Aufklärung gewachsenen demokratischen Staates grundlegend infrage. Hannah
Arendt vermerkt in ihrem «Denktagebuch» von 1950 zur Frage, was Politik sei,
Folgendes: «Politik beruht auf der Tatsache der Pluralität der Menschen», sie
handle «von dem Zusammen- und Miteinandersein der Verschiedenen».
Der Schutz der Verschiedenheit der Menschen, der die Aufgabe eines
demokratischen Staates ist, wird unter anderem durch Gesetze ermöglicht, die in
einer präzisen, für alle verständlichen Sprache formuliert und ausgelegt sein
müssen. Sie vermitteln die Verschiedenheit mit dem Anspruch auf gleiches Recht
für alle. Ebenso verweist etwa der Begriff des Parlaments auf das Sprechen
(franz. «parler»). Jede Sprache hat aber einen ihr eigenen Zugang zu den
grundlegenden Elementen des demokratischen Staates. Diese Einsicht beruht
ebenfalls auf der Tatsache der Pluralität der Menschen. Mit anderen Worten: Die
Inhalte einer demokratischen Politik existieren nicht für sich, sondern treten
immer nur in Form einer ganz bestimmten, gepflegten Nationalsprache auf. Und
eine ihres Namens würdige internationale Politik müsste im gegenseitigen
Respekt versuchen, zwischen diesen verschiedenen Sprachen und Konzepten zu
vermitteln. Dazu ist die Übersetzung ein unabdingbares Instrument.
Nur eine grob vereinfachende Sicht auf diese Probleme kann die
Verschiedenheit der Nationalsprachen als ein Hindernis erachten. Sie gibt vor,
die Sprachen seien wie Computer allesamt Instrumente, die dazu dienten, einen
jeweils gleichen Inhalt weltweit auszudrücken. Darum liesse sich dieses Gleiche
auch in nur einer Sprache, dem globalisierten Englisch – kurz «Globisch» –
sagen. Als Konsequenz davon setzt sich immer mehr die Vorstellung durch,
Sprachgrenzen seien auch mittels technologischer Hilfsmittel zu überwinden und
man müsse daher andere Sprachen nicht mehr mühsam lernen. Dadurch ist die
Pluralität der Menschen, die vor allem auch eine Pluralität der Sprachen ist,
grundlegend bedroht.
Für eine mehrsprachige Nation wie die Schweiz stellt diese
globalisierte, vereinfachende Sicht eine grosse Gefahr dar. Seit die grösseren
Firmen, die Wissenschaften und mit ihnen die Hochschulen sowie grosse Teile der
Jugendkultur immer mehr zum «Globisch» übergehen, nimmt das Interesse an den
anderen Landessprachen stark ab. Was bleibt, ist der oft leere, inflationäre
Gebrauch nationaler Symbole, wie etwa des Schweizerkreuzes. Die sogenannte
Swissness ist ein seelenloser, rein pragmatischer, wirtschaftlicher Begriff.
Dadurch gibt die Schweiz leichtsinnig einen Trumpf aus der Hand, nämlich jenen
eines differenzierten, mehrsprachigen Denkens und Zugangs zur Realität.
Diese hier angesprochenen Probleme lassen sich wohl weder durch
Schulreformen noch durch einen noch besseren Fremdsprachenunterricht lösen. Sie
sind Ausdruck einer stillschweigenden, jedoch rasant voranschreitenden
gesellschaftlichen Veränderung im Bereich der Beziehung von Sprache und Denken,
die immer mehr von einem sehr problematischen, maschinenartigen Duktus geprägt
wird.
Marco Baschera ist Titularprofessor an der Universität Zürich,
Gymnasiallehrer und Mitglied des Stiftungsrates der Oertli-Stiftung.
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