Ostermundiger Lehrkräfte
haben genug. In einem offenen Brief an den kantonalen Bildungsdirektor Bernhard
Pulver (Grüne) fordern sie eine Erhöhung der Stellenprozente auf 150 Prozent an
Kindergarten- und Unterstufenklassen – was einem Teamteaching entspräche. Rund
400 Lehrpersonen haben den Brief unterschrieben. Er soll am Freitag überreicht
werden.
Lehrer wollen nicht mehr alleine unterrichten, Bund, 16.3. von Naomi Jones
Seit
Inkrafttreten des Integrationsartikels sei der Alltag in der Schule viel
komplexer geworden, schreiben die Lehrkräfte. Spezialunterricht und
Sondermassnahmen genügten nicht. Es sei nicht mehr gewährleistet, dass jedes
Kind die verdiente Zuwendung der Lehrperson erhalte. Viele Kinder seien
verhaltensauffällig, sie störten den normalen Betrieb, hätten Wutanfälle oder
rennten einfach davon, wenn es ihnen nicht passe, sagt Mitinitiantin Annemarie
Müllener von der Schule Rüti. «Wir wollen und müssen jedes Kind integrieren.»
Doch
reichten dazu die bewilligten Zusatzlektionen oft nicht aus. Denn für eine
gelingende Integration sei eine tragende Beziehung zwischen Lehrkraft und Kind
nötig, die sich nicht in drei Lektionen Spezialunterricht pro Woche aufbauen lasse.
Zudem käme die angepasste und problemlose Mehrheit der Kinder zu kurz, da die
schwierigen die Aufmerksamkeit der Lehrkraft absorbierten. «Es ist unmöglich,
in schwierigen Situationen allein allen Kindern gerecht zu werden und den
Lehrauftrag zu erfüllen.» Mit dem Alleinsein spricht Müllener aber auch den
Wunsch nach intensiverem Austausch an.
Denn
heute sind Lehrer und Lehrerinnen vor allem Einzelkämpfer. Das Teamteaching
würde die Lehrkräfte insofern auch vom psychischen Druck der
Alleinverantwortung entlasten und vor Burn-out-Situationen bewahren. Seit dem
Sommer 2010 gilt für die Volksschule im Kanton Bern, dass Kinder mit speziellen
Bedürfnissen in die Regelklassen integriert werden sollen. Zu den Kindern mit
speziellen Bedürfnissen gehören verhaltensauffällige Kinder ebenso wie schwer
behinderte. Die Gemeinden erhalten ein bestimmtes Kontingent an Jahreslektionen
zugeteilt, die für unterstützenden Unterricht eingesetzt werden können.
Auch Könizer Lehrer
ächzen
Die
Ostermundiger Lehrkräfte sind mit ihrer Forderung nicht allein. Mit
Inkrafttreten des Integrationsartikels schickten 200 Könizer Lehrkräfte einen
ähnlichen Brief an Pulver. Auch sie forderten eine Erhöhung der Stellenprozente
für Teamteaching in Kindergarten und Unterstufe. Was ist seither geschehen?
«Nicht viel», sagt eine Lehrperson, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen
möchte. Es seien unter dem Spardruck sogar Zusatzlektionen für den
Halbklassenunterricht bei Mehrjahresklassen gestrichen worden.
Eine
direkte Wirkung habe der Brief nicht gehabt, bestätigt auch Markus Keel,
Schulleiter der Schule Spiegel. Allerdings seien in der Zwischenzeit die
sogenannten SOS-Lektionen und die Kindergartenhilfe eingeführt worden. Und
Konrad Tschirren, Leiter der Schulhäuser Wandermatte und Dorf in Wabern, räumt
ein, dass zumindest in den neuen Basisstufen 150 Stellenprozente pro Klasse
vorgesehen seien. «Wir können das Teamteaching erwirken, indem wir Basisstufen
einführen.»
Pulver verweist auf
SOS-Stunden
Erziehungsdirektor
Pulver widerspricht. Seien Erachtens sei in der Zwischenzeit «keinesfalls nicht
viel» passiert, sagt er auf Anfrage. Zwar sei die flächendeckende Besetzung im
Teamteaching angesichts der Finanzlage und der politischen Mehrheiten keine
realistische Forderung. Doch verweist auch Pulver auf die SOS-Lektionen, die
bei schwierigen Klassensituationen beantragt werden können. Je nach
Klassengrösse haben die Schulen Zusatzlektionen zugute. Für Klassen mit vielen
fremdsprachigen Kindern gibt es spezielle Deutschkurse.
Die
Erziehungsdirektion versuche dort, wo es Probleme gebe, rasch und
unbürokratisch Entlastung zu schaffen. «Das Giesskannenprinzip ist weder
finanzierbar noch in jedem Fall die beste Lösung», sagt Pulver.
Die
Ostermundiger Lehrkräfte geben sich kämpferisch. Sie fordern von Pulver
konkrete Schritte im nächsten Schuljahr und wollen sich nicht mit einem
verständnisvollen Antwortschreiben abspeisen lassen. Sie hätten sich von der
Gewerkschaft Bildung Bern beraten lassen und dächten bereits über nächste
Schritte nach, sagt Annemarie Müllener. «Wir können nämlich nicht mehr den
Beruf ausüben, den wir gelernt haben.»
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