16. März 2017

Berner Lehrer fordern mehr Stellenprozente wegen Integration

Ostermundiger Lehrkräfte haben genug. In einem offenen Brief an den kantonalen Bildungsdirektor Bernhard Pulver (Grüne) fordern sie eine Erhöhung der Stellenprozente auf 150 Prozent an Kindergarten- und Unterstufenklassen – was einem Teamteaching entspräche. Rund 400 Lehrpersonen haben den Brief unterschrieben. Er soll am Freitag überreicht werden.
Lehrer wollen nicht mehr alleine unterrichten, Bund, 16.3. von Naomi Jones


Seit Inkrafttreten des Integrationsartikels sei der Alltag in der Schule viel komplexer geworden, schreiben die Lehrkräfte. Spezialunterricht und Sondermassnahmen genügten nicht. Es sei nicht mehr gewährleistet, dass jedes Kind die verdiente Zuwendung der Lehrperson erhalte. Viele Kinder seien verhaltensauffällig, sie störten den normalen Betrieb, hätten Wutanfälle oder rennten einfach davon, wenn es ihnen nicht passe, sagt Mitinitiantin Annemarie Müllener von der Schule Rüti. «Wir wollen und müssen jedes Kind integrieren.»
Doch reichten dazu die bewilligten Zusatzlektionen oft nicht aus. Denn für eine gelingende Integration sei eine tragende Beziehung zwischen Lehrkraft und Kind nötig, die sich nicht in drei Lektionen Spezialunterricht pro Woche aufbauen lasse. Zudem käme die angepasste und problemlose Mehrheit der Kinder zu kurz, da die schwierigen die Aufmerksamkeit der Lehrkraft absorbierten. «Es ist unmöglich, in schwierigen Situationen allein allen Kindern gerecht zu werden und den Lehrauftrag zu erfüllen.» Mit dem Alleinsein spricht Müllener aber auch den Wunsch nach intensiverem Austausch an.

Denn heute sind Lehrer und Lehrerinnen vor allem Einzelkämpfer. Das Teamteaching würde die Lehrkräfte insofern auch vom psychischen Druck der Alleinverantwortung entlasten und vor Burn-out-Situationen bewahren. Seit dem Sommer 2010 gilt für die Volksschule im Kanton Bern, dass Kinder mit speziellen Bedürfnissen in die Regelklassen integriert werden sollen. Zu den Kindern mit speziellen Bedürfnissen gehören verhaltensauffällige Kinder ebenso wie schwer behinderte. Die Gemeinden erhalten ein bestimmtes Kontingent an Jahreslektionen zugeteilt, die für unterstützenden Unterricht eingesetzt werden können.

Auch Könizer Lehrer ächzen
Die Ostermundiger Lehrkräfte sind mit ihrer Forderung nicht allein. Mit Inkrafttreten des Integrationsartikels schickten 200 Könizer Lehrkräfte einen ähnlichen Brief an Pulver. Auch sie forderten eine Erhöhung der Stellenprozente für Teamteaching in Kindergarten und Unterstufe. Was ist seither geschehen? «Nicht viel», sagt eine Lehrperson, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Es seien unter dem Spardruck sogar Zusatzlektionen für den Halbklassenunterricht bei Mehrjahresklassen gestrichen worden.

Eine direkte Wirkung habe der Brief nicht gehabt, bestätigt auch Markus Keel, Schulleiter der Schule Spiegel. Allerdings seien in der Zwischenzeit die sogenannten SOS-Lektionen und die Kindergartenhilfe eingeführt worden. Und Konrad Tschirren, Leiter der Schulhäuser Wandermatte und Dorf in Wabern, räumt ein, dass zumindest in den neuen Basisstufen 150 Stellenprozente pro Klasse vorgesehen seien. «Wir können das Teamteaching erwirken, indem wir Basisstufen einführen.»

Pulver verweist auf SOS-Stunden
Erziehungsdirektor Pulver widerspricht. Seien Erachtens sei in der Zwischenzeit «keinesfalls nicht viel» passiert, sagt er auf Anfrage. Zwar sei die flächendeckende Besetzung im Teamteaching angesichts der Finanzlage und der politischen Mehrheiten keine realistische Forderung. Doch verweist auch Pulver auf die SOS-Lektionen, die bei schwierigen Klassensituationen beantragt werden können. Je nach Klassengrösse haben die Schulen Zusatzlektionen zugute. Für Klassen mit vielen fremdsprachigen Kindern gibt es spezielle Deutschkurse.

Die Erziehungsdirektion versuche dort, wo es Probleme gebe, rasch und unbürokratisch Entlastung zu schaffen. «Das Giesskannenprinzip ist weder finanzierbar noch in jedem Fall die beste Lösung», sagt Pulver.

Die Ostermundiger Lehrkräfte geben sich kämpferisch. Sie fordern von Pulver konkrete Schritte im nächsten Schuljahr und wollen sich nicht mit einem verständnisvollen Antwortschreiben abspeisen lassen. Sie hätten sich von der Gewerkschaft Bildung Bern beraten lassen und dächten bereits über nächste Schritte nach, sagt Annemarie Müllener. «Wir können nämlich nicht mehr den Beruf ausüben, den wir gelernt haben.» 


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