In der
Diskussion um den frühen Fremdsprachenunterricht ist ein wichtiges Thema fast
ganz aus dem Blick geraten: die Frage nämlich, wie es eigentlich um die
Deutschkenntnisse unserer Jugendlichen steht. Sind sie sprachlich gerüstet für
den Eintritt ins Berufsleben, für die Wahrnehmung ihrer Rechte und Pflichten
als Bürgerinnen und Bürger der Schweiz? Eines Landes notabene, das ihnen durch
die direkte Demokratie sehr viele Mitsprachemöglichkeiten gibt?
Der sprachliche Schlendrian grassiert, St. Galler Tagblatt, 23.2. von Mario Andreotti
Im Jahre
2003 beteiligte sich die Schweiz an einer internationalen Studie der OECD, in
der die Grundkompetenzen in «Lesen» und «Mathematik» erhoben wurden. An der
Studie nahmen 5200 Personen zwischen 16 und 65 Jahren teil. Als 2006 die
Ergebnisse der Studie bekannt wurden, staunte man: Hochgerechnet konnte man
davon ausgehen, dass in der Schweiz etwa 800000 Erwachsene zwischen 16 und 65
Jahren, deren Muttersprache jeweils eine unserer vier Landessprachen ist,
grosse Mühe mit dem Lesen und Schreiben haben, das heisst, selbst einfache
Texte nicht verstehen und nicht schreiben können. Was das für das Schicksal
jedes einzelnen Betroffenen bedeutet, kann sich ausmalen, wer überlegt, welche
Rolle sprachliche Fähigkeiten in seinem eigenen Lebensalltag spielen.
Besonders
deutlich wird das Problem mangelnder Sprachkompetenz bei der
Lehrlingsausbildung, in den weiterführenden Schulen und Hochschulen.
Lehrmeister beklagen selten, dass ihre Lehrlinge zu wenig Englisch können,
sondern dass es ihnen vielmehr an grundlegenden Kenntnissen in Deutsch und
Mathematik fehle. Das ist umso bedeutungsvoller, als rund 60 Prozent aller
Berufe weder eine zweite Landessprache noch Englisch verlangen, mündliche und
schriftliche Deutschkenntnisse hingegen zum Berufsalltag der meisten Berufe
gehören und Voraussetzung für eine Weiterbildung sind. Hier steht die Schule in
der Pflicht: Es ist ein offenes Geheimnis, dass die andauernden Schulreformen
der letzten Jahrzehnte das Schwergewicht im Deutschunterricht zu wenig auf
gründliches Erlernen von Grammatik, Stilistik und Rechtschreibung gelegt haben.
Dieser unerfreuliche Zustand wird sich mit dem Lehrplan 21 nicht verbessern,
sondern im Gegenteil noch verfestigen. In unsern Schulen wird der
Deutschunterricht mit allen möglichen lebenskundlichen und politischen Themen
überfremdet, so dass für das Kerngeschäft, das Einüben von Sprachkompetenz,
kaum mehr Zeit bleibt. So sind Jugendliche mündlich oft bewandert, können sich
bestens präsentieren, aber schriftliche Texte, etwa Aufsätze oder Bewerbungen,
bekommen sie nur fehlerhaft hin.
Und die
Lehrkräfte? Als Examinator bei der Ergänzungsprüfung für den Hochschulzugang
habe ich immer wieder Einblick in korrigierte Aufsätze. Und immer wieder muss
ich feststel-len, dass so manche Lehrer zahlreiche Formfehler übersahen oder
zumindest ungeahndet liessen. Der Schlendrian scheint längst auch auf viele
Unterrichtende übergegriffen zu haben. Entweder beherrschen sie gewisse
Grammatikregeln selber nicht mehr oder fürchten, zu viel Rotstift könnte
Jugendliche in ihrer Kreativität hemmen.
Sprachpflege,
wie sie eine lange, bis ins 17. Jahrhundert zurückreichende Tradition hat, ist
heute verpönt. Und das im Zuge der Reformpädagogik auch in unsern Schulen, die
täglich mit und an der Sprache arbeiten sollten. Selbst unter Deutschlehrern
finden sich Leute, die Grammatik für einen vernachlässigbaren Aspekt ihres
Faches halten. Sie argumentieren dann gerne, Sprache sei ein Mittel der
Kommunikation und als solches halt dem Wandel unterworfen. Sprachverhunzung
wird dann nur allzu oft mit Sprachwandel verwechselt. Es ist schon fast eine
Binsenwahrheit: Formale Richtigkeit fördert das Denken. Verschiedene Verbformen
zu erkennen, eingeschobene Nebensätze durch Kommas zu trennen oder Eigennamen
gross zu schreiben, hat nichts mit langweiligem Pauken zu tun, sondern damit,
Strukturen der Sprache zu verstehen. Und das ist heute notwendiger denn je,
soll uns die Sprache als wichtigstes Werkzeug erhalten bleiben.
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