Die
Aargauer entscheiden am 12. Februar über eine Initiative, die im Lehrplan einen
verbindlichen Fächerkatalog verankern will. Das Establishment läuft Sturm
dagegen. Lehrer und Schulbehörden missbrauchen die Schüler für ihre politische
Propaganda.
Abstimmungskampf im Schulzimmer, Weltwoche, 9.2. von Philipp Gut
Was ist
eigentlich los im Kanton Aargau? Am 12. Februar kommt die Initiative «Ja zu
einer guten Bildung – Nein zum Lehrplan 21» zur Abstimmung. Das Volksbegehren
ist so klar und nüchtern wie das Zurzacher Mineralwasser. Es will den
Paragrafen 13 im Schulgesetz durch einen neuen Text ersetzen. Kernstück der
Novelle ist ein Fächerkatalog (Abs. 3).
Dazu
gehören in der Primarschule Sprache, Mathematik, Realien, Fremdsprache, Musik,
Ethik und Religion, bildnerisches Gestalten, textiles sowie allgemeines Werken
und Sport. In der Oberstufe enthält der Katalog Deutsch, Fremdsprachen,
Mathematik, Informatik, Physik, Chemie, Biologie, Geschichte, Geografie, Musik,
Ethik und Religion, bildnerisches Gestalten, textiles sowie allgemeines Werken,
Sport und Hauswirtschaft. Die bisherige Regelung ist allgemeiner gehalten, dort
werden bloss «Bereiche» aufgelistet wie Sprache, Mathematik und
Naturwissenschaften oder Kunst und Gestaltung.
Der
Katalog soll aber vor allem ein Bollwerk gegen den Lehrplan 21 sein, der im
Aargau erst in einigen Jahren eingeführt wird. Konkrete Fächer wie Geschichte
oder Geografie verschwinden im neuen Lehrplan, an ihre Stelle treten
Fachbereiche wie «Natur, Mensch, - Gesellschaft» und Unterfachbereiche wie
«Räume, Zeiten, Gesellschaften». Konkrete Lernziele werden durch Hunderte von
sogenannten Kompetenzen ersetzt.
Eine
zweite Änderung betrifft die Hoheit des Kantons in Bildungsfragen. Laut
bestehendem Gesetz «beachtet» der Regierungsrat «die interkantonale
Harmonisierung der Lehrpläne». Die Initiative will die Souveränität des Kantons
stärken und interkantonale Beschlüsse, etwa durch die Schweizerische Konferenz
der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK), demokratisch im Parlament verankern
(Abs. 4).
Schulleiter: «zwingende» Ablehnung
Das
klingt ganz vernünftig, dennoch ist im Aargau der Teufel los. Das gesamte
Establishment läuft Sturm gegen die Initiative. Gewerbeverband und
Handelskammer marschieren vereint mit den Gewerkschaften VPOD und Unia.
Schützenhilfe erhalten die Gegner von der behördennahen Aargauer Zeitung (AZ).
«Was für eine seltsame Abstimmung», mokierte sich der ehemalige AZ-Chefredaktor
Hans Fahrländer in seiner Kolumne. Und in einem Leitartikel warf das Blatt den
Initianten einen «ideologischen Kampf» vor, ihr Begehren sei «schädlich» und
käme die Steuerzahler «teuer zu stehen».
Dies
ist inhaltlich natürlich anfechtbar, aber legitim. Mit Verwunderung nimmt man
allerdings zur Kenntnis, dass sich auch die Schulbehörden in den
Abstimmungskampf einmischen und die Schule für politische Betätigung
missbrauchen. Nachdem viele Lehrer schon im Dezember gestreikt hatten, um an
einer Demonstration der Gewerkschaften gegen den angeblichen Bildungsabbau
teilzunehmen («Demo statt Schule», Weltwoche Nr. 43/16), führen die Behörden
jetzt eine orchestrierte Kampagne gegen die Initiative. Auf Schulhöfen hängen
Plakate, die ein Nein fordern, gemäss Elternberichten haben Lehrer auch im
Unterricht kommentierend auf die Abstimmung hingewiesen, und in mehreren
Gemeinden gaben die Lehrer den Schülern Briefe mit Abstimmungsempfehlungen mit
nach Hause, als handelte es sich um eine Einladung zum Elternabend oder um eine
Orientierung über die neuste Läuseattacke.
Etwa
die Schule Lenzburg. Mit Datum vom 19. Januar 2017, exakt getimt auf die
entscheidende Phase des Abstimmungskampfs, schrieb Schulpflegepräsidentin
Susanne Buri an die «geschätzten Eltern», am 12. Februar werde über die
«Zukunft der Volksschule Aargau» und die «unserer Kinder» abgestimmt. Bei einem
Ja würde die Schule in ihrer Entwicklung in verschiedenen Punkten «empfindlich»
eingeschränkt. Der Aargau würde sich ins «bildungspolitische Abseits ma-
növrieren
und an Standortattraktivität verlieren». Und durch die Stärkung des Grossen
Rats würden weitere Reformen erschwert und «die Bildung zum Spielball von
weltanschaulichen und politischen Interessen gemacht».
Wie
bitte? Wer hausiert denn hier, indem er die Schüler ungeniert als Botenträger
instrumentalisiert, mit politischen Interessen? Tatsache ist doch vielmehr,
dass die staats- und demokratiepolitisch fragwürdige Quasigesetzgebung durch
die EDK mit einem Ja zur Initiative eingedämmt und die parlamentarische
Legitimität entsprechender Beschlüsse gestärkt würde.
Oder
die Schule Wallbach. In ihrem Brief, der neben Schulpflegepräsidentin Mirjam
Grey auch von Schulleiterin Judith Studer unterschrieben ist, steht
fettgedruckt: «Die Schulpflege und die Schulleitung von Wallbach empfehlen
diese Initiative dringend zur Ablehnung.» Am Ende des Briefs wird die Parole
nochmals wiederholt, nicht nur gefettet, sondern auch in doppelter
Schriftgrösse («Deshalb ein NEIN am 12. Februar 2017»).
Oder
die Gemeinde Arni. Dort empfehlen Schulpflegepräsidentin Barbara Möhrle und
Schulleiter Daniel Wieser die Initiative sogar «zwingend» zur Ablehnung.
Umstrittener Brief aus SVP-Departement
Die
Liste liesse sich verlängern. Dabei fällt auf, dass sich nicht nur die
Argumente ähneln, der Wortlaut der verschiedenen Briefe ist beinahe identisch.
Wie kommt das? Durch eine kleine Dokumentenanalyse lässt sich der ursprüngliche
Verfasser eruieren. Als «Autor» des Briefs ist ein gewisser Tobias Obrist
vermerkt. Dieser ist nicht einfach irgendwer: Er ist kantonaler Beamter und
arbeitet im Departement Bildung, Kultur und Sport (BKS) von Regierungsrat Alex
Hürzeler (SVP) in der Abteilung Volksschule. Dort ist er unter anderem für die
Umsetzung des Lehrplans 21 zuständig. Den von Obrist verfassten Brief übernahm
dann der Verband Schulleiterinnen und Schulleiter Kanton Aargau (VSLAG). Via
Lehrer und Schüler gelangte er schliesslich zu den Eltern.
Die
Initianten haben sich gegen diese Behördenpropaganda gewehrt, allerdings mit
wenig Resonanz. Dabei können sie sich auf Gesetz und Verfassung berufen. «Die
öffentlichen Schulen sind [. . .] politisch und konfessionell neutral»,
statuiert Paragraf 2 Abs. 2 des aargauischen Schulgesetzes. Und die
Bundesverfassung verpflichtet die Behörden, die freie Willensbildung der Bürger
zu schützen (Art. 34 Abs. 2), also etwa auch im Vorfeld von Abstimmungen
korrekt und zurückhaltend zu informieren.
Die
Weltwoche hakte bei Bildungsdirektor Alex Hürzeler nach. Pikanterweise hatte
dieser kürzlich eine bildungspolitische Plakatkampagne von Kantonsschülern auf
dem Schulgelände mit dem Hinweis auf den zitierten Paragrafen des Schulgesetzes
untersagt. Wird Hürzeler nun also auch die politische Propaganda der Lehrer,
der Schulen und seines eigenen Beamten unterbinden? Der SVP-Mann hatte nicht
den Mut, sich den Fragen dieser Zeitung direkt zu stellen. Durch die
Kommunikationsabteilung liess er ausrichten, das Departement sehe «keine
Veranlassung, den Schulen und ihren Behörden zur umstrittenen Volksinitiative
gegen den Lehrplan 21 Weisungen zu erteilen».
Weisungen
erteilen? Es geht ganz einfach darum, die politische Neutralität der Schule zu
gewährleisten.
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