9. Februar 2017

Motion fordert Stopp für neue Fremdsprachendidaktik

“Erst probieren, dann studieren und erst dann finanzieren”, so lautet die einschlägige Formel des Linguisten, Mehrsprachigkeitsforschers und Leiters des Instituts für Mehrsprachigkeit an der Universität Fribourg. Die vorliegenden Forschungen zeigen nun, dass die Frühfremdsprachen-Promotoren diesen Grundsatz sträflich missachtet haben. Die Folgen: Die Erfolge des millionenschweren, flächendeckend eingeführten Experiments bleiben aus.[1]
Das realitätsferne Passepartout-Projekt und die Theorie der Mehrsprachigkeitsdidaktik sind gescheitert, Motion Kanton Baselland, 9.2.


Im kommenden Schuljahr 2017/18 treten im Kantonen Bern die ersten Schüler/-innen, die mit dieser neuen Unterrichtsideologie unterrichtet werden, ins Gymnasium ein. Die Fähigkeiten der Schüler/-innen sind derart bescheiden, dass im Kanton Bern der Grammatikteil in den Aufnahmeprüfungen fürs Gymnasium gestrichen werden musste.
In Basel werden in einem Jahr die Prüfungen für das Gymnasium nur aus dem Grund nicht angepasst werden müssen, weil gar kein Französisch geprüft wird. Die Basler Zeitung betitelt das gescheiterte Projekt trocken: „Gewirr im Blätterwald: Mit «Mille Feuilles» geschulte Schüler versagen bei Prüfungen“.[2] Die Fakten widersprechen den Versprechungen der Passepartout-Promotoren, die noch heute auf ihrer offiziellen Website im Leitmotiv vorgaukeln: „Mit neuem Ansatz und neuen Lehrmitteln, durchgehend bis zur 9. Klasse. Für mehr Erfolg im Fremdsprachenunterricht. Das ist Passepartout.“[3]

Trotz heftiger Kritik seitens Lehrpersonen, Eltern und überforderter Schüler/-innen soll die Mehrsprachigkeitsdidaktik in den sechs Passepartout-Kantonen Bern, Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Solothurn, Fribourg und Wallis weitergeführt werden, auch wenn das Lehrmittel punktuell bezüglich weniger Fachtexten und alltagstauglichem Wortschatz verbessert werden soll. Die Verantwortlichen halten im Grundsatz jedoch an einer weltweit einzigartigen, pseudowissenschaftlichen Didaktik fest, die sich systematisch über Erkenntnisse aus der Entwicklungspsychologie hinwegsetzt: Sicheres Beherrschen grundlegender Sprachkenntnisse kann nur gelingen, wenn deren Aufbau altersgerecht, systematisch und schrittweise erfolgt. Die “neue” Didaktik konfrontiert bereits 8-jährige Anfänger/-innen mit authentischen Texten, deren Wortschatz und Satzstrukturen bewusst im Originalzustand belassen worden sind. Und die Schulkinder werden in der Schule meist nicht korrigiert, wenn sie Fehler machen: Für das Wort „ich“ dürfen sie zum Beispiel „schö“ schreiben. Auch die Eltern werden angehalten, ihre Sprösslinge nicht zu korrigieren.
Das Entschlüsseln dieser komplexen, oft nicht altersgerechten Texte wird zum ständigen Spiessrutenlauf ohne Erfolgserlebnisse. Keiner Mathematiklehrperson käme es in den Sinn, 9-jährigen Kindern Differentialrechnungen beizubringen. Kein Tennisspieler – auch nicht der 18-fache Grand Slam-Sieger Roger Federer – hat seine Karriere mit dem backhand smash begonnen.

Die neuen Fremdsprachlehrmittel missachten die Bedeutsamkeit des Übens. Erfahrene Fremdsprachenlehrpersonen nennen dieses spezifische Element der Mehrsprachendidaktik „Sightseeing“. Die Schüler/-innen springen von einer „Sehenswürdigkeit“ zur anderen. Diese “Surfkultur” führt dazu, dass nur wenig hängen bleibt.

Dass die neuen Lehrmittel «New World», «Mille feuilles» und «Clin d’oeil» mehrheitlich durchfallen, zeigt auch eine neue Umfrage des Verbands Lehrerinnen und Lehrer Solothurn (LSO).[4] Insbesondere die Französischlehrmittel weisen keinen roten Faden auf und Lehrpersonen finden sich in der Mehrheit damit nicht zurecht. Interessant ist, dass 92% der befragten Lehrpersonen der Meinung sind, dass die Kompetenzen der Schulkinder im Französischschreiben tief oder eher tief sind. Im Fazit des Textes des LSO steht denn auch: „Es muss auch zu denken geben, dass sich viele Lehrpersonen im Moment nicht vorstellen können, ihre Schülerinnen und Schüler adäquat auf die abnehmenden Schulen und Lehren vorbereiten zu können.“[5]

Die Resultate aus den Kantonen Bern und Rückmeldungen aus anderen Kantonen zeigen, dass diese Mehrsprachigkeitsdidaktik nach dem Passepartout-Fremdsprachenmodell gescheitert ist. Deshalb sollte sie schnellstmöglich korrigiert werden, gegebenenfalls verpflichtend auf Gesetzesstufe.

Der Regierungsrat wird beauftragt, mit geeigneten Mitteln, falls notwendig auch mittels einer Gesetzesvorlage, diese neue Unterrichtsmethodik so rasch wie möglich zu unterbinden. Auf Lehrmittel wie «Mille feuilles», «Clin d’oeil» und «New World», in welchen diese Mehrsprachigkeitsdidaktik nach dem Passepartout-Fremdsprachenmodell die Basis bildet, soll künftig verzichtet werden.

Jürg Wiedemann, Grüne-Unabhängige                                                                   
Caroline Mall, SVP                                              
Regina Werthmüller, parteiunabhängig                      
Paul Hofer, FDP                                                                                 
Paul Wenger, SVP




[1] SRF2, Kontext, „Frühfranzösisch: La leçon?“, 26.10.2016, Bericht von Cornelia Kazis
[2] Basler Zeitung vom 4.2.20017: „Gewirr im Blätterwald: Mit «Mille Feuilles» geschulte Schüler versagen bei Prüfungen“, S. 23

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