11. Februar 2017

Entwicklung bedrängt Milizsystem der Volksschule

Bei aller Aufregung über HarmoS, Lehrplan21 und Pisa-Studie: Oft vergessen wird die Ebene der Gemeinden und Schulen, wo die Reformen umgesetzt und Schulqualität täglich geschaffen werden muss. Dabei sind gerade auf lokaler Ebene grosse Umwälzungen im Gange, welche grundlegende Fragen zur demokratischen Verankerung der Volksschule aufwerfen.


Angestossen wurden die Veränderungen mit der Einführung professioneller Schulleitungen in praktisch allen Kantonen. Damit wurde nebst der Laien-Schulbehörde, die traditionellerweise die Schule in ehrenamtlicher Arbeit führte und beaufsichtigte, eine zweite Instanz zur Führung der Schule installiert. Dabei wurde den Schulleitungen die «operative Führung» zuerkannt und die Aufgabe der kommunalen Schulbehörden (unter anderem «Schulpflege» oder «Schulkommission» genannt) in Abgrenzung dazu als «strategische Führung» bezeichnet.

Inzwischen zeigt sich, dass die kommunalen Behörden nicht nur Aufgaben, sondern auch Kompetenzen abgegeben haben. Angesichts ihres Bedeutungsverlusts überrascht es kaum, dass etwa der Kanton Bern seinen Gemeinden empfiehlt, die traditionelle Behörde in ein beratendes Organ der Gemeindeexekutive umzuwandeln.

Im Kanton Solothurn wurden die eigenständigen Schulbehörden gar flächendeckend abgeschafft, und ihre «kostenneutrale» Abschaffung steht auch im Kanton Aargau zur Diskussion. Aber selbst im Kanton Zürich, wo die Trennung zwischen politischer Gemeinde und steuerberechtigter Schulgemeinde besonders ausgeprägt war, werden die Schulgemeinden zusehends aufgelöst, woraufhin das Schulpräsidium als Schulvorstand in die politische Exekutive integriert wird.

Gleichzeitig spiegeln diese Veränderungen auch den Wandel, dem das milizförmig aufgebaute Gemeindewesen allgemein ausgesetzt ist: So sind immer weniger Bürgerinnen und Bürger bereit, sich im Rahmen eines Ehrenamts für ihre Gemeinde einzusetzen. Folglich ist auch bei der politischen Gemeindeexekutive die Rede von der Delegation operativer Aufgaben an professionelle Gemeindeverwaltungen.

Kleine Pioniergemeinden im Kanton Luzern haben die Führung der Verwaltung an einen Geschäftsführer übergeben und das Exekutivamt durch zeitlich klar begrenzte Teilzeitämter attraktiver gemacht. Was manche als schleichende Professionalisierung und Verrat am Milizprinzip kritisieren, betrachten andere als unumgänglichen Schritt, um mit dem politischen Entscheidungsgremium zumindest das Herzstück des Milizsystems am Leben zu erhalten.

Die zentrale Frage ist: Was geht verloren, wenn statt einer separaten Schulbehörde eine gestärkte Gemeindeexekutive die Führung der Schule gegenüber der Stimmbevölkerung verantwortet? In der Hauptsache wird engagierten Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit genommen, verbindlich auf die Schule Einfluss zu nehmen. Schulzuteilungen, Umteilungen und Übertrittsentscheide, die Verfügung disziplinierender Massnahmen, die Anstellung des Schulpersonals, die Formulierung des Schulprogramms: All dies wird durch Professionelle vorgenommen, ohne auf die Befindlichkeiten betroffener Eltern Rücksicht nehmen zu müssen.

Beratende Kommissionen oder die eingeführten Elternräte an den Schulen können keinen Ersatz bieten, da ihnen verbindliche Mitwirkungsmöglichkeiten gerade in diesen Bereichen fehlen. Zudem wird mit der Abschaffung der kollegialen Schulbehörde die parteipolitische Abstützung geschwächt, da die politische Verantwortung für das Schulwesen in einer einzigen Person, dem Schulvorstand in der Gemeindeexekutive, gebündelt ist.

Bei den gegenwärtigen Reformen der kommunalen Schulführung stellen sich also folgende Herausforderungen: Einerseits gilt es die Aufgabenteilung zwischen Professionellen und Ehrenamtlichen so vorzunehmen, dass die zugedachten Aufgaben auch wirklich erfüllt werden können. Hierbei gilt es ehrenamtliche Gemeindeexekutiven zu entlasten und nicht noch zusätzlich zu belasten.

Darüber hinaus ist die Legitimierung der Schule in der lokalen Öffentlichkeit zu gewährleisten, wofür auch das Viertel der Bevölkerung ohne Schweizer Pass mit einzubeziehen ist.

Unabhängig davon, ob die öffentliche Mitwirkung über die eigenständige Schulbehörde, über eine beratende Kommission oder über Elternräte organisiert wird, entscheidend ist, dass es gelingt, das für den Schulbetrieb nötige Vertrauen in der breiten Bevölkerung sicherzustellen.

Ein Gastkommentar von Oliver Dlbac, Projektleiter am Zentrum für Demokratie Aarau und Lehrbeauftragter an der Universität Zürich und Judith Hangartner, Forschungsbeauftragte an der Pädagogischen Hochschule Bern zu den Umwälzungen, die die Verankerung der Volksschule betreffen.


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