Ich bin eines der
letzten Lebewesen auf diesem Planeten ohne Qualitätsmanagement – und das mit
voller Absicht. Ich evaluiere nicht, ich dokumentiere nicht, und ich sitze auch
niemals in Sitzungen oder Konferenzen. Alle Menschen, die ich kenne und die das
tun (müssen), jammern mir vor, wie unglücklich sie das macht.
Ich qualitätssichere nicht, ich arbeite ..., Die Presse, 17.1.2014 von Egyd Gstättner
Die Gebildeten verwenden dann immer die Begriffe „Entfremdung“ und
„Selbstentfremdung“ und erklären, dass das „Qualitätsmanagement“ die Menschen
von ihrem Tun (ihrer Arbeit) entfremdet, aber auch von ihren Mitmenschen. Vor
lauter Tätigkeitsberichtsschreiben kommen diese Menschen nicht mehr zu den
Tätigkeiten, geschweige denn zur Tat. Mit Ausnahme der Worthülsner und
Papperlappisierer verfehlen alle ihre Berufe.
Vor lauter Evaluieren
und Dokumentieren kommen die Pflegerinnen und Pfleger nicht mehr zum Pflegen,
die Lehrer nicht mehr zum Lehren, die Ärzte nicht mehr zum Behandeln, die
Wissenschaftler nicht mehr zum Forschen, die Dienstleister nicht mehr zum
Dienstleisten, die Katholiken nicht mehr zur Nächstenliebe, die Sozialisten
nicht mehr zum Sozialsein.
Alle stöhnen, alle
füllen unablässig irgendwelche elendslangen kleingedruckten Listen und
Fragebögen aus, die kein Mensch jemals lesen wird. Alle diese stumpfsinnigen
(Kompetenzsicherungs-)Listen und (Qualitätssicherungs-)Fragebögen füllen sie im
Namen einer mystischen Pseudoobjektivierung aus, die nichts anders ist und sein
kann als ziselierte Subjektivität – bloß damit jedes banale Büro heute
„Kompetenzzentrum“ heißen kann: Millionen und Abermillionen verschlingende
heiße Luft.
Erzwungene
Wichtigtuerei
Vor lauter erzwungener
Wichtigtuerei kommen die Menschen nicht mehr dazu, irgendetwas Wichtiges zu
tun, vor lauter Bedeutungsheuchelei nicht mehr zu irgendetwas Bedeutendem, vor
lauter Arbeitsschauspielerei nicht mehr zu einer Arbeit und vor lauter Selbst-PR
nicht mehr zu sich selbst! Nie haben Verwaltung und Vergewaltigung ähnlicher
geklungen!
Noch nie war in
sämtlichen Bereichen des öffentlichen Lebens so oft und so penetrant von
„Qualität“ und „Kompetenz“ die Rede, während Qualität und Kompetenz überall dramatisch
nachlassen, weil man sich – Folge der Entfremdung – in seinem Leben als Mensch
nicht mehr wiedererkennt.
Selbst
gebastelte Witztitel
Es fängt in der Schule
an: Mathematikschularbeiten sind heute Schwedenrätsel: Man darf nicht mehr
rechnen, sondern nur noch ankreuzen, ob eine vorgegebene Rechnung richtig oder
falsch ist. Die pädagogische Botschaft ist klar: Sei unproduktiv! Sei
unkreativ! Sei passiv! So standardisiert bist du am leichtesten zu
verwalten/unterjochen!
Jede vormals sinn- und
identitätsstiftende Tätigkeit wird durch den steigenden Grad der Entfremdung
als unsinnig und belastend empfunden. Somit bewirkt das überall eingeführte
Qualitätsmanagement genau das Gegenteil dessen, wozu es eigentlich eingeführt
wurde – nämlich, dass alles schwächer, schlechter, miserabler wird und die
Menschen unzufriedener und unglücklicher. Glück und Zufriedenheit können in
dieser dekadenten Bürokratengesellschaft freilich keine Kriterien mehr sein.
Ich verweigere alle
Spezialseminare sämtlicher Spezialreferenten mit selbst gebastelten Witztiteln
(Lebensqualitätsdesigner, Megametatrainer ...). Ich verweigere Career Workshops
und wertorientierte Kompetenzanalysen, Initiativbewerbungen oder
Selbstpräsentationen. Das Netzwerken überlasse ich den Fischern in Grado. Ich
bin keine Ich-AG, ich bin ich. Keine Aktien. Keine Gesellschaft. Ich
grundkompetenzorientiere mich nicht. Ich qualitätssichere nicht. Ich evaluiere
nicht. Ich dokumentiere nicht. Ich organisationsentwickle nicht. Ich schaffe
ein Werk.
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