Früher wurde Bildung als Weg zur
Selbstfindung verstanden. Ziel der Weltanschauungskrieger von OECD, IEA und der
Bertelsmann-Stiftung ist jedoch die Heranzüchtung konformer Generationen.
Bildung im post-gebildeten Zeitalter, cicero.de, 10.12. Kommentar von Alexander Grau
Diese Woche war es wieder mal so weit. Die OECD
veröffentlichte ihre neue PISA-Studie. Und wie bei einem Pawlowschen Reflex
wiederholte sich das alte, ermüdende Ritual: so genannte Bildungsexperten,
Wirtschaftsvertreter, Politiker und Repräsentanten einschlägiger Verbände
riefen den Bildungsnotstand aus und mahnten einmal mehr Bildungsoffensiven an.
In welche Richtung diese Reformen zu
gehen haben, ist dabei auch schon klar: mehr Digitalisierung, mehr
Ganztagsschulen, mehr frühkindliche „Bildung“, mehr Inklusion, mehr
internationale Vergleichbarkeit, mehr internationale Standards – willkommen bei
den Ideologen der schönen neuen Bildungswelt.
Mit Bildung hat das alles natürlich
rein gar nichts zu tun. Bildung wäre sogar äußerst hinderlich bei dem Ziel, das
eigentlich verfolgt wird. Denn nicht der gebildete Mensch soll am Ende dieser
Bildungsbemühungen stehen, sondern der konforme, der nivellierte, der
international und global verwertbare Mensch. Humboldt würde sich im Grabe
umdrehen.
Emanzipation
und Selbstbestimmung ausgeschlossen
Die OECD, man verdrängt es hierzulande
geradezu systematisch, ist kein Verein feinsinniger Humanisten zum Erhalt
abendländischer Bildungstraditionen, sondern die Organisation für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Nun spricht weder etwas gegen
wirtschaftliche Zusammenarbeit noch gegen deren Entwicklung. Problematisch wird
es aber dann, wenn diese zum alleinigen Kriterium schulischer Ausbildung
gemacht werden und eine Bildungsideologie verbreitet wird, die unter dem
Deckmäntelchen von Chancengleichheit und sozialer Mobilität nichts anderes
hervorbringt als den für den internationalen Arbeitsmarkt genormten und
weltanschaulich angepassten Schulabgänger.
Denn nicht um Emanzipation und
Selbstbestimmung des Individuums geht es den Weltanschauungskriegern von IEA
(International Association for the Evaluation of Educational Achievement), OECD
oder Bertelsmann-Stiftung. Vielmehr sollen Generationen heranerzogen werden,
die das billige Versprechen universaler beruflicher Verwertbarkeit als Freiheit
fehldeuten und ihre Gefangenschaft in der Logik von Flexibilität und Assessment
als Emanzipation.
Kulturell
entwurzelte Funktionserfüller
Bildung, die ihren Namen verdient, ist
dabei eindeutig hinderlich, denn sie könnte zu falschen Gedanken in den Augen
der OECD verführen. Als Bildung noch Bildung war, wurde sie als Weg verstanden,
mit dem das Individuum zu sich selbst findet. Der bürgerliche Bildungsroman
erzählt davon. Doch genau um dieses freiheitliche und humanistische Ideal geht
es den Netzwerkern und Lobbyisten einer angeblichen zeitgemäßen Bildungspolitik
mitnichten.
Konsequenterweise wird Bildung
uminterpretiert zum Beherrschen technischer Fähigkeiten und dem Erwerb
nichtiger Kompetenzen. Bildung, die einmal gleichbedeutend mit historischem
Wissen war, mit der umfangreichen Kenntnis literarischer, künstlerischer und
philosophischer Traditionen, wird als nutzlos, ja schädlich wahrgenommen, weil
sie den Menschen eine kulturelle Identität vermittelt, die seiner Verfügbarkeit
auf einem globalisierten Markt austauschbarer Arbeitskräfte entgegensteht.
Der moderne Mensch des
Post-Bildungs-Zeitalters darf kein eigenständiges Subjekt sein, das um die
differenzierende Prägekraft unterschiedlicher Kulturen und Überlieferungen
weiß. Gefragt ist vielmehr der historisch und kulturell entwurzelte
Funktionserfüller, der kritiklos und begeistert fit ist für den Umgang mit den
jeweils neuen Technologien, deren devote Beherrschung als lebenslanges Lernen
schöngeredet wird.
Vom
Aussterben des Bildungsbürgers
Bildung war einmal eine Waffe, die
sich das aufstrebende Bürgertum im Kampf gegen die herrschenden Ideologien
seiner Zeit, gegen Klerus und Adel schuf, weil sie den Geist frei machte und
unabhängig, da sie einen kritischen Blick ermöglichte auf das Hier und Jetzt
und seine angeblichen Alternativlosigkeiten.
Doch Bildung, das war einmal. Noch
leben Menschen – erzogen und groß geworden in einem Schulsystem, das aus Sicht
moderner Bildungsideologen rückständig und in jeder Hinsicht verwerflich war –
die wirklich über Bildung verfügen.
Das Privileg unserer Generation ist
es, dass wir solche Menschen noch kennen lernen durften. Aber selbst das wird
bald vorbei sein. Welch ein enormer, welch ein trauriger Verlust. Doch keiner
wird gebildet genug sein, um ihn zu bemerken. Auch das ist eine Lösung.
Alexander Grau ist
promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und
Wissenschaftsjournalist. Im Dezember 2014 erschien der von ihm herausgegebene
Band „Religion. Facetten eines umstrittenen Begriffs“ bei der Evangelischen
Verlagsanstalt Leipzig.
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