Der Schulleiter Jürg Portmann verweist die Kritik amLehrplan 21 ins Reich der Mythen. Damit
entwertet er die Argumente der Kritiker, noch bevor er seine eigenen vorbringt.
Das ist nicht nur fragwürdiger Stil, es entbindet ihn auch davon, wirklich
Überzeugendes zur Richtigstellung der angeblichen Mythen vorbringen zu müssen:
Er verharmlost, simplifiziert, generalisiert, deutet um und verstrickt sich in
Widersprüche. Ironischerweise bekräftigt er damit einfach die Mythen der
Lehrplanverantwortlichen.
Keine Mythen, sondern Tatsachen, 3.1. von Felix Schmutz
1. Unterrichtsmethoden
Portmann gibt vor, die Methodenfreiheit der Lehrkräfte sei
gewährleistet. Allerdings verlangt er, dass je nach Ziel vielfältige Methoden
zum Einsatz kommen müssen. Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn nicht im
gleichen Abschnitt einschränkend zum Ausdruck käme, dass Portmann wisse,
welches jeweils die „erfolgversprechendste“ Methode ist, dass Frontalunterricht
nur „in bestimmten Situationen seine Berechtigung hat“. Echte Methodenfreiheit meint aber etwas
anderes, nämlich die im Sprichwort enthaltene Weisheit: „Viele Wege führen nach
Rom“, was bedeutet, dass die Lehrperson selbst entscheidet, welche Methode sie
für die geeignetste hält. Der Lehrplan 21 und die mit der Umsetzung
Beauftragten wollen jedoch durch doktrinäre Weiterbildungsveranstaltungen,
Kontrollinstrumente, klassenübergreifende Strukturen des selbst organisierten
Lernens (SOL) die Lehrpersonen in ihrer Methodik steuern. Das ist das Gegenteil
von Methodenfreiheit, also kein Mythos, sondern Tatsache.
2. Coaching.
Portmann zitiert zur Untermauerung seiner Ausführungen
Hattie, deutet ihn aber nach seinem Gusto um. Mit dem Begriff
„Frontalunterricht“ meinen die Schulreformer bei uns eigentlich das, was besser
mit „Dozierunterricht“ bezeichnet werden müsste. In „Visible Learning“
definiert Hattie die von ihm favorisierten lehrerzentrierten Unterrichtsformen
„Direct Instruction“ und „Reciprocal Teaching“ als einen gemeinsamen, gut rhythmisierten Unterricht im Klassenverband, der
von klaren Intentionen, motivierenden Problemstellungen ausgeht, über ein eng
geführtes fragend-entwickelndes Verfahren das Verständnis für eine Sache
aufbaut und schliesslich eine intensive Übungsphase daran anschliesst, wobei in
allen Abschnitten eine aktive Beteiligung der Lernenden anzustreben ist und ein
ständiges Feedback von der Lehrperson erfolgen soll.1
Dieser Unterricht hat nach Hatties Berechnungen eine
Effektstärke, die weit über demjenigen liegt, der die Lehrperson nur noch als
„Facilitator“ (Lerncoach) einsetzt
(„Coaching“ bedeutet bei Hattie intensiven Nachhilfeunterricht). Diese Erkenntnisse aus zahlreichen
Metastudien mag Portmann umbiegen, wie er will, er schafft damit bloss seinen
eigenen Mythos.
3. Einfluss des Lehrers
Mit der Aussage, es stimme „teilweise“, dass „der Lehrer den
Unterschied“ mache, vernebelt Portmann tatsachenwidrig die bei Hattie klar
differenzierten Aussagen: 1. Das
Elternhaus unterstützt durch seine Erwartungshaltung, seinen Anregungshorizont,
seinen ökonomischen Status und sein Verständnis für die Schulprogramme
signifikant die Motivation und die Lernchancen seiner Kinder. 2.
Die qualifizierte Arbeit der Lehrperson hingegen garantiert den Zuwachs an
schulischem Wissen und Können.
Die erste Nennung des Elterneinflusses figuriert auf Hatties
Rangliste erst auf Platz 37. Alle vorderen Ränge gebühren den Lehrenden und
ihrem Unterricht.2 Der dominierende Einfluss der Lehrenden ist also
kein Mythos, sondern eine Tatsache!
4. Reformwut
Portmann verharmlost die Reformitis des letzten Jahrzehnts.
Natürlich sind es nicht nur drei Projekte, welche der Schule aufgebürdet
wurden, wie er behauptet. Er „vergisst“ die Einführung des
Qualitätsmanagements, der vergleichenden Leistungstests, des
Nachteilsausgleiches, der so genannten geleiteten Schulen, der Umstellung auf
Sammelfächer, auf die neue Fremdsprachendidaktik, er vergisst die Verbreiterung
des administrativen Personals, das Lehrpersonen mit Papierkrieg belastet, etc.
Schade, dass er das alles nicht mitbekommen hat.
5./6.
Leistungsmessung und Wissen
Entgegen Herrn Portmanns Ansicht lässt sich unsere
gegenwärtige Bildungspolitik erklärtermassen durch PISA leiten. Das bedeutet,
dass der Unterricht auf „Output-/Outcome-Orientierung“ umgepolt werden soll.
Lehrende sollen mehr Zeit auf Testvorbereitung verwenden statt auf die
Verständnisbildung und die Zusammenhänge von Lerninhalten, was übrigens nicht
gleichzusetzen ist mit „Bulimielernen“, wie Reformbegeisterte gerne dem
bisherigen Unterricht pauschal unterstellen. Der Lehrplan 21 enthält eben
deshalb so engmaschige „Kompetenzvorgaben“, damit ein nach Meinung der Behörden
besserer Erfolg durch testnahes Lernen Einzug halten soll. Natürlich wird der
Unterricht in nachhaltiger Weise beeinflusst, wenn nicht mehr der Wissensaufbau Ausgangspunkt des Lernens
bildet, sondern die von Inhalten
weitgehend abgekoppelten Anwendungen.
Dass dies kein Mythos ist, zeigen die einschlägigen
Erfahrungen mit dem gescheiterten Konzept in den USA. Ernüchtert stellt Diane
Ravitch fest: „Testtaking skills and strategies took precedence over knowledge“4
(Testlösungskompetenzen und –strategien erhielten Vorrang vor dem Wissen).
Portmanns Erkenntnis, dass echte Kompetenzen nur wissensbasiert entstehen können, kommt
reichlich spät, denn im Lehrplan, auf den er sich freut, fehlt sie weitgehend,
selbst wenn in den Formulierungen ab und zu Wissensziele verklausuliert
anklingen. Es nützt auch wenig, damit zu beruhigen, das sei ja alles nicht so
gemeint, wenn gleichzeitig schulpolitisch alle Massnahmen weiterhin darauf
hinauslaufen, den radikal verstandenen Paradigmenwechsel von den Lehrpersonen
vehement einzufordern.
7. Ein Letztes
Im letzten Abschnitt rühmt Portmann den Lehrplan 21 als
Vorlage zur Herstellung von neuen Lehrmitteln,
die statt Wissen endlich Kompetenzen vermitteln würden. Damit bestätigt
er genau das, was er unter Punkt 6 gerade eben bestritten und als Mythos der
Kritiker bezeichnet hat, nämlich den Vorrang der Anwendung vor dem Wissen.
Kann übrigens Herr Portmann ein Schulbuch der letzten dreissig Jahre nennen,
das tatsächlich nur Wissen und keine Anwendungen enthielt?
Es ist bedenklich, wenn ein Schulleiter derart hemdsärmlig
mit wohl durchdachter Kritik am Lehrplan 21 umgeht und den Kritikern dabei noch
unterstellt, sie würden sich dem
Fortschritt entgegenstellen. Die von Portmann beanstandeten Mythen jedenfalls
entpuppen sich leider als Tatsachen.
1 Hattie, John, Lernen sichtbar
machen, Baltmannsweiler 2013, S. 242ff.
2 ebd., S. 433 ff.
3 Ravitch, Diane, The Death and
Life of the Great American School System, New York 2010, S. 107ff.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen