Der sogenannte Sprachenstreit ist längst ein
schweizweites Politikum. Im Kern geht es darum, ob weiterhin sowohl Französisch
als auch Englisch auf der Primarstufe unterrichtet werden sollen. Gerade in
Bezug auf das Frühfranzösisch wurde die Debatte bisweilen sehr polemisch
geführt. Manche sehen dabei nichts Geringeres als den «nationalen Zusammenhalt»
gefährdet.
Auch im Kanton Luzern wird seit Jahren über den
Fremdsprachenunterricht diskutiert. Grund dafür ist eine Volksinitiative, die
im Jahr 2014 mit über 7000 Unterschriften (4000 wären nötig gewesen) zu Stande
kam. An der kommenden Kantonsratssession vom 30. und 31. Januar berät der
Luzerner Kantonsrat die Initiative «Eine Fremdsprache auf der Primarstufe».
Der Fremdsprachenstreit wird jetzt ausgetragen, Luzerner Zeitung, 23.1. von Ismail Osman
Wie wird heute unterrichtet?
Derzeit wird ab der 3. Primarstufe Englisch und ab
der 5. Französisch unterrichtet. Das Konzept stammt von der Schweizerischen
Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK). Die Einführung des
3/5-Modells im Kanton Luzern begann 2006 und war im Sommer 2011 abgeschlossen.
Was fordert die Initiative?
Die Initiative «Eine Fremdsprache auf der
Primarstufe» verlangt, dass der Unterricht der zweiten Fremdsprache erst auf
der Sekundarstufe beginnt. Die Initiative lässt allerdings offen, ob künftig
nur noch Französisch oder Englisch auf der Primarstufe unterrichtet werden
soll.
Wer steht dahinter?
Ein äusserst breit abgestütztes Komitee, bestehend
aus aktuellen und ehemaligen Kantonsräten aus CVP, SVP, FDP, SP und GLP wie
auch aus Mitgliedern des Luzerner Lehrerinnen- und Lehrerverbands und
Vertretern aus der Privatwirtschaft.
Wieso wird die Initiative erst jetzt behandelt?
Faktisch behandelt der Kantonsrat die Initiative
bereits zum zweiten Mal. Ursprünglich wollte die Regierung die Initiative
jedoch für ungültig erklären lassen und nicht inhaltlich behandeln. Dies unter
anderem auch deshalb, weil die Initiative offenlässt, welche Fremdsprache
künftig noch auf der Primarstufe unterrichtet werden soll. Der Kantonsrat ist
diesem Antrag im Dezember 2015 allerdings nicht gefolgt. Mit 112:0 Stimmen
wurde die Initiative für gültig erklärt und das Geschäft an die Regierung
zurückgewiesen.
Was sind die Argumente der Initianten?
Das Initiativkomitee betont, dass die erste
Fremdsprache für Luzerner Schülerinnen und Schüler das «Hochdeutsch» ist. Zu
Gunsten von Französisch und Englisch sei unter anderem auch beim
Deutschunterricht abgebaut worden. Viele Lehrmeister würden die ungenügenden
Kenntnisse heutiger Schulabgänger in der Erstsprache bemängeln. Ein weiteres
Argument lautet, dass ein späterer Beginn des Fremdsprachenunterrichts keinen
Nachteil bedeute. So sei der Sprachunterricht auf der Oberstufe viel
effizienter. Verwiesen wird auch auf das sehr schwache Abschneiden im
Französisch bei Schulabgängern (Ausgabe vom 9. Dezember). Zudem benachteilige
ein sprachlastiger Unterricht Knaben und fremdsprachige Kinder.
Welche Position vertritt die Regierung?
Die Regierung lehnt die Initiative ohne
Gegenvorschlag ab. Bildungsdirektor Reto Wyss und die Regierung stehen voll und
ganz zur Sprachenstrategie der EDK, welche 2004 das 3/5-Modell vorstellte. Die
Regierung sieht die Lösung der heute vorhandenen Probleme vor allem im Lehrplan
21. Dieser wird ab dem kommenden Schuljahr schrittweise eingeführt. Mit dem
neuen Lehrplan wird auch eine neue Wochenstundentafel eingeführt, welche etwa
die Französischlektionen in der 5. und 6. Primarklasse von zwei auf drei Lektionen
pro Woche erhöht. Damit soll der Einstieg in die Sprache erleichtert werden.
Darf Luzern einfach einen eigenen Weg gehen?
Die Luzerner Regierung warnte wiederholt vor einer
Abkehr vom heutigen System, weil dies zu einer Insellösung führen würde. Man strebe
stattdessen eine Harmonisierung mit den anderen Kantonen an. Diese rücke mit
der gesamtschweizerischen Einführung des Lehrplans 21 auch in greifbare Nähe.
Das Initiativkomitee verweist hingegen auf die Tatsache, dass das Luzerner
Stimmvolk 2008 einen Beitritt in die interkantonale Vereinbarung über die
Harmonisierung der obligatorischen Schule (kurz Harmos-Konkordat) ablehnte. Man
sei deshalb in der Regelung seiner Sprachpolitik nicht gebunden.
Wie sieht es in den Nachbarkantonen aus?
In den meisten Zentralschweizer Kantonen wird
Englisch als erste und Französisch als zweite obligatorische Fremdsprache auf
der Primarstufe unterrichtet. Ausnahme ist Uri: Der Französischunterricht
startet dort erst ab der 7. Klasse. Dafür ist Italienisch ab dem 5. Schuljahr
Wahlpflichtfach (ab dem 7. Schuljahr nur noch Wahlfach). Im Kanton Nidwalden
forderte eine SVP-Initiative, den Französischunterricht auf die Sekundarstufe
zu verschieben. Im März 2015 wurde die Initiative an der Urne jedoch deutlich
abgelehnt.
Was passiert, wenn die Initiative angenommen wird?
Gemäss der Regierung würde ein Konzeptwechsel
Kosten von total 8 bis 9 Millionen Franken zur Folge haben. Dies, weil, je
nachdem, ob Französisch oder Englisch auf die Sekundarstufe verschoben würde,
neue Lehrmittel erarbeitet und entsprechende Weiterbildungen durchgeführt
werden müssten. Die Regierung geht von rund vier Jahren aus, um diesen
Konzeptwechsel zu vollziehen. Die Gegenseite zeigt kein Verständnis dafür, dass
ein Verzicht auf den Unterricht einer Fremdsprache zu Mehrkosten führen soll.
Wann wird abgestimmt?
Dies hängt in erster Linie davon ab, wie die
Diskussion im Parlament nächste Woche verläuft. Vorausgesetzt, das Geschäft
wird nicht an den Regierungsrat zurückgewiesen, beispielsweise mit der Forderung
nach einem Gegenvorschlag, so könnte es im September zur Volksabstimmung
kommen.
In der Kostenfrage wird nicht berücksichtigt, dass bei Annahme der Initiative die Ausbildungskosten für eine Primarfremdsprache plus alle Lehrmittelkosten wegfallen. Ebenfalls nicht berücksichtigt wird, dass es bestehende Lehrmittel gibt, welche ab der Sekundarschule übernommen werden können.
AntwortenLöschen