Sind Vorschulkinder heute gescheiter als früher?
Viele von ihnen können schon Sätzchen lesen, bis auf 100 zählen, Geige spielen
oder sich auf Englisch unterhalten. Doch dahinter steckt nicht Klugheit,
sondern eine intensivere Förderung.
Frühförderung ist in. Die Vielfalt an Angeboten ist
riesig, die Nachfrage auch. Viele Kinder sind jedoch emotional retardiert.
Misserfolge ertragen sie kaum, in der Schule warten, bis sie an der Reihe sind,
funktioniert nicht, und mit Kritik der Lehrperson kommen sie schlecht zurecht.
Zu Hause ist es ähnlich: Tisch decken oder Hamster füttern? Keine Lust. Werden
sie dazu angehalten, reklamieren sie dauernd. Mit anderen Kindern spielen sie
zwar gerne, aber nur, solange alles nach ihrem Wunsch läuft. Andernfalls
reagieren sie beleidigt oder mit Wutanfällen. Ihre Psyche ist in einem
permanenten Überforderungszustand.
Ich will - und zwar jetzt! Aargauer Zeitung, 16.1. von Margrit Stamm
Im Kleinkindalter gehört diese Ichbezogenheit zum
normalen Entwicklungsprozess, doch sollte ein fünfjähriges Kind ein gewisses Mass an emotionaler Kompetenz, so
auch die Fähigkeit, Bedürfnisse aufzuschieben («Frustrationstoleranz») und
Kritik zu ertragen, erworben haben. Warum ist dies bei einem zunehmenden Anteil
nicht mehr so?
Und was ist mit Mutter und Vater?
Sicher nicht deshalb, weil solche Kinder «einen
starken Willen» haben. Es gibt kein
genetisch vorbestimmtes Temperamentsschicksal. Viele Eltern sind jedoch überzeugt, ihr Kind habe «den gleich starken Kopf wie der Vater» und sei deshalb besonders schwierig. Richtig ist, dass es einfachere und kompliziertere kindliche Temperamente gibt. Doch Anlagen sind nie so dominant, dass Eltern das Kind nicht durch ihre Erziehung formen könnten.
genetisch vorbestimmtes Temperamentsschicksal. Viele Eltern sind jedoch überzeugt, ihr Kind habe «den gleich starken Kopf wie der Vater» und sei deshalb besonders schwierig. Richtig ist, dass es einfachere und kompliziertere kindliche Temperamente gibt. Doch Anlagen sind nie so dominant, dass Eltern das Kind nicht durch ihre Erziehung formen könnten.
Dass es zwischen dem nachgiebigen
Erziehungsverhalten und den Problemen des Sprösslings eine Verbindung geben könnte,
kommt Vätern und Müttern oft gar nicht in den Sinn. Obwohl Kinder mit ihrem
ichzentrierten Verhalten eine lenkende Erziehung geradezu einfordern würden,
reagieren die Eltern noch nachgiebiger und verständnisvoller. So entsteht ein
Teufelskreis, bei dem das Kind lernt: Egal was ist, ich stehe immer im
Mittelpunkt.
Doch wäre es völlig falsch, den Eltern allein die
Schuld für die Erziehung kleiner Egoisten zuzuschieben. Es ist vor allem der
Hype um die frühe Förderung, der dazu geführt hat, dass die emotionale und
soziale Erziehung ins Hintertreffen geraten ist. Lange hat man den Eltern
eingetrichtert, wer nicht möglichst früh seinen Nachwuchs fördere, nehme später
das Risiko verpasster Chancen in Kauf. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans
nimmermehr! Logischerweise ist der Frühenglischkurs wichtiger geworden als die
Fähigkeit, einen Konflikt mit Nachbarskindern alleine lösen zu lernen.
Dieser Trend ist fatal. Denn die Forschung belegt
mit grosser Eindeutigkeit, dass der Schulerfolg nicht von frühen Förderkursen
abhängt, sondern vor allem vom Ausmass emotionaler Kompetenz. Wer eine hohe
Frustrationstoleranz hat und ein Ziel im Auge behalten kann, lässt sich von
Enttäuschungen nicht entmutigen und ist in der Schule erfolgreicher. Kinder,
die nicht gelernt haben, ihre Bedürfnisse aufzuschieben und immer im
Mittelpunkt stehen wollen, können mit Niederlagen schlecht umgehen und eine
unangenehme Situation kaum aushalten. Solche Fehlsteuerungen zeigen sich auch
noch bei Teenies und ihrer Unfähigkeit, mit Konflikten umzugehen. Bei den
kleinsten Herausforderungen knicken sie ein und reagieren entweder aggressiv
oder ziehen sich zurück.
Selbstkontrolle und Frusttoleranz
Wollen wir Kinder nicht zu Ichlingen erziehen, tun
Eltern und auch Lehrkräfte gut daran, sie Selbstkontrolle und
Frustrationstoleranz zu lehren. Zum Beispiel durch Üben, bis man etwas wirklich
kann; indem man beim Spielen das Verlieren lernen oder etwas ausbaden muss, was
man selbst verbockt hat. Oder auch dadurch, dass man Kinder nicht andauernd
lobt.
Überdosierte Anerkennung macht sie schwach, man
muss sie deshalb für das Richtige loben. Schlauheit oder hübsch sein gehören
nicht dazu, wohl aber ein Lob für Fleiss, Höflichkeit oder Gewissenhaftigkeit.
Im Leben scheint nicht immer die Sonne. Lernen
Kinder früh, mit Frust umzugehen und das Wir anstatt das Ich einzuüben, schützt
sie das ein Leben lang. Und dies ist das grösste Geschenk, das wir ihnen machen
können.
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