24. Mai 2021

Die Banken ziehen die Notbremse bei der KV-Reform

Der heftige Protest der Bankenvereinigungen gegen die Reform der KV-Ausbildung lässt aufhorchen. Offenbar haben die Banken gerade noch rechtzeitig bemerkt, welch verheerende Auswirkungen das geplante Ausbildungsmodell für ihre Auszubildenden hätte. Die Taktik der Reformer, das Grundkonzept in Kabinettsmanier möglichst weit voranzutreiben und erst dann in die Vernehmlassung zu schicken, wenn nur noch Retuschen angebracht werden können, scheint diesmal zu scheitern.

Die Banken ziehen die Notbremse bei der KV-Reform, 21.5. von Hanspeter Amstutz

Erfahrene KV-Lehrpersonen waren wie vor den Kopf gestossen, als sie erstmals über die Reformpläne informiert wurden. Viele wollten Alarm schlagen, doch die Mutigsten wurden massiv unter Druck gesetzt, sich nicht  vorzeitig in der Öffentlichkeit zu Wort zu melden. Heute sprechen einige der Betroffenen gar von einem Maulkorb.

Banken wollen eine Abwertung der KV-Ausbildung verhindern

Die Vorwürfe der Bankfachleute an die KV-Reformkommission sind gut begründet, denn sie wissen, worauf es im Finanzgeschäft ankommt. Sie wehren sich gegen eine oberflächliche Bildung, die situativ in Form von gehobenen Rollenspielen die Deutschausbildung fördern will. Sie akzeptieren es nicht, dass auf einen methodischen Aufbau in der deutschen Sprache und auf eigentliche Fächer verzichtet werden soll. Das Gleiche gilt für die Fremdsprachen, wo mit einer Abwahlmöglichkeit offensichtlich der Weg des geringsten Widerstands gewählt wurde. Diese Abwertung der KV-Ausbildung wollten sich die direkt betroffenen Banken nicht bieten lassen.

Die Bankfachleute liessen sich weder vom modischen Outfit des Reformprogramms noch von dessen didaktischen Höhenflügen beeindrucken. Vielmehr waren sie zu Recht verärgert, dass der Auftrag einer Modernisierung der KV-Ausbildung zu einem unerwünschten Totalumbau umfunktioniert wurde. Ganz sauer ist ihnen aber  aufgestossen dass man sie in der Phase der konzeptionellen Weichenstellung links liegen liess.

Erstaunlich unkritische Haltung beim Lehrplan 21

Den frischen Wind aus der Wirtschaft hat man bei der Lehrplanreform der Volksschule leider vermisst. Offenbar war vor fünf Jahren die Zeit noch nicht reif, um mögliche Fehlentwicklungen in der neuen Didaktik zu erkennen. Das Zauberwort vom kompetenzbasierten Unterricht hat damals alles überstrahlt. Nur wenige haben sich daran gestört, dass die Lehrplanreform weit über das vom Volk geforderte Ziel einer Bildungsharmonisierung hinausging und den Schulen einen didaktischen Paradigmenwechsel vorschrieb.

Einige Parallelen zu aktuellen KV-Reform sind dabei augenfällig: Verstärkte Ausrichtung der Bildung auf vordergründig nützliche Aspekte, weniger Ausbildungszeit für das Training der Grundlagen, zu komplizierte Schulorganisation mit individualisierten Bildungszielen und eine weniger transparente Notengebung.

Die Lehrplanverantwortlichen haben den Erwartungen an den Lehrplan der Volksschule bewusst hochgeschraubt. Der Paradigmenwechsel von einer an Bildungsinhalten orientierten Schule zu einem bis in Detail ausgearbeiteten Kompetenzenmodell mit  stärkerer Bildungssteuerung wurde als Jahrhundertwerk gefeiert. Wer so unbescheiden auftritt, muss sich allerdings nicht wundern, wenn er kritisch begutachtet wird.

Skeptiker, welche gegen einige der völlig unerprobten Neuerungen begründete Einwände hatten, wurden damals kaum ernst genommen. Man lud sie ein, in regionalen Reformzirkeln ihre Bedenken zu formulieren. Doch viel schaute dabei nicht heraus, denn am Grundkonzept liess sich nichts mehr ändern. Die Berücksichtigung einiger überzeugender Einwände und eine leichte Kürzung des fast sechshundertseitigen Lehrplanwerks wurden als Beweis für die offene Lehrplanarbeit hingestellt. Doch von einer echten Auseinandersetzung um eine Schule der Zukunft konnte keine Rede sein. Die EDK war entschlossen, die Sache rasch durchzuziehen , um den gesetzlichen Harmonisierungsauftrag abschliessen zu können.

Spannend bleibt die Frage, wie der neue Lehrplan in den nächsten Jahren die Schule verändert. Die ersten Erfahrungen in der Praxis zeigen, dass die gröbsten Reformbrocken bereits ziemlich abgeschliffen wurden oder einfach umgangen werden. Doch die grosse Gefahr des sich Verzettelns im überladenen Bildungsprogramm ist damit nicht ausgeschaltet. Zwar versetzt ein Blick in den Lehrplan die meisten Lehrpersonen nicht gleich in den Modus des schnellen Abhakens all der vielen Kompetenzziele, doch mehr Hektik und Erwartungsdruck sind unterdessen ständige Begleiter an unseren Schulen.

Der Lehrplan 21 muss an seinem hohen Anspruch gemessen werden

Wer an die Zukunft unserer Volksschule glaubt, kann mit dieser Entwicklung nicht zufrieden sein. Ein Jahrhundertwerk wie der Lehrplan 21 müsste Antworten auf die drängendsten Fragen der aktuellen Pädagogik bieten. Doch in ganz wesentlichen Bereichen zeichnet sich überhaupt nicht ab, dass dies der Fall ist. So sucht man im Lehrplan vergeblich eine überzeugende Strategie, wie die zunehmende Leseschwäche eines Viertels der Volksschulabgänger behoben werden könnte. Statt den Deutschunterricht bereits in der Primarschule auszubauen wird auf frühe Vielsprachigkeit gesetzt und als Folge dieser Programmfülle die Zeit fürs Üben der sprachlichen Basiskompetenzen gekürzt.

Der Lehrplan 21 hat gewaltige Erwartungen geweckt, die kaum erfüllt werden können. Schon jetzt wird überall zurückbuchstabiert, weil sich das komplexe Lehrplankonzept nicht für die Funktion eines handlichen Bildungskompasses eignet. Zwar wird oft Bezug zum Lehrplan genommen und gerne betont, dass man nun kompetenzorientiert arbeite. Doch Kompetenzorientierung ist weder neu noch schafft das Lehrplankonzept bezüglich der wesentlichen Bildungsziele mehr Klarheit. Vielmehr bleibt mit der Austauschbarkeit und teilweisen Unverbindlichkeit der Bildungsinhalte viel Unsicherheit zurück.

Bei der KV-Reform ist offensichtlich von Vertretern der Wirtschaft die Notbremse gezogen worden. Man will die Ausbildungsqualität sicherstellen und Fehler vermeiden, die beim Volksschul-Lehrplan gemacht wurden. Das ist bedeutend effizienter als der Umweg über kostspielige und zeitraubende Korrekturen in der Schulpraxis.

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