"So geht das nicht. Der Turm von PISA steht sehr schief", Radio SRF, 20.12. von Cornelia Kazis
Im Jahr 2000 gab es den
PISA-Schock und die darauffolgende Schocktherapie. Nun sind die neuen Resultate
da. Wie denken Sie darüber?
Beat Zemp: Es ist sehr
unbefriedigend. Wir wissen nicht wirklich, was diese Resultate bedeuten. Das
Niveau ist in den meisten Ländern gesunken und man kann nur ahnen, woran das
liegt.
Wohl nicht so sehr an den Jugendlichen, nehme ich an?
Es gibt mehrere Gründe,
aber der Hauptgrund sind unerklärliche Skalierungseffekte und das veränderte
Prüfungsverfahren.
Erstmals in der
PISA-Geschichte wurde per Computer getestet. Bis anhin prüfte man auf Papier
mit Bleistift.
Die Schülerinnen und
Schüler konnten korrigieren und zu vorhergehenden Fragen später wieder
zurückkommen. Im Prüfungsmodus der aktuellen Studie war das nicht möglich. Da
ging es Klick für Klick vorwärts und manche Schüler haben sich in diesem
anonymisierten Verfahren wohl ziemlich schnell durchgeklickt.
Kann ein verändertes
Prüfungsverfahren eine so grosse Auswirkung haben?
Sicher spielen auch
Skalierungseffekte eine Rolle. Aber die OECD stellt auf stur.
Wie genau?
Wir haben im Jahre 2012 einen Test verlangt, um die Schwankungen durch ein neues Prüfungsverfahren zu messen. Die OECD ist nicht darauf eingestiegen und nun haben wir Resultate, mit denen wir nichts anfangen können.
Wir haben im Jahre 2012 einen Test verlangt, um die Schwankungen durch ein neues Prüfungsverfahren zu messen. Die OECD ist nicht darauf eingestiegen und nun haben wir Resultate, mit denen wir nichts anfangen können.
Das ist ärgerlich, die
Vergleichsstudie ist aufwändig und teuer. Mir scheint, sie hat stark an
Bedeutung eingebüsst – verglichen mit dem Start im Jahr 2000?
Ja sicher. Es ist schwer
verständlich, dass die OECD sich nicht auf die Kritik von namhaften
Wissenschaftlerinnen und Denkern einlässt. Die Kritik wird laut und lauter. Die
OECD müsste ein Interesse an dieser Kritik haben, statt einfach am Dogma
festzuhalten: «Learning from the Best». Das ist ja unter diesen Bedingungen gar
nicht möglich.
Das klingt nach
Machtarroganz der OECD …
Wenn es nur noch darum
geht, folgenlose Ranglisten zu publizieren, ohne Hintergründe aufzeigen zu
können, bin ich für den Abbruch der Übung. Das Geld können wir gescheiter in
unser eigenes Leistungs-Monitoring investieren.
Ist die neueste
PISA-Studie vergleichbar mit einem Arzt, der etwas diagnostiziert, aber keine
Therapievorschläge hat?
Das ist ein schönes
Bild. Aber es beunruhigt auch. Beim Fiebermesser des PISA-Doktors ist noch
nicht einmal die Skalierung klar. Wird die Temperatur in Celsius oder
Fahrenheit gemessen? So geht das einfach nicht. Ich finde, der Turm von Pisa
steht sehr schief.
Und nun? Viel Lärm um
nichts? Viel Geld für nichts?
Ich
würde sagen, es gibt viele Fragezeichen und wenig Ausrufezeichen. Wir müssen
das Heft wieder selber in die Hand nehmen und das werden wir auch tun. Mit
einem nationalen Bildungsmonitoring, wie es auch die
Erziehungsdirektorenkonferenz vorantreibt. Dann wird es wichtig, den jeweiligen
Schulen zu sagen, wie sie sich verbessern können.
Bei den Pisa-Resultaten 2015 sind die asiatischen Länder, die an ihrem traditionellen Bildungswesen mit dem Klassenunterricht und den qualifizierten Lehrern festhalten, an der Weltspitze. Westliche Länder, die wie Finnland, auf die "Kompetenzorientierung" nach Weinert umgestellt haben, die er 1999 für die OECD konstruiert hat, stürzen seit Jahren ab. Wollen wir mit dem Lehrplan 21, der Kompetenzorientierung (nach Weinert) und dem umstrittenen "selbstgesteuerten Lernen" unser bewährtes Bildungswesen an die Wand fahren? Von 1200 Aargauer Primar- bis Mittelschullehrer lehnen rund 70% den zentralen Punkt des Lehrplans 21, das "selbstgesteuerte Lernen", ab.
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