Die
Politik ist wie das wirkliche Leben voller Zielkonflikte. Ein Lehrbuchbeispiel
liefern die internationalen Schülertests, welche die OECD, der Klub von 35
relativ reichen Volkswirtschaften, alle drei Jahre veranstaltet. Unter dem
Kürzel «Pisa» misst der Test die Fähigkeiten von 15-Jährigen in Mathematik,
Naturwissenschaften und Lesen. Der Test kann die Gesundheit gefährden, denn ab
und zu gibt es «Pisa-Schocks» – wenn Länder feststellen, dass die eigene Jugend
nicht so überragend ist, wie man gehofft hat.
Was die Pisa-Studie für unsere Wirtschaft bedeutet, NZZ, 8.12. von Hansueli Schöchli
Schocks
mit heilsamer Wirkung
Die Güte
der Tests liegt in der internationalen Vergleichbarkeit; Pisa-Schocks können
somit mittelfristig heilsame Wirkung haben. Die Gefahren liegen wie bei anderen
Tests aber darin, dass sie zum Selbstzweck werden: dass Länder und Schulen die
Schüler mehr auf die Tests statt auf das Leben vorbereiten und damit vielleicht
falsche Prioritäten setzen. In der Wissenschaft ist die Sache deswegen nicht unumstritten.
Die
neuste Testauflage hat in der Schweiz wegen eines Methodenwechsels besondere
Kritik ausgelöst (NZZ 7. 12. 16). Hier sei aber vielmehr die
Grundfrage gestellt, welche Aussagekraft solche Schülertests generell in Bezug
auf die wirtschaftliche Entwicklung haben. Aus der internationalen Literatur
liegen viele Studien zum Zusammenhang zwischen Bildung und Wirtschaftsleistung
vor. Gemäss einer Durchsicht von rund zehn Untersuchungen, die zum Teil auch
breite Literaturübersichten enthalten, zählt die Bildung zu den wichtigsten
Erklärungsfaktoren für die wirtschaftliche Entwicklung.
Wichtige
Fähigkeiten nicht abgebildet
Doch
unklar ist, welche Bildungskriterien am aussagekräftigsten sind. Die Länge der
durchschnittlichen Schulbildung sagt noch nichts über deren Qualität aus.
Testergebnisse wie jene von Pisa mögen eine Qualitätsaussage erlauben, bergen
aber auch die erwähnte Gefahr von Verzerrungen und messen zudem nur einen Teil
der für das Leben und für die Wirtschaft wichtigen Kompetenzen. Pisa misst
direkt vor allem analytische und sprachliche Fähigkeiten. Indirekt mag der Test
auch noch Elemente wie Durchhaltefähigkeit und Motivation messen – welche
ebenfalls wichtige Erfolgsfaktoren sind. Doch andere bedeutende Elemente wie
Sozialkompetenz, Kreativität oder künstlerische Fähigkeiten bildet der
Pisa-Test nicht ab.
Die
Literatur aus den letzten 20 Jahren zum Zusammenhang zwischen den Resultaten
internationaler Schülertests und der wirtschaftlichen Entwicklung ist nicht
einhellig, deutet aber doch auf einen erheblichen statistischen Zusammenhang.
Dies gilt nicht nur auf der Ebene der Einzelpersonen, sondern auch für ganze Volkswirtschaften.
Laut einer einflussreichen Studie von 2012, welche die Daten aus
rund 40 Jahren heranzieht, geht eine Steigerung des durchschnittlichen
Pisa-Ergebnisses eines Landes um 40 bis 50 Punkte (das OECD-Mittel liegt bei
rund 490 Punkten) einher mit einer Zunahme des jährlichen Wirtschaftswachstums
pro Kopf um 1 bis 2 Prozentpunkte. Eine solche Steigerung des Pisa-Ergebnisses
entspräche einem Sprung vom Niveau Griechenlands auf das Niveau der Schweiz.
Andere Analysen von 2012, 2013 und 2015 deuten ebenfalls auf einen
erheblichen statistischen Zusammenhang.
Doch
bringen die in den Pisa-Resultaten gespiegelten Fähigkeiten höheres
Wirtschaftswachstum, oder befeuert das Wirtschaftswachstum das Bildungswesen?
Die Ursache-Wirkungs-Beziehung mag in beide Richtungen gehen. Statistische
Kniffe erlaubten gewissen Studienautoren die Mutmassung, dass die in den
Pisa-Ergebnissen gespiegelten Schülerkompetenzen erheblich zur
Wirtschaftsentwicklung beitragen. Ein restlos schlüssiger Beweis ist allerdings
wegen methodischer Problemen kaum zu erbringen. Das sollte aber für die Politik
kein Freipass sein, die Pisa-Ergebnisse zu ignorieren.
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