8. Dezember 2016

PISA und die Wirtschaft

Die Politik ist wie das wirkliche Leben voller Zielkonflikte. Ein Lehrbuchbeispiel liefern die internationalen Schülertests, welche die OECD, der Klub von 35 relativ reichen Volkswirtschaften, alle drei Jahre veranstaltet. Unter dem Kürzel «Pisa» misst der Test die Fähigkeiten von 15-Jährigen in Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen. Der Test kann die Gesundheit gefährden, denn ab und zu gibt es «Pisa-Schocks» – wenn Länder feststellen, dass die eigene Jugend nicht so überragend ist, wie man gehofft hat.
Was die Pisa-Studie für unsere Wirtschaft bedeutet, NZZ, 8.12. von Hansueli Schöchli


Schocks mit heilsamer Wirkung
Die Güte der Tests liegt in der internationalen Vergleichbarkeit; Pisa-Schocks können somit mittelfristig heilsame Wirkung haben. Die Gefahren liegen wie bei anderen Tests aber darin, dass sie zum Selbstzweck werden: dass Länder und Schulen die Schüler mehr auf die Tests statt auf das Leben vorbereiten und damit vielleicht falsche Prioritäten setzen. In der Wissenschaft ist die Sache deswegen nicht unumstritten.
Die neuste Testauflage hat in der Schweiz wegen eines Methodenwechsels besondere Kritik ausgelöst (NZZ 7. 12. 16). Hier sei aber vielmehr die Grundfrage gestellt, welche Aussagekraft solche Schülertests generell in Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung haben. Aus der internationalen Literatur liegen viele Studien zum Zusammenhang zwischen Bildung und Wirtschaftsleistung vor. Gemäss einer Durchsicht von rund zehn Untersuchungen, die zum Teil auch breite Literaturübersichten enthalten, zählt die Bildung zu den wichtigsten Erklärungsfaktoren für die wirtschaftliche Entwicklung.
Wichtige Fähigkeiten nicht abgebildet
Doch unklar ist, welche Bildungskriterien am aussagekräftigsten sind. Die Länge der durchschnittlichen Schulbildung sagt noch nichts über deren Qualität aus. Testergebnisse wie jene von Pisa mögen eine Qualitätsaussage erlauben, bergen aber auch die erwähnte Gefahr von Verzerrungen und messen zudem nur einen Teil der für das Leben und für die Wirtschaft wichtigen Kompetenzen. Pisa misst direkt vor allem analytische und sprachliche Fähigkeiten. Indirekt mag der Test auch noch Elemente wie Durchhaltefähigkeit und Motivation messen – welche ebenfalls wichtige Erfolgsfaktoren sind. Doch andere bedeutende Elemente wie Sozialkompetenz, Kreativität oder künstlerische Fähigkeiten bildet der Pisa-Test nicht ab.
Die Literatur aus den letzten 20 Jahren zum Zusammenhang zwischen den Resultaten internationaler Schülertests und der wirtschaftlichen Entwicklung ist nicht einhellig, deutet aber doch auf einen erheblichen statistischen Zusammenhang. Dies gilt nicht nur auf der Ebene der Einzelpersonen, sondern auch für ganze Volkswirtschaften. Laut einer einflussreichen Studie von 2012, welche die Daten aus rund 40 Jahren heranzieht, geht eine Steigerung des durchschnittlichen Pisa-Ergebnisses eines Landes um 40 bis 50 Punkte (das OECD-Mittel liegt bei rund 490 Punkten) einher mit einer Zunahme des jährlichen Wirtschaftswachstums pro Kopf um 1 bis 2 Prozentpunkte. Eine solche Steigerung des Pisa-Ergebnisses entspräche einem Sprung vom Niveau Griechenlands auf das Niveau der Schweiz. Andere Analysen von 20122013 und 2015 deuten ebenfalls auf einen erheblichen statistischen Zusammenhang.
Doch bringen die in den Pisa-Resultaten gespiegelten Fähigkeiten höheres Wirtschaftswachstum, oder befeuert das Wirtschaftswachstum das Bildungswesen? Die Ursache-Wirkungs-Beziehung mag in beide Richtungen gehen. Statistische Kniffe erlaubten gewissen Studienautoren die Mutmassung, dass die in den Pisa-Ergebnissen gespiegelten Schülerkompetenzen erheblich zur Wirtschaftsentwicklung beitragen. Ein restlos schlüssiger Beweis ist allerdings wegen methodischer Problemen kaum zu erbringen. Das sollte aber für die Politik kein Freipass sein, die Pisa-Ergebnisse zu ignorieren.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen